der Junge in einen kurzen Narkoseschlaf gefallen, und er konnte das Bein optimal einrichten, bevor der den Gips anlegte.
Als der Patient wieder zu sich kam, lag er bereits in einem Bett und auf seinem Gips befand sich erst einmal ein bunter Luftballon, auf den jemand ein lachendes Gesicht gemalt hatte.
»Toll.« Bernd sah seine Großmutter an, die inzwischen wieder bei ihm saß. »Das muß Vati unbedingt sehen. Und Mami und Sabine auch. Holst du sie gleich her?«
Seine Großmutter nickte. »Ich habe schon zu Hause bei euch angerufen. Sie machen sich alle auf den Weg hierher.« Kurz tupfte sie sich eine Träne aus den Augen. »Da war ich so glücklich, daß du zwei Ferienwochen hier bei mir verbringen kannst… und dann passiert dieser furchtbare Autounfall.«
»Ist doch nicht so schlimm«, meinte der Junge. »Ich find’s hier irre spannend. Und Ferien mache ich auch noch bei dir. Ehrlich.«
Drei Stunden später wurde seine Tapferkeit noch mehr belohnt. Da nämlich kam Dr. Winter und zauberte mit bunten Stiften sowohl ein Glücksschwein als auch ein Clownsgesicht und eine lustige Maus auf den Gips. Klein-Bernds Welt war wieder in Ordnung. Er empfand diesen Unfall als großes, unerwartetes Abenteuer, und er war bereit, dies auch auszukosten!
Auch Gerhard Tessner erklärte am Abend dieses turbulenten Tages, daß alles Üble für ihn doch ein Gutes gehabt hätte: Er hatte Schwester Renate kennengelernt und sich Hals über Kopf in die zarte Pflegerin verliebt.
Umgekehrt schien es ebenso zu sein, denn von diesem Abend an sah man den Mann täglich vor der Kurfürsten-Klinik, wo er auf Renate wartete.
»Muß Liebe schön sein!« kommentierte Bernd Schäfer, als er zusammen mit Adrian Winter die Klinik verließ und sah, wie das Paar eng umschlungen davonschlenderte. »Und was ist mit uns beiden?«
Adrian lachte. »Wir haben doch unsere Arbeit – und die nimmt uns hundertprozentig in Anspruch. Was willst du also noch mehr?«
»Blödmann«, knurrte Bernd. »Ich möchte endlich auch die Frau fürs Leben finden. Du kannst dir ja von mir aus Zeit bis zum Sankt Nimmerleinstag lassen, aber ich…«
»Du gehst jetzt schön nach Hause und ruhst dich aus, damit du morgen für die zwei Operationen fit bist, für die ich dich eingetragen habe.«
»Sklaventreiber! Und was machst du?«
Adrian Winter zuckte die Schultern. »Mal sehen… Wahrscheinlich nehme ich mir ein Buch und eine gute Flasche Rotwein…«
»Wer’s glaubt wird selig. Ich wünsche dir jedenfalls viel Vergnügen – wobei auch immer.« Damit ging Dr. Schäfer zu seinem Wagen, schloß auf und fuhr winkend davon.
*
Er wollte es eigentlich nicht. Nein, er hatte wirklich vorgehabt, sich zu Hause mit einem Buch und einem guten Glas Rotwein zurückzuziehen.
Aber es kam anders. Wahrscheinlich war es sein Unterbewußtsein oder eher noch die heimliche Sehnsucht – was ihn ins King’s Palace führte. Jedenfalls fand er sich urplötzlich in der Tiefgarage des eleganten Hotels wieder.
Dr. Adrian Winter fuhr sich wie erwachend übers Haar. Das hatte er nun wirklich nicht vorgehabt!
Aber… trotzig warf er den Kopf in den Nacken… warum sollte er nicht in der gemütlichen Hotelbar einen Drink nehmen und sich vom angenehmen Flair des Weltstadt-Hotels ein wenig verwöhnen lassen. Es war erwiesenermaßen Balsam für die Seele, wenn man sich selbst nach einem harten Arbeitstag ein bißchen verwöhnte.
Daß er insgeheim natürlich hoffte, Stefanie Wagner, die aparte Assistentin des Hoteldirektors, zu treffen, gestand er sich nicht ein.
Adrian hatte die bezaubernde junge Frau mit den langen blonden Locken durch Zufall kennengelernt. Stefanie hatte einen Unfall gehabt, Adrian war zur Stelle gewesen, um Erste Hilfe zu leisten – und er hatte vom ersten Augenblick an sein Herz an die junge Frau verloren.
Am faszinierendsten fand er ihre veilchenblauen Augen. Augen von einer solch ungewöhnlichen Farbe hatte er noch nie gesehen. Immerzu hätte er hineinschauen können. Doch leider war dies nicht möglich. Stefanie Wagner brachte ihm zwar eine gewisse Sympathie entgegen, das ließ sich nicht leugnen, aber ihr Herz gehörte einem anderen.
Für Adrian Winter, der bisher immer viel Erfolg bei Frauen gehabt hatte, war dies eine furchtbare Erkenntnis. Hin und wieder überlegte er auch, ob es Sinn hatte, um Stefanie zu kämpfen. Aber immer, wenn er sich dazu durchgerungen hatte, kam ihm ein Notfall dazwischen – und an diesem Tag wurde es dann wieder nichts mit einem Eroberungsversuch.
In der Hotelhalle herrschte um diese Zeit noch reger Betrieb. Dr. Winter kümmerte sich jedoch nicht um die Menschen, die teils in bequemen Sesseln saßen, teils in Gruppen beisammenstanden und diskutierten. Er ging gleich hinüber zur Bar, die links von der Rezeption war.
Hier herrschte warmes Mahagoniholz vor. Im Hintergrund spielte ein junger Mann Klavier. Ausgezeichnet sogar, wie Adrian feststellte.
»Herr Doktor! Wie schön, Sie wieder einmal zu sehen!«
Von ihm unbemerkt, war Stefanie Wagner in die Bar gekommen und begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln.
»Hallo…« Er fühlte sich unbehaglich und so nervös wie ein Primaner, der das erste wirklich wichtige Rendezvous seines Lebens hatte.
»Darf ich Sie zu einem Drink einladen?« Die junge Frau hakte sich wie selbstverständlich bei ihm ein und führte ihn zum Tresen, wo sie bei dem jungen Barkeeper zwei Gläser Kir Royal bestellte. »Ich hoffe, Sie mögen Kir«, sagte sie. »Manche halten es ja für ein Snobby-Getränk, aber ich mag’s wirklich.«
»Ich auch.« Dr. Winter rückte ihr den Barhocker zurecht. Es war ihm völlig egal, ob er nun ein Bier oder Champagner mit Johannisbeer-Likör trank – Hauptsache war, er befand sich dabei in Gesellschaft der schönsten Frau Berlins.
»Sie kommen wohl gerade vom Dienst?« begann Stefanie eine Unterhaltung.
»Sieht man das?« Er konnte nun schon wieder jungenhaft lächeln. »Ich hoffe, ich bin für diesen Luxusschuppen überhaupt gut genug gekleidet.«
Sie lachte. »Aber immer! Außerdem meinte ich das nicht.« Sie beugte sich ein wenig vor. »Sie haben Schatten unter den Augen, offen gestanden, und ich bin sicher, daß ein harter Tag hinter Ihnen liegt.«
Er nickte. »Ehrlich gesagt, ja. Aber jetzt kann ich optimal entspannen. Vor allem in Ihrer Gesellschaft.«
Die Drinks kamen, und das enthob Stefanie Wagner einer direkten Antwort. Sie mochte diesen jungen Arzt sehr gern, doch irgend etwas war da zwischen ihnen, das es ihnen unmöglich machte, sich näherzukommen. Das merkte sie ganz genau – und wußte doch nicht, was sie dagegen tun konnte.
An diesem Abend wollte sie es aber auch nicht ergründen. Sie genoß das Zusammensein mit Adrian Winter, mit dem sie viele gemeinsame Interessen hatte, wie sich immer wieder herausstellte.
Sie sprachen über Gott und die Welt. Adrian erzählte ein paar amüsante Begebenheiten aus der Klinik, Stefanie berichtete von exzentrischen, aber liebenswerten Gästen.
Die Zeit verging wie im Flug, und sie hatten schon zwei Stunden zusammen verbracht, als auf einmal ein großer Mann mit silbergrauen Schläfen erschien und auf sie zukam.
»Hier finde ich Sie endlich, Frau Wagner.« Er nickte Adrian höflich zu. »Kann ich Sie kurz dienstlich sprechen?«
Adrian Winter sah, daß die junge Frau zögerte, dann aber nickte sie und folgte dem Mann in die Halle.
»Sie haben das Bankett für übermorgen immer noch nicht organisiert«, hielt Andreas Wingensiefen, der Hoteldirektor, seiner Mitarbeiterin vor. »Sie wissen genau, wie wichtig dieser Kunde für uns ist.«
Stefanie nickte ruhig. »Mir ist das klar. Zumal Sie es mehrfach betonten – und auch erklärten, daß Sie selbst sich um alles kümmern würden.«
Ihr Chef schüttelte den Kopf. Sie bemerkte, daß seine linke Augenbraue