Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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er friedlich. »In Kabine 4 liegt ein Junge, der unsere Hilfe braucht.«

      Das war offenbar die richtige Erwiderung gewesen, denn gleich darauf hatte Bernd Schäfer seinen Hunger vergessen. Er beugte sich über den wimmernden Jungen, der sich bei einem bösen Sturz von einer Mauer ein Bein und eine Hand gebrochen hatte, und war auf einmal so zartfühlend und sanftmütig wie gewöhnlich.

      Adrian vergewisserte sich, daß sein Kollege allein zurechtkam, und betrat die Nebenkabine. Die Untersuchung von Karl Zapfmann war nur eine kurze, angenehme Unterbrechung eines ansonsten harten Arbeitstages gewesen.

      *

      »Wo kommt denn der Hund her?« fragte Alexander Stolberg stirnrunzelnd, als er an diesem Abend nach Hause kam und unversehens einen bellenden Dackel vor sich hatte.

      »Das ist Cora«, stellte Jessica vor. »Die Hündin von Herrn Zapfmann, unserem Nachbarn. Ruhig, Cora, das ist Alex, der wohnt hier.«

      Cora bellte noch kurz weiter, um zu zeigen, daß sie sich nicht so leicht beeindrucken ließ, dann schlich sie zurück zum Sofa, wo Nicky lag und mit einer Rassel spielte, und ließ sich erneut nieder.

      Alexander sah sich jetzt erst um und staunte. »Das ist ja Wahnsinn, wie das hier schon aussieht!«

      Jessica freute sich, als er das sagte. »Ja, nicht? Das habe ich Herrn Zapfmann zu verdanken.«

      Sie erzählte ihm, wie ihr Tag verlaufen war, und er stellte fest, daß sie viel gelöster wirkte als noch am Vorabend. Dieser Rentner von nebenan hatte offenbar Wunder bewirkt. Er war froh, daß es Jessica offensichtlich besser ging, denn manchmal machte sie einen arg traurigen Eindruck, fand er, und das bedrückte ihn dann auch.

      Außerdem fiel ihm wieder einmal auf, wie hübsch sie war. Ja, davon hatte Ben auch immer geschwärmt, er hatte seine Worte noch deutlich im Ohr.

      »Ben hat mich angerufen«, sagte er, und auf einmal war es sehr still.

      Jessica war blaß geworden. Sie waren in die Küche gegangen, wo sie dabei war, das Essen herzurichten. Nach seinen Worten hielt sie kurz inne und stand für einige Sekunden regungslos da. Doch dann fuhr sie fort, die Teller zu füllen, und fragte mit einer Stimme, der er die Anstrengung, betont gleichmütig zu klingen, deutlich anhörte. »Von wo? Und was wollte er?«

      »Ich nehme an, er ist wieder in Freiburg«, antwortete Alexander. »Angeblich war er in den USA. Und ich glaube, er wollte unsere Freundschaft wieder aufleben lassen. Er hatte meine Handy-Nummer – woher, weiß ich nicht.«

      »Hat du ihm erzählt… was passiert ist?«

      »Nein, ich sah keine Veranlassung dazu.«

      Sie nickte. »Das ist gut so.«

      Noch immer war sie sehr blaß, und er hätte sie gern in die Arme genommen und getröstet, aber das kam natürlich nicht in Frage. Sie liebte Ben noch immer, dessen war er sicher. Warum nur hatte er nicht verhindert, daß Ben sie kennenlernte? Schließlich kannte er ihn doch gut genug, er hätte vorhersehen müssen, was passieren würde. Ben hatte bisher noch jede hübsche Frau ›herumkriegen‹ müssen – so nannte er das. Für ihn war das ein Spiel, bei dem immer nur er gewann. Was dabei aus den Frauen wurde, kümmerte ihn nicht. Er war, was das betraf, absolut gewissenlos.

      »Er wollte den Kontakt mit mir wieder aufnehmen«, fuhr er fort. »Jedenfalls hat er das gesagt. In Wirklichkeit wollte er herauskriegen, was läuft, da bin ich sicher. Irgend jemand wird ihm bestimmt erzählt haben, daß wir geheiratet haben.«

      Jessica nickte, erwiderte aber nichts. »Guten Appetit«, sagte sie förmlich. Sie sah ihn dabei nicht an. Ihr Gesicht war sehr verschlossen.

      »Guten Appetit«, murmelte Alex, aber er hatte auf einmal gar keinen Hunger mehr.

      *

      Karl Zapfmann war bester Laune, als er nach Hause kam. Ein-, vielleicht zweimal noch mußte er in die Klinik, schätzte er, dann war der Spuk vorüber. Dieser Dr. Winter war wirklich nett, er verstand Spaß. Natürlich würde er auch morgen wieder zu ihm gehen, und wenn viel los war in der Notaufnahme, dann würde er eben warten.

