Sie mal hier…« Er wies auf eine Stelle im unteren Brustbereich. »Ein ausgewachsenes Aneurysma.«
»Und was für eins!« Adrians Stimme klang heiser vor Erregung, denn ihm war nur zu deutlich bewußt, wie schwerwiegend diese Diagnose war.
Dr. Taubert sprach mit der Patientin, doch er tat es auf eine sehr sachliche, distanzierte Weise. Hilflos wandte sich Verena deshalb an den Chirurgen.
»Sagen Sie mir… was hat das zu bedeuten? Schwebe ich in Lebensgefahr?« Aufmerksam blickte sie ihn an. »Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit. Ich kann sie verkraften.«
Adrian Winter zögerte, dann nickte er. »Solch ein Aneurysma ist wie eine tickende Zeitbombe im Körper, offen gestanden. Die Wand der betroffenen Arterie wird schwächer und dünner, bekommt schließlich im Laufe der Zeit eine Beule. Diese füllt sich mit Blutgerinnseln an. Irgendwann – wann genau, läßt sich nicht sagen – reißt sie dann auf, und das durch die Adern strömende Blut ergießt sich ins Körperinnere. Herzstillstand. Ende. Vorbei…«
Aus großen, erschrockenen Augen sah sie ihn an. »Und? Was kann man dagegen tun?«
Der Chirurg lächelte aufmunternd. »Vieles, zum Glück. Aber das kann ich Ihnen nicht hier zwischen Tür und Angel erklären.« Er wandte sich an Dr. Taubert. »Ich muß wieder zurück zur Notaufnahme. Wollen Sie es übernehmen, die Patientin umfassend aufzuklären?«
Olav Taubert zuckte die Schultern. »An und für sich gern, doch ich habe in zehn Minuten schon den nächsten Termin. Tut mir leid«, wandte er sich an Verena, »aber ich habe Sie wirklich nur dazwischengeschoben, weil Ihr Hausarzt es so dringend gemacht hat – mit gutem Grund, wie wir nun wissen.«
Hilflos sah die schöne junge Frau von einem zum anderen. »Und nun?« fragte sie.
Adrian zögerte nur kurz. »Wenn Sie eine Stunde Zeit haben, dann können wir nach meinem Dienst ausführlich miteinander reden.«
Verena nickte nur. »Ich warte in der Halle«, sagte sie leise.
Und dann ging sie so vorsichtig durch die Klinikflure, als hätte sie Angst, schon eine ungeschickte Bewegung könnte ihr Aneurysma zum Platzen bringen.
Mit schwerfälligen Bewegungen ließ sie sich in einer der kleinen, durch Pflanzkübel abgegrenzten Wartenischen nieder.
Jetzt wußte sie es also: Ihr Leben war in Gefahr! Diese Schwäche, die Kurzatmigkeit, dieses heftige Pochen im Leib… ein Aneurysma war der Grund dafür!
Verena, die nie viel von Medizin verstanden hatte, die sich auch nicht sonderlich dafür interessiert hatte, denn sie hatte nie gesundheitliche Probleme gehabt, versuchte sich vorzustellen, wie es jetzt in ihrem Innern aussah.
Doch nein, lieber nicht. Es machte sie nur noch ängstlicher, noch unsicherer.
Sie dachte an die letzte Modenschau in Wien, die ihr so großen Erfolg beschert hatte. Lengenbach hatte durch eine Assistentin ausrichten lassen, daß er sehr daran interessiert sei, in Zukunft häufiger mit Verena zu arbeiten.
Ob es noch einmal dazu kommen würde?
Dann gingen ihre Gedanken zu Mathias. Er war der liebenswerteste Mensch, den Verena sich an ihrer Seite vorstellen konnte. Aber… er war kerngesund. Wie würde er auf die Nachricht reagieren, daß ihr eine schwere Operation bevorstand?
Verena biß sich auf die Lippen, bis sie Blut auf der Zunge spürte. Dann gab sie sich einen Ruck, stand auf – und verließ die Kurfürsten-Klinik mit hastigen Schritten…
*
Suchend sah sich Dr. Winter in der Halle um. Wo war nur die schöne Patientin geblieben, die hier warten wollte? Er schaute in jeden Winkel, fragte auch an der Pforte nach, ob jemand eine Nachricht für ihn hinterlassen hätte, doch mit Bedauern mußte man erklären, daß das nicht der Fall sei.
»Verflixt!« Er schüttelte den Kopf und ging zurück zu seinem Kollegen Olav Taubert. Vielleicht wußte der ja mehr.
»Sie haben doch eben an einer Frau Merbold die Tomografie gemacht«, begann er.
»Klar. Das Aneurysma.«
»Stimmt. Die Patientin wollte auf mich warten, bis ich in der Notaufnahme frei hatte – und jetzt ist sie verschwunden. Hier ist sie wohl nicht mehr aufgetaucht?«
Dr. Taubert schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich war die ganze Zeit über mit Patienten beschäftigt. Aber ich glaube nicht, daß sie hier ist. Das hätte mir meine Assistentin gesagt.«
Mit kurzem Dank verließ Adrian Winter die Abteilung und eilte zurück zur Halle. Aber die schöne Frau, die ihn vor einer knappen Stunde noch um eine ausführliche Unterredung gebeten hatte, war nicht mehr da.
Wahrscheinlich ist sie zu ihrem Hausarzt gegangen, sagte Adrian sich. Der hat auch bestimmt mehr Zeit, um ihr alles zu erklären.
Aber wirklich glauben mochte er das nicht, und er fühlte sich ausgesprochen unwohl in seiner Haut, als er heimfuhr. Gerade hatte er es sich mit einem Glas Rotwein in seinem Lieblingssessel bequem gemacht, als das Telefon klingelte.
»Nicht schon wieder«, murmelte er und ließ den Worten einen tiefen Seufzer folgen. Seit sechs Tagen war er fast ununterbrochen im Dienst gewesen, er brauchte dringend mal eine ausgiebige Ruhepause.
»Winter«, meldete er sich und bemühte sich, so viel Unfreundlichkeit wie möglich in das eine Wort zu legen. Ein Lachen erklang am anderen Ende der Leitung. »Um Himmels willen, Bruderherz, was ist denn mit dir los?«
»Ester!« Als er ihre Stimme hörte, flog ein Lächeln über sein Gesicht. Mit seiner Zwillingsschwester verband ihn eine innige Freundschaft, und wenn sie sich auch nicht oft sehen konnten, denn auch Esther war eine engagierte Medizinerin, so sprachen sie sehr oft miteinander.
»Ich hatte das Gefühl, ich müßte dich aufmuntern, nur deshalb hab’ ich angerufen«, sagte Esther Berger, die als Kinderärztin an der