wirst hier fürs Lächeln bezahlt!«
Reiner Sebold, ein noch junger Fotograf, dessen Ehrgeiz größer war als sein Talent, wedelte aufgeregt mit der Hand durch die Luft.
»Fühlst du dich nicht gut?« Tina Ewert, eine süße blonde Achtzehnjährige, beugte sich zu Verena. »Kann ich irgendwas für dich tun? Du brauchst es nur zu sagen.« Und als der Fotograf nochmals etwas bemerken wollte, fauchte sie ihn an: »Sei doch still, verdammt. Siehst du denn nicht, daß Verena einfach nicht mehr kann?«
Verena konnte nur noch nicken, dann nahm sie dankbar Tinas Hilfe an. Die junge Kollegin führte sie zu einer Bank im Schatten. »Bleib hier, ich kümmere mich um ein Taxi, damit fährst du ins Hotel und ruhst dich aus.«
Verena wollte widersprechen, wollte sagen, daß sie gleich weiterarbeiten würde – aber sie brachte kein Wort über die Lippen. So elend fühlte sie sich. So schwach und ausgelaugt. Und sie hatte Angst! Zum erstenmal, seit sie von ihrer Krankheit wußte, hatte sie Angst vor dem Sterben! In diesem Moment wünschte sie sich, sie wäre in der Klinik geblieben und hätte einer Behandlung zugestimmt. Aber dann dachte sie an Mathias, und sofort fand sie ihr Verhalten wieder richtig. Mathias durfte ihr Dahinsiechen nicht miterleben, er würde es einfach nicht verkraften.
Verena schloß die Augen. Ihr Herz klopfte wieder wie wahnsinnig und sie hatte das Gefühl, als würde ihr Blutstrom wie ein rasender Wildbach durch ihr Adernsystem pulsieren. Tina war unterdessen zu dem Fotografen zurückgegangen und sah ihn ernst an. »Sie braucht einen Arzt, und zwar dringend. Sieh sie dir doch mal genau an – sie ist sehr krank.«
»Du spinnst«, wehrte Reiner ab. »Sie hat wahrscheinlich nur zu viel gefeiert in der letzten Zeit. Wie ich hörte, war sie vor unserem Shooting in Nizza. Und was man an der Riviera so alles treiben kann, weißt du genausogut wie ich.«
»Du bist wirklich zu blöd«, schimpfte Tina respektlos. »Mein Vater ist Arzt, und glaub mir, ich hab’ in meinem Leben schon viele Schwerkranke gesehen. Ich weiß, daß Verena nicht gesund ist.«
»Wir sind hier in Timmendorf an der Ostsee und nicht im finsteren Urwald«, erklärte der Fotograf herablassend. »Wenn irgendwer einen Arzt braucht, kann er ihn ja aufsuchen.«
»Du verstehst gar nichts.« Tina drehte sich um. »Mach meinetwegen mit den anderen dreien allein weiter. Ich kümmere mich jedenfalls um Verena.«
»Damit machst du dich vertragsbrüchig!« brüllte er los.
Tina zuckte nur die Schultern. »Damit kann ich leben. Mit unterlassener Hilfeleistung nicht.«
Was blieb dem Fotografen also anderes übrig, als mit den drei übriggebliebenen Mädchen weiterzumachen? Die Sonne stand günstig, der Auftraggeber wollte schon kommende Woche die ersten Bilder sehen – also galt es, die Bademode der kommenden Saison so schnell wie möglich zu fotografieren. Wenn’s nicht anders ging, auch ohne Tina und Verena.
Er seufzte tief auf. Auf die kleine Tina konnte er gut verzichten, sie war kein Supermodell, sondern jobbte mehr zum Spaß, bis sie ihren Studienplatz in Medizin hatte. So hatte sie es jedenfalls erzählt.
Verena jedoch war ein Star, und er war ungemein stolz gewesen, daß er sie hatte verpflichten können.
»Ich war ein Idiot«, schimpfte er leise vor sich hin. »Hätte mir ja gleich denken können, daß da was nicht stimmt, wenn sie auf einmal so kleine Jobs wie diesen annimmt.«
Verena sah die junge Kollegin dankbar an. »Könntest du mich ins Hotel bringen?« bat sie. »Mir ist wirklich nicht gut.«
»Klar. Aber am gescheitesten wäre es, wenn du mal einen Arzt aufsuchtest. Ich darf doch sagen, daß du gar nicht gut aussiehst?« Ein wenig ängstlich blickte sie Verena an.
Die Kranke zwang sich zu einem kleinen Lächeln. »Natürlich darfst du das. Und ich weiß auch genau, daß ich wie eine lebendige Leiche rumlaufe. Kein Wunder…«
Sie biß sich auf die Lippen, und diesmal gelang es ihr einfach nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. Zu lange hatte sie sich beherrscht. In Nizza war es ihr noch gut gelungen, da hatte sie sich noch recht kräftig gefühlt.
Anschließend war sie für 24 Stunden nach Paris gejettet, danach weiter nach Madrid. Und jetzt war sie hier in Timmendorf, einem Urlauberparadies an der Ostsee…
Verena schüttelte über sich selbst den Kopf. Wie war sie nur hierhergekommen? War sie wahnsinnig gewesen, so mit ihrem Leben zu spielen?
Von ihrem Agenten hatte sie erfahren, daß Mathias sie verzweifelt suchte, doch Carlo hatte Wort gehalten und ihm nicht verraten, wo sie war.
»Er läßt sich nicht mehr lange hinhalten«, hatte er gestern noch gesagt, als sie miteinander telefoniert hatten. »Komm heim, Verena, sei vernünftig. Streit gibt’s immer mal, das ist noch lange kein Grund, sich in irgendwelchen Dörfern zu verkriechen. Du schadest damit nur dir selbst – und vor allem deiner Karriere.«
Die Karriere… Verena seufzte unterdrückt auf. Nichts war ihr im Augenblick unwichtiger als ihre Karriere. Aber das durfte sie niemandem verraten.
Tina hatte ein Taxi gerufen, und gemeinsam fuhren sie ins Hotel.
»Wenn du willst, bleibe ich bei dir«, bot das Mädchen an. »Du solltest wirklich nicht allein sein – wenn du schon nicht zum Arzt willst.«
Verena schüttelte den Kopf. »Ich brauche keinen Arzt. Wirklich nicht.«
Kaum hatten sie die Hotelhalle betreten und waren an die Rezeption getreten, kam der Portier auf sie zu. »Frau Merbold, hier ist eine dringende Nachricht für Sie.« Damit reichte er ihr einen verschlossenen Briefumschlag.
»Danke.« Verena nahm ihn und trat drei Schritte zur Seite, um ungestört lesen zu können.
Der Umschlag enthielt eine Faxnachricht ihres Agenten:
Mathias ist schwer verunglückt, wie ich von der Polizei erfuhr. Man hat dich zu benachrichtigen versucht und ist irgendwann auf mich gekommen. Er schwebt in Lebensgefahr – komm schnell heim – Carlo.
»Nein!«
Hatte sie es geschrien oder nur geflüstert? Verena wußte es nicht. Sie hatte nur das Gefühl, daß ihr jemand mit einer Faust in den Magen schlug. Ihr Herzschlag drohte auszusetzen, alles drehte sich um sie…
Als sie wieder zu sich kam, lag sie in ihrem Hotelbett, und ein Arzt war im Raum.
»Sie waren kurz ohnmächtig, da hat man mich gerufen – Dr. Burmeister, ich bin der Hotelarzt.«
Verena nickte. »Danke, aber es geht schon wieder. Ich… ich hab’ mich nur so über die Nachricht erschrocken, die ich bekommen habe.«
»Aufregungen sind Gift für Sie, das wissen Sie hoffentlich.«
Verena nickte nur. »Ich bin völlig im Bilde, Herr Doktor, danke für Ihre Mühe.«
Der Arzt schüttelte nur den Kopf. »So leichtfertig dürfen Sie diese Diagnose nicht sehen«, erklärte er. »Sie…«
»Ich bin nicht leichtfertig.« Verena mußt sich beherrschen, um nicht laut loszuschreien. Warum nur ließ sie niemand in Ruhe? Warum verstand keiner, daß sie allein sein wollte? Oder – Jäh fiel ihr ein, warum sie überhaupt ohnmächtig geworden war. »Mathias…«, murmelte sie. »Ich muß zu ihm!«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Sie brauchen absolute Ruhe. Am liebsten würde ich Sie in die Klinik einweisen, damit man Sie dort optimal versorgt.« Fragend sah er sie an. »Wie ich hörte, sind Sie Fotomodell. Das ist ein stressiger Beruf. Wie konnten Sie noch weiterarbeiten? Hat Ihr behandelnder Arzt Ihnen das nicht verboten – vor der Operation?«
Verena zögerte. Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie gar keine Operationsvorbereitungen getroffen hatte, weil… Ohne daß sie es wollte, begann sie zu weinen.
Der Arzt ließ sie eine Weile in Ruhe, dann bat er: »Warum erzählen Sie mir nicht alles? Ich bin sicher, daß es Ihnen helfen wird, wenn Sie sich mal aussprechen. Und – ich