auch Schwester Walli hatte stillschweigend ihren Feierabend hinausgeschoben, um der ersten Instrumentenschwester helfen zu können.
Schwester Annette, eine etwa vierzigjährige Frau mit kurzen schwarzen Locken, sah kurz zu Dr. Winter hinüber, der noch im Waschraum stand.
»Das wird heute ein Wettlauf mit der Zeit, was?«
»Ich denke schon. Aber Dr. Winter wird’s schon schaffen.«
Bernd Schäfer stand schon am Tisch und kontrollierte, ob die Patientin richtig gelagert war.
Dr. Roloff hatte die Narkose schon eingeleitet, und als er nickte, kam Adrian gerade durch die Schleuse.
»Wir können, ja?« Fragend blickte er von einem zum anderen. Als alle nickten, streckte er auffordernd die Hand aus. »Skalpell, Schwester Annette.«
Sie reichte ihm das scharfe Messer, und der Chirurg arbeitete sich Schicht für Schicht in das Körperinnere vor. Schnell mußte es gehen, sehr schnell, denn Verenas Kreislauf war nicht der stabilste.
Endlich lag das Aneurysma vor ihnen. Die große Bauchaorta war nur noch hauchdünn, und allen, die einen Blick ins Innere des Leibes warfen, war klar, daß das Gewebe jeden Moment perforieren konnte.
Adrian Winter blieb auch in dieser kritischen Situation der ruhige und umsichtige Operateur, als den ihn alle kannten. Er wählte mit Bedacht ein geeignetes Prothesenstück aus, das er dann mit Präzision einsetzte.
Dr. Schäfer und ein zweiter Assistent hatten es übernommen, die Aorta abzuklemmen, damit Dr. Winter das Aneurysma fortschneiden und das Kunststoffteil einsetzen konnte. Mit kleinsten Stichen vernähte er das obere Ende mit dem Aortenstumpf und tat das gleiche mit dem anderen Ende.
»Weg mit den Klemmen!« befahl er dann und wartete, bis die Assistenten die Instrumente entfernt hatten. Einige wenige Blutstropfen quollen noch durch die Prothesenwand. Aber auch das hörte sehr schnell auf, so daß er sich vom Gelingen des Einsetzens überzeugen konnte.
»Hält ganz hervorragend!« sagte Adrian Winter und ließ das jetzt prall mit Blut gefüllte Prothesenstück unter seinem rechten Zeigefinger wippen. »In ungefähr einer Woche kann sie schon wieder durchs Zimmer tanzen.«
»Gib ihr zwei Wochen«, grinste Bernd. »Du bist immer so ungeduldig.«
Adrian grinste, was man unter dem Mundschutz jedoch nur erahnen konnte. »Ich weiß, meine Ungeduld wird mir noch zum Verhängnis werden. Das hat meine Mutter auch immer gesagt.«
»Ich bin nicht deine Mutter!«
»Aber mein bester Assistent. Und deshalb darfst du jetzt auch das Zumachen übernehmen.« Damit trat er einen halben Schritt vom Tisch zurück und überließ es Bernd Schäfer, die Bauchwunde zu schließen.
Das dauerte, denn der junge Chirurg war natürlich bemüht, besonders fein zu arbeiten. Er wußte, daß Verena glücklich sein würde, wenn ihre Narbe so unauffällig wie eben möglich wäre.
»Das war’s dann«, meinte Adrian, als die letzte Naht gelegt und der Verband angelegt war. »Ihr wart alle ganz hervorragend. Danke.«
»Du warst einfach Spitze«, erwiderte Bernd, als sie sich die beschmutzte OP-Kleidung auszogen. »Es war wirklich der letzte Moment, nicht wahr?«
Dr. Winter nickte. »So ein Aneurysma ist ein tückisches Ding. Wenn es sich erst mal gebildet hat, kann es nur operativ beseitigt werden. Und das muß im entscheidenden Moment geschehen. Nun… Frau Merbold hat’s in der letzten Minute geschafft, zu uns zu kommen.«
*
Vier Wochen waren seither vergangen. Vier Wochen, in denen alle in der Kurfüsten-Klinik Anteil am Leben des Paares Merbold-Kehlmann genommen hatten.
Der Heilungsprozeß verlief bei beiden ganz hervorragend, und Verena und Mathias waren unendlich glücklich darüber, daß sie zusammen waren. Beiden hatte das Schicksal sehr deutlich gemacht, wie schnell das Glück eines Menschen zerstört werden könne – und daß man alles tun müsse, um es zu erhalten. Als Verena soweit genesen war, daß sie auch Besuch von Freunden und Kollegen haben durfte, kam ihr Agent mit einem Riesenstrauß gelber Rosen.
»Du machst vielleicht Sachen, Mädel«, schimpfte er, und man sah ihm an, daß er noch im Nachhinein erschüttert war. »Warum nur hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?«
»Ich hatte eben Angst«, gestand Verena. »Aber jetzt ist alles überstanden. Und Angst vor der Zukunft habe ich nicht mehr. Mathias liebt mich – nur das ist wichtig für mich.«
Carlo grinste. »Na ja, so ein bißchen Erfolg wäre doch auch nicht zu verachten, oder?« Er griff in seine Jackettasche und holte einen Zettel hervor. »Hier, ein Vertrag für eine Modenschau in Paris. Lengenbach will dich noch immer. Sogar mit Narbe.« Er grinste ihr zu.
»Ehrlich?« Verena wurde abwechselnd rot und blaß vor Erregung.
»Ehrlich. Und… ich hab’ seiner Assistentin gesagt, daß wir gleich nach der ersten großen Show, die du mit ihm machst, ein Brautkleid haben müssen. Das war doch richtig so, oder?«
Verena beugte sich vor und zog seinen Kopf zu sich. »Du bekommst einen Kuß, Carlo. Du bist wirklich der beste und liebste Agent, den man sich nur wünschen kann.«
»Ich bin ein sentimentaler Narr, das ist alles.« Carlo griff schnell wieder nach dem Vertrag. »Also, soll ich unterzeichnen?«
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und gemeinsam mit Dr. Winter kam Mathias herein.
»Ich frage Mathias, ja?« Verena berichtete rasch von dem neuen Vertrag.
»Im Prinzip bin ich einverstanden«, meinte der junge Anwalt, der die Folgen des schweren Unfalls schon recht gut überstanden hatte. »Nur… vorher wird geheiratet! Ich habe Dr. Winter eben gefragt, wann er mal frei hat. Schließlich hat er uns schon vorgestern versprochen, unser Trauzeuge zu sein.«
Verena lächelte. »Und Carlo ist der zweite, ja?«
»Gern.« Der Agent nickte. »Dann gibt’s nur ein kleines Problem… wie kommen wir jetzt günstig an ein Brautkleid eines Edeldesigners?«
»Das ist dein Problem«, meinte Verena. »Mathias und ich können uns darum nicht kümmern, wir müssen uns ganz auf unseren Genesungsurlaub konzentrieren.«
»Ein ganz hervorragender Gedanke.« Adrian Winter nahm den Agenten am Arm. »Kommen Sie, wir diskutieren unseren Einsatz als Trauzeugen draußen durch. Die beiden hier wollen ganz offensichtlich alleingelassen werden.«
»Schön langsam, Cora!« rief Karl Zapfmann seiner munteren Dackeldame zu. »Du weißt, daß ich nicht mehr der Schnellste bin. Du bist bedeutend jünger als ich, vergiß das bitte nicht!«
Aber Cora war an diesem Morgen nicht zu bremsen. Es war schönes Wetter, die Welt war voller interessanter Hunde, die alle beschnüffelt werden wollten, und auch die anderen Gerüche, die ihr in die feine Nase stiegen, waren so verlockend, daß sie kaum auf ihr Herrchen hörte. Sie war sonst eigentlich sehr gehorsam, aber manchmal ging ihre Lebenslust mit ihr durch. So war es heute, und sie zog den fünfundsiebzigjährigen Karl Zapfmann unerbittlich mal hierhin, mal dorthin.
Er kam bereits ins Schwitzen. Wirklich, was dachte sich dieser Hund, ihn in den frühen Morgenstunden bereits so durch die Gegend zu hetzen? Er hatte noch nicht einmal gefrühstückt, weil Cora es nach einer langen Nacht immer besonders eilig hatte, nach draußen zu kommen. Sie verbanden deshalb ihren ersten Spaziergang des Tages mit einem Besuch beim Bäcker.
Dort waren sie zum Glück schon gewesen, jetzt näherten sie sich langsam wieder dem kleinen Haus, in dem er wohnte. Der neue weiße Anstrich war weithin sichtbar, und er war froh, daß er sich zu der Verschönerungskur entschlossen hatte. Es sah gut aus, und die leuchtendblauen Fensterläden kamen jetzt viel besser zur Geltung. Ja, er liebte sein kleines Haus sehr