Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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jetzt betrachtete, wie sie eifrig durch die Räume liefen und eine Arbeit nach der anderen erledigten, dann hätte man sie leicht für ein ganz normales junges Ehepaar halten können.

      *

      Karl Zapfmann hatte sich das erste Taxi seines Lebens geleistet, und als es vor seinem schneeweiß getünchten Haus mit den blauen Fensterläden hielt, da war es, als hielte die ganze Straße den Atem an. Er bezahlte und stieg langsam aus, dann atmete er tief durch. »Ich bin wieder da!« sagte er laut in die Abendstille hinein.

      Das Taxi fuhr weiter, und er ging zur Haustür seiner Nachbarn und klingelte. Als sie geöffnet wurde, war die stille Straße im nächsten Augenblick von einem so wilden Freudengebell erfüllt, daß sich bald darauf ein paar Fenster öffneten, weil die Menschen sehen wollten, was in ihrer Straße nun schon wieder passiert war. Der Tag war ja an Ereignissen auch bisher schon nicht arm gewesen.

      In Windeseile sprach sich herum, daß ›der Karl‹ wieder nach Hause gekommen war, und mehrere Nachbarn kamen aus ihren Häusern, um ihn zu begrüßen.

      »Wir dachten, es hätte dich schlimmer erwischt!« sagte einer.

      »Das dachten die Ärzte auch«, antwortete Karl Zapfmann, »aber ich habe gesagt, meine Cora versteht die Welt nicht mehr, wenn ich heute abend nicht nach Hause komme – und einer von denen war tatsächlich vernünftig und hat mich entlassen. Aber ich muß morgen und übermorgen noch mal in die Klinik, damit ganz sicher ist, daß nichts zurückbleibt.«

      »Und der andere? Was ist denn mit dem, der dich umgefahren hat?«

      »Gehirnerschütterung«, antwortete Karl Zapfmann lakonisch. »Der hat keinen Mucks mehr von sich gegeben, kann ich euch sagen. Ganz still muß er liegen.«

      »Geschieht ihm völlig recht. Was muß er hier auch so rasen! Was ist mit deinem Kopf, Karl? Und mit deiner Hand?«

      »Die Wunde am Kopf mußte genäht werden«, erzählte Karl. »Mir tut alles weh, aber gebrochen ist nichts. Blutergüsse und Prellungen habe ich, mehr nicht. Die Hand ist verstaucht, aber nur ein bißchen.«

      Cora tanzte jaulend um ihr Herrchen herum, als könne sie seine Rückkehr noch immer nicht fassen. Er beugte sich zu ihr, kraulte ihr den Kopf und sagte zärtlich: »Wir gehen ja schon, Cora. Ist ja gut, komm mit!«

      Laut bellend stürzte Cora voran, und Karl folgte ihr. »Bis morgen«, sagte er zu den anderen. »Jetzt muß ich erst mal ins Bett, ich habe den Ärzten versprochen, vernünftig zu sein.«

      »Bis morgen!« riefen ihm die Nachbarn nach, erleichtert da­rüber, daß die Fast-Tragödie, die sich auf ihrer Straße abgespielt hatte, doch noch einmal glimpflich verlaufen war.

      Als Karl einige Schritte gegangen war, blieb er stehen und drehte sich um. »Sind da neue Leute eingezogen?« fragte er und wies auf das Haus neben seinem. »Heute morgen stand es noch leer.«

      »Kurz nachdem dich der Krankenwagen weggebracht hatte, kamen die Umzugsleute. Eine junge Familie mit einem Baby. Die Frau sieht aus, als wär’ sie selber noch ein Kind. Aber sie ist schon vierundzwanzig hat die Naumann gesagt.«

      Karl Zapfmann lächelte. »Ihr seid ja schon wieder bestens informiert«, stellte er fest. »Schön, daß das Haus nicht mehr leersteht. Ich hab’ gern nette Leute neben mir wohnen.«

      Pfeifend setzte er seinen Weg fort, öffnete das Törchen zu seinem Vorgarten, vor dem Cora aufgeregt bellend stand, und verschwand.

      *

      »Was ist denn da draußen bloß los?« wunderte sich Alexander, der mit Jessica gerade dabei war, die Gardinen aufzuhängen. »Das ist ja ein richtiger Aufstand – alle stehen um einen herum, der mit dem Taxi gekommen ist, und der Hund spielt verrückt. Jetzt geht er weg, der Mann mit dem Hund.«

      Auch Jessica sah nun aus dem Fenster. »Tagsüber haben schon mal ein paar von den Nachbarn zusammengestanden und aufgeregt diskutiert«, erzählte sie. »Vielleicht ist dort etwas passiert. Der mit dem Hund war jedenfalls nicht dabei. Guck mal, er wohnt neben uns.«

      »Hoffentlich sind das nicht lauter Leute, die nur hinter anderen herspionieren«, knurrte Alexander. »Irgendwie kommt es mir so vor, als wären wir auf dem Dorf gelandet. Wenn ich bedenke, daß wir in Berlin sind – wirklich kaum zu glauben.«

      »Mir gefällt es hier«, gestand Jessica freimütig. »Es ist doch schön, daß die Leute miteinander reden, findest du nicht?«

      »Schön«, gab er zu. »Aber es kommt auch noch darauf an, worüber sie reden, finde ich.«

      »Ja, sicher«, erwiderte sie unsicher. »Aber es sieht doch recht gemütlich aus, wie sie alle dastehen und diskutieren. Jedenfalls scheinen sie sich zu kennen, und sie haben sich auch etwas zu erzählen. Ich dachte immer, in einer Großstadt geht es anonym und kalt zu. Aber hier ist es ein bißchen wie… zu Hause.«

      Alexanders Gesicht wurde weich. »Hast du Heimweh?«

      Sie nickte. »Ich bin in Freiburg aufgewachsen, alle meine Freunde leben dort, das weißt du doch. Aber darüber müssen wir nicht reden. Jetzt sind wir hier, und ich bin froh darüber. Wirklich, Alex. Ich werde dir nie vergessen, daß du mir geholfen hast.«

      Sein Gesichtsausdruck wurde abweisend. »Schon gut. Sollen wir weitermachen?«

      »Ja«, antwortete Jessica. Sie blickte auf das kleine weiße Hexenhaus und wußte nicht genau, ob sie sich freuen oder enttäuscht sein sollte. Eine junge Frau wohnte dort also nicht, sondern ein alter Mann mit einem Hund. Immerhin schien es ein sehr beliebter alter Mann zu sein, danach zu urteilen, wie er von den anderen Leuten in der Straße empfangen worden war. Vielleicht war er ja ganz besonders nett? Sie unterdrückte einen Seufzer. Es würde sicher einige Zeit dauern, bis sie sich hier heimisch fühlte.

      Im Haus nebenan gingen jetzt nacheinander mehrere Lichter an, und sie konnte den alten Mann sehen, der langsam durch die Räume ging, während er offensichtlich mit seinem Hund sprach. Er hatte die Fensterläden noch nicht geschlossen, und so hatte sie völlig ungehinderten Einblick in das Hexenhaus. Es sah innen so gemütlich aus wie außen, und sie stellte fest, daß sie jetzt gern geweint hätte.

      Dann merkte sie, daß Alexander sie fragend ansah, und sie riß sich zusammen. »Entschuldige«, sagte sie leise, »ich war gerade mit meinen Gedanken woanders. Was hast du gesagt?«

      »Ob wir noch etwas tun müssen, wenn wir die Gardinen aufgehängt haben. Offen gestanden bin ich ziemlich müde, und ich möchte morgen gern fit sein – der Job ist anstrengend, ich werde nicht lange Schonfrist haben, weil ich neu bin.«

      »Wir können danach aufhören. Morgen abend sieht es hier schon ganz anders aus, du wirst sehen. Dein Bett habe ich dir bereits gemacht, und ein paar von deinen Sachen hängen schon im Schrank, ich hoffe, für morgen ist alles dabei. Die restliche Kleidung habe ich noch nicht wiedergefunden.«

      »Danke«, sagte er, mehr nicht. Dann arbeiteten sie schweigend weiter.

      *

      Frau Senftleben, Adrians Nachbarin, hatte ihm einen Zettel an die Wohnungstür gehängt mit der Aufforderung, mit ihr gemeinsam zu Abend zu essen. Als er ihn las, lächelte er vergnügt, verschwand kurz in seiner Wohnung, um sich ein wenig frisch zu machen, und klingelte gleich darauf an der Nachbartür.

      Als Carola Senftleben öffnete, warf sie ihm einen prüfenden Blick zu, dann erklärte sie: »Sie machen einen entspannten Eindruck, Adrian, also kann Ihr Arbeitstag nicht allzu schlimm gewesen sein. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil es ja gestern doch etwas länger geworden ist. Hinterher habe ich mir Vorwürfe gemacht, daß ich Sie und Ihre Schwester so lange aufgehalten habe.«

      »Wieso?« fragte er. »Wir haben uns doch mit dem größten Vergnügen so lange aufhalten lassen. Es war ein wunderbarer Abend, Frau Senftleben, und ich frage mich, womit ich es eigentlich verdient habe, daß Sie mich heute schon wieder einladen.«

      »Zum Reste-Essen«, erwiderte sie trocken. »Also, Ihr Tag war nicht allzu schlimm heute?«

      »Er war sogar recht angenehm. Ich hatte einen Rentner zu