      Er klingelte bei seinen neuen Nachbarn, und gleich darauf hörte er Coras aufgeregtes Bellen. Natürlich wußte sie, daß er es war. Er lächelte in sich hinein. Die junge Frau Stolberg und Cora hatten sich bestimmt gut verstanden.

      Aber es war nicht Jessica, die ihm die Tür öffnete, sondern ihr Mann, den er bisher noch nicht kennengelernt hatte. Cora witschte an ihm vorbei und sprang begeistert an ihrem Herrchen hoch. Sie wurde liebevoll gekrault und begrüßt, dann sagte Karl Zapfmann höflich: »Guten Abend, Herr Stolberg, mein Name ist Zapfmann, ich bin Ihr neuer Nachbar. Ihre Frau war so freundlich, auf meinen Hund aufzupassen.«

      »Ja, das hat sie mir erzählt, Herr Zapfmann«, erwiderte Alexander ebenso höflich, aber nicht das kleinste Lächeln stahl sich dabei in seine Augen. Jessica war nach dem Essen schweigend in ihrem Zimmer verschwunden und hatte sich seitdem nicht mehr blicken lassen. Er wußte, was das bedeutete: Sie dachte an Ben, und vielleicht weinte sie sogar. Er jedenfalls konnte ihr sicher nicht helfen.

      »Meine Frau hat sich schon hingelegt, sie war sehr müde«, fügte er noch hinzu, um nicht allzu unhöflich zu erscheinen. Der alte Herr Zapfmann sah nett aus, aber er konnte ihn im Augenblick nicht gebrauchen. Hoffentlich begriff sein neuer Nachbar das und ging schnell wieder. Ihm stand jetzt nicht der Sinn danach, irgendwelche Belanglosigkeiten auszutauschen.

      Tatsächlich hatte sich Karl Zapfmann bereits zum Gehen gewandt. Seine Enttäuschung darüber, daß er Jessica nicht mehr zu Gesicht bekam, verbarg er perfekt. »Sagen Sie Ihrer Frau nochmals vielen Dank«, bat er. »Kein Wunder übrigens, daß sie müde ist – sie hat wirklich schwer gearbeitet heute. Guten Abend, Herr Stolberg.«

      Alexander schloß eilig die Tür und kehrte ins Wohnzimmer zurück. So, jetzt war er auch den Hund los. Nicky schlief bereits, nun würde er es sich endlich richtig gemütlich machen. Doch als er sich auf dem Sofa ausstreckte, stellte er fest, daß es ihm keinen Spaß machte, hier allein herumzusitzen.

      Was war nur mit ihm los? Es lief doch alles wie geplant! Eigentlich hatte er allen Grund, glücklich und zufrieden zu sein. Er mußte sich jetzt nur noch auf seinen Job konzentrieren – alles andere war eigentlich nicht mehr sein Problem. Er hatte getan, was er konnte. Mehr war nicht möglich.

      Doch dann sah er wieder Jessicas unglückliches Gesicht vor sich, und sein Magen zog sich zusammen. Wie blaß sie geworden war, als er Ben erwähnt hatte! Natürlich hatte sie ihn nicht vergessen können, schließlich war Nicky Bens Kind, auch wenn das niemand wußte.

      Aber warum machte er sich darüber Gedanken? Er hatte eine klare Absprache mit Jessica. In zwei Jahren würden sie sich scheiden lassen – dagegen konnten auch Jessicas konservative Eltern nichts einwenden, das kam schließlich in den besten Familien vor. Ein uneheliches Kind dagegen hätte sie ihnen nicht nach Hause bringen dürfen…

      Er selbst war gewissermaßen für Ben eingesprungen, weil er sich verantwortlich gefühlt hatte für das, was passiert war. Schließlich war er es gewesen, der Jessica und Ben miteinander bekannt gemacht hatte. Wie oft hatte er das schon bitter bereut!

      Jetzt jedenfalls waren sie miteinander verheiratet, Jessica war einverstanden gewesen mit seinen Vorschlägen. Heirat für drei Jahre, von denen eines bereits vorüber war, dann Scheidung. Eine ganz klare und einfache Sache also: Jessica hatte den Schein gewahrt, und er hatte sein schlechtes Gewissen beruhigt, daß er eine so gute Freundin wie Jessica dem unverbesserlichen Ben praktisch selbst in die Arme gelegt hatte.

      Aber er merkte allmählich, daß die Sache nicht ganz so klar und einfach war, wie er sich das gewünscht hatte. Als er Jessica und Ben einander vorgestellt hatte, da war Jessica eine gute Freundin für ihn gewesen, nichts weiter. Doch mittlerweile ertappte er sich immer öfter dabei, daß er sich ausmalte, wie es wäre, wenn sie sich nicht scheiden ließen, sondern zusammenblieben. Er wußte nicht genau, wann ihm dieser Gedanke zum ersten Mal gekommen war, doch seitdem kam er immer wieder und ließ sich nicht mehr verscheuchen. Dabei war das reiner Unsinn, sie hatten schließlich ein klares Abkommen getroffen.