das stimmt, mein Herz pocht, nicht vor Erregung, sondern vor Aufregung. Der Schweiß tropft mir aus allen Poren, das Händchen ist eiskalt und zugleich klatschnass.
Danke, liebe Dagmar Koller, für deinen Tipp, den du mir gleich zu Beginn meiner Tanzexpedition mit auf den Weg gegeben hast: »Pass gut auf dich auf, man verkühlt sich beim Tanzen so leicht.«
Und schon fühle ich mich beim Denken ertappt: »Unser Schweiß darf dich nicht stören«, höre ich den Tanzmeister sagen. Ich stehe unter Dauerbeobachtung, nicht zuletzt auch durch das ständig anwesende Kamerateam im Probenraum, das jede Bewegung, einfach alles mitfilmt, einer Observierung gleich. Es gibt kein Training ohne meine Kamerakollegen. Denn vor jedem Auftritt wird ein Fernsehbeitrag über den Ablauf der Trainingseinheiten gezeigt. Ein Resümee der vergangenen Woche fernab des Ballrooms – Beweise der Tolpatschigkeit, des Abmühens, des Konzentrierens, aber auch Beweise der Hoffnung, des Gelingens und der Freude.
Dabei weiß ich nicht, ob dieses »Nicht-aus-den-Augen-Lassen« von mir bekannten Kollegen mein Training erschwert oder erleichtert. Ich werde »beschattet«, sprich: Jede Regung oder Nichtregung von mir wird filmisch für die Umwelt festgehalten – alles oder nichts kann gegen, aber auch für mich verwendet werden. Eindrücke werden so übermittelt, ganz gezielt oder auch zufällig. Positive oder negative Eindrücke werden beim Zuseher geweckt – der immerhin über Sein oder Nichtsein entscheidet.
Und dann wäre da noch diese Nähe zu einem wildfremden Menschen, die mir körperlich zunächst echt unangenehm ist. Doch offenbar nicht nur mir, denn auf dem Buchmarkt türmen sich Ratgeber
über Nähe zwischen Eltern und Kindern,
über Distanz bei Liebesbeziehungen,
über Nähe und Abstand in Partnerschaft und Familie,
über mehr Achtsamkeit und Nähe im Umgang mit anderen,
über die Grenzen der Liebe,
über Freiraum für die Liebe,
über die Nähe, nach der sie sich sehnt,
über die Nähe, die zum Problem wird,
darüber, wie Paare neue Nähe finden,
über die Flucht vor der Nähe,
über die Nähe und ihre Tücken,
über die Sehnsucht nach Nähe,
über Nähe-zulassen-Können,
über verborgene Nähe,
über Nähe und Geborgenheit,
über absolute Nähe,
über menschliche Nähe,
über Fallgeschichten zur Nähe-Angst,
über Nähe und Verbundenheit,
über die positive Kraft von Offenheit und Nähe,
über die sozial-emotionale Sicherheit durch Nähe,
über die Kunst der Nähe,
über die Maximen der Nähe,
über den Wiedergewinn von Nähe,
über die Nähe als tägliches Geschenk,
über das Spüren der Nähe,
über Nähe, Leidenschaft und Bindung,
über das physikalische Geheimnis von Abstand und Nähe,
über fremde Nähe,
über Vertrautheit, Nähe und Liebe durch offene Kommunikation,
über Augenblicke der Nähe,
über deine Nähe und meine Grenzen,
über verbotene Nähe,
über die Wichtigkeit von Nähe und, und, und …
Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.
Die richtige Portion Nähe zu finden, von ihr nicht erdrückt, aber auch nicht an der langen Leine gehalten zu werden, das ist die Kunst. »Auch wenn die Fähigkeit, die Balance von Nähe und Distanz zu leben, wohl in jedem Fall ein feuriger Tanz mit schwierigen Schritten bleibt«, wie es treffend auf der Homepage »www.parship.de« formuliert wird.8
Dabei habe ich ja Glück, dass ich ihn riechen kann. An all diese Sachen habe ich vor dem »Ja-Sagen« gar nicht gedacht. Nicht vorstellbar, wenn ich meinen Tanzpartner nicht riechen könnte. Der Volksmund sagt: »Ich kann dich nicht riechen«, und liegt damit richtig, denn körperliche und seelische Abneigung, aber auch Anziehung werden von Gerüchen tatsächlich stark beeinflusst. Riechen gehört zu unserem Leben. Beim Essen ermöglicht uns auch das Riechorgan Nase, dass wir schmecken können. Die Rezeptoren der Zunge können nur salzig, bitter, süß und sauer erkennen. Achtzig Prozent unserer Geschmackswahrnehmung leistet die Nase und darum erkennen wir die feinen Düfte wohlschmeckender Speisen und Getränke.
Neben Düften werden auch Stimmungen über die Nase wahrgenommen. Gerüche können neugierig machen. Auch muss die »Chemie stimmen«, wenn uns ein Mitmensch ganz besonders ins Auge sticht. Natürlich sind die Gene schuld. Denn jeder Mensch hat seinen eigenen Körpergeruch. Und jeder nimmt den Duft des anderen subjektiv wahr. So geraten wir beim Geruch mancher Menschen in Verzückung und ergreifen beim Geruch eines anderen Menschen blindlings die Flucht – wir riechen sozusagen die Gefahr.
Familienmitglieder riechen sehr ähnlich, daher ist die Natur listig und lässt uns unbewusst Partner auswählen, die absolut nicht so riechen wie wir selbst.
Gerüche können Assoziationen wecken. Daher erinnern uns bestimmte Gerüche an unsere Kindheit (immer noch haftet der Geruch von Nivea-Creme in meiner Nase, wenn ich an meine Mama denke), an den ersten Schulbesuch, an meine erste große Liebe. (Sein Geruch war mir vertraut – er roch nach Nivea-Creme. Das war sein riesiger Vorteil, um der Auserwählte zu sein.)
Mein feines Näschen, das schon immer ein gutes Gespür hat, wenn es darum geht, etwas zu erahnen oder aufmerksam Dinge wahrnehmen zu können, meldet bei dem mir zugeteilten Tanzpartner: »Alles okay, keine Gefahr, immer der Nase nach!«
Und es wird enger und enger. Bereits am ersten Trainingstag kracht es im Gebälk meiner Persönlichkeit. Ich, die lieber die Distanz wahrt, ich soll plötzlich anschmiegsam sein. »Ja«, sagt Gerhard. »Sei ein Pupperl!«
Ich soll ein Pupperl sein? 58 Jahre nicht den Mann, sondern die Frau stehen, und dann ein Pupperl sein? Das geht ja gar nicht.
Nicht vorstellbar, wenn ich meinen Tanzpartner nicht riechen könnte.
Gerhard sagt: »Für eine Minute und dreißig Sekunden brauchen wir Nähe, so lange dauert der Tanz bei der Livesendung, dann ist es aus.«
Also ein abgekartetes Spiel für einen Showauftritt, doch auch mit diesem Wissen ist es nicht leicht, Nähe zuzulassen. Gleichzeitig weiß ich aber, ohne Nähe gibt es keinen Ausdruck im Tanz. Wenn ich Nähe zulasse, dann kann ich nur gewinnen. Das ist doch schon mal eine Erkenntnis. Das bedeutet zunächst, ein Risiko einzugehen. Durch das Zulassen von Nähe kann ich neue positive Erfahrungen machen, wie zum Beispiel, dass mich mein Tanzpartner unterstützt oder mich so annimmt, wie ich bin …
Gerhard führt mich durch den Trainingssaal, auch wenn er öfters betont, dass ich ihn führe, und stellt gleich zu Beginn die Weichen für seinen Führungsstil bei diesem unserem Tanztraining.
»Für eine Minute und dreißig Sekunden brauchen wir Nähe, so lange dauert der Tanz bei der Livesendung, dann ist es aus.«
ER ÜBERNIMMT DAS KOMMANDO
Ich erinnere mich plötzlich an meine Matura an der Handelsakademie in Bregenz. Was war doch gleich mein Thema in Betriebswirtschaft? Klassische Führungsstile. Gut, dass ich meine Betriebswirtschaftsbücher aufbewahrt habe.
Da wäre der autoritäre Führungsstil mit einer ganz klaren Trennung: Es gibt einen Vorgesetzten, der entscheidet und kontrolliert.