nett, aber es ist ja auch so gegangen. Warum soll ich Sie mit unseren Problemen behelligen, wenn wir sie auch selbst lösen können?«
Auch diese Antwort gefiel seinem Chef. Ja, so hatte er sich den neuen Mann vorgestellt. Zupackend und energisch. Zumindest war er nicht gleich bei der ersten Schwierigkeit angelaufen gekommen und hatte gejammert. Um Hilfe hätte er allerdings ruhig bitten können.
»Da kommen Sie ja mitten ins Chaos«, vermutete er.
»Ja, das fürchte ich auch«, meinte Alexander. »Hoffentlich sind die Umzugsleute wenigstens schon verschwunden. Ich hatte letzte Nacht so einen Alptraum. Ich kam nach Hause, und die Männer von der Spedition hatten es sich gerade bei uns gemütlich gemacht. Es sah so aus, als wollten sie gar nicht mehr gehen.«
Sie lachten beide. Dann wurde Alexander wieder ernst. »Meine Frau hat bestimmt allein nicht allzuviel machen können. Ich fürchte, ich werde noch ein bißchen weiterarbeiten müssen, wenn ich gleich nach Hause komme.«
Auch das war ein Punkt, der Herrn Grüner gefiel. Alexander Stolberg war verheiratet, und er und seine Frau hatten sogar bereits eine kleine Tochter. Das deutete auf Verantwortungsgefühl und Stabilität hin. Erneut beglückwünschte er sich selbst dazu. gerade diesen jungen Mann als neuen Mitarbeiter gewonnen zu haben.
»Sie haben doch auch eine kleine Tochter, nicht wahr?«
Alexander nickte, aber er packte jetzt nicht die üblichen Anekdoten aus, mit denen junge Väter ihre Umgebung so gern auf die Nerven gehen.
»Nun«, fuhr Herr Grüner fort, »dann kann ich Ihnen nur wünschen, daß Sie die ersten Tage gut überstehen. In der zweiten Woche sieht es dann sicher schon besser aus. Alles Gute weiterhin, Herr Stolberg.«
»Danke, Herr Grüner, bis morgen.«
Sein Chef eilte davon, und Alexander folgte ihm langsam. Er war mittelgroß mit breiten Schultern und einem kräftigen Körperbau. Seine dichten dunkelblonden Haare legten sich nie so, wie er wollte, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und versuchte nicht mehr, sie in eine bestimmte Frisur zu zwängen.
Sein Gesicht wirkte gut zu seinem kräftigen Körperbau. Es war kantig und energisch, nur die braunen Augen schienen nicht recht dazu zu passen. Sie waren eigentlich zu sanft für den starken Mann, verliehen ihm aber etwas überaus Anziehendes.
Es zog ihn nicht nach Hause, aber der Grund war nicht das Chaos, das ihn dort vermutlich erwartete. Ob er vielleicht noch irgendwo ein Bier trinken und seinen ersten Arbeitstag überdenken sollte? Die Verlockung war groß, aber er entschied sich dagegen. Das wäre nicht fair Jessica gegenüber. Schließlich hatten sie eine Abmachung miteinander, und er mußte seinen Teil der Abmachung einhalten, ob ihm das nun gefiel oder nicht.
Er straffte sich und ging ein wenig schneller. Na los, Alexander, ermunterte er sich selbst. Fahr nach Hause!
*
»Ich will mit dem Arzt reden, bei dem ich zuerst war!« verlangte Karl Zapfmann störrisch.
Der Assistenzarzt, der im Augenblick Dienst auf der Inneren hatte, unterdrückte einen Seufzer. Er war noch sehr jung und unerfahren und wußte daher nicht, wie man mit schwierigen Patienten am besten umging. Dieser alte Mann jedenfalls würde ihn noch zur Verzweiflung bringen, wenn es so weiterging.
Die Notaufnahme hatte ihn geschickt, er sollte zwei Tage in der Klinik bleiben, damit er sich von dem Unfall, den er an diesem Morgen gehabt hatte, richtig erholte. Viel war ihm nicht passiert, aber immerhin hatte seine Kopfwunde genäht werden müssen, und Aufregung und Schmerzen hatten ihm ganz schön zugesetzt. In seinem Alter war auch ein leichter Unfall nichts, worüber man einfach hinweggehen sollte.
»Ich weiß nicht, wen Sie meinen, Herr Zapfmann!« behauptete er, obwohl er es genau wußte. Es waren Dr. Winter und Dr. Martensen gewesen, die den Patienten in der Notaufnahme behandelt hatten. Dr. Winter hatte in der Zwischenzeit sogar noch einmal angerufen, um sich nach dem Befinden des alten Herrn zu erkundigen, aber er war jetzt nicht mehr zuständig für den Patienten.
»Dr. Winter!« sagte Karl Zapfmann in diesem Augenblick triumphierend. »So heißt er, ich weiß es ganz genau. Ich muß unbedingt mit ihm reden!«
Seine Stimme war immer lauter geworden, die Erregung war ihm anzusehen, und der junge Arzt bekam es mit der Angst. Er wollte nichts falsch machen, und wer konnte schon wissen, ob dieser alte Mann sich nicht vielleicht in einen Erregungszustand hineinsteigerte, der ihm ernstlichen Schaden zufügen würde?
»Ich rufe in der Notaufnahme an!« versprach er hastig. »Beruhigen Sie sich bitte, Herr Zapfmann, es schadet Ihrem Kopf und Ihrem Herzen, wenn Sie sich so aufregen.« Mit diesen Worten floh er aus dem Zimmer und machte sein Versprechen wahr. Zu seiner überaus großen Erleichterung versprach Adrian Winter, innerhalb der nächsten halben Stunde zu kommen.
»Mein Dienst endet sowieso gleich, bestellen Sie Herrn Zapfmann das. Was will er denn, haben Sie eine Ahnung?«
»Nein!« stöhnte der junge Kollege. »Aber er macht mich verrückt, das kann ich Ihnen sagen.«
Vom anderen Ende der Leitung erklang ein vergnügtes Lachen. »Sie brauchen bessere Nerven, scheint mir.«
»Wenn Sie mich fragen, Herr Winter, ich glaube, er will einfach nur hier raus, obwohl ich ihm schon mehrfach gesagt habe, daß das nicht in Frage kommt.«
Das sah sein älterer Kollege nicht ganz so strikt, doch er äußerte sich nicht dazu. »Sagen Sie ihm, er soll sich gedulden. Eine halbe Stunde noch, vielleicht ein kleines bißchen länger, dann bin ich da.«
»Lieber kürzer!« flehte der Assistenzarzt, und wieder erklang das vergnügte Lachen Dr. Winters. Dann wurde aufgelegt.
Erleichtert machte sich der junge Mediziner auf den Weg zu dem störrischen Herrn Zapfmann. Zumindest dieses Problem würde er bald los sein.
*
Die Umzugsleute waren weg. Nicky schlief endlich tief, und Jessica hatte sich voller Energie an die Arbeit gemacht. Ihr Ehrgeiz war, daß Alexander wenigstens einen Teil des Hauses halbwegs eingerichtet vorfinden sollte. Freilich, sobald er ein wenig genauer hinsah, würde er das Chaos überall hervorschimmern sehen, aber sie wollte versuchen, den Eingangsbereich von Umzugskisten freizuhalten und dem Wohnzimmer einen einigermaßen gemütlichen Anstrich zu geben. Sie rannte unermüdlich hin und her, suchte und fand Tischdecken und Kissen, Kerzenleuchter und Kerzen, Blumenvasen und andere Dinge, die nicht unbedingt lebenswichtig waren, aber doch dazu beitragen konnten, einen Raum wohnlich erscheinen zu lassen.
Leider hatte sie keine Blumen, das war schade, denn ein Blumenstrauß hätte das Wohnzimmer gleich viel freundlicher wirken lassen, dachte sie. Dann fiel ihr Blick nach draußen auf den Rosenstock, der in ihrem Vorgarten wuchs, und kurz entschlossen lief sie hinaus, um ein paar Blüten abzuschneiden.
»Sie wohnen jetzt also hier«, sagte eine Stimme von der Straße her zu ihr, und sie fuhr herum. Eine Frau mit schmalen Lippen stand dort und betrachtete sie aufmerksam. Etwas Verbittertes ging von ihr aus.
Jessica wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie wollte nichts falsch machen, und so reagierte sie höflich, obwohl sie die Frau instinktiv nicht sympathisch fand. »Ja«, antwortete sie zurückhaltend. »Mein Name ist Jessica Stolberg. Wir sind heute eingezogen.«
»Naumann«, sagte die Frau würdevoll. »Ich wohne dort.« Sie wies auf das Nachbarhaus zur rechten, das Jessica nicht gefiel wegen des Rasens, der aussah, als würde er mit der Nagelschere gestutzt, und wegen der Friedhofsgewächse.
Sie nickte. »Dann sind wir jetzt Nachbarn«, sagte sie und wandte sich zum Gehen. »Ich muß weiter aufräumen, mein Mann wird bald kommen.«
Die kleine, dünne Frau auf der Straße zog die Stirn in Falten. »Ihr Mann?« fragte sie. »Sie sehen viel zu jung aus, um schon einen Mann zu haben.«
Das brachte Jessica zum Lachen. »Das sieht nur so aus, Frau Naumann, ich bin schon vierundzwanzig. Ich habe doch sogar schon eine Tochter. Auf Wiedersehen!«
Eilig rannte sie zurück ins Haus, bevor Frau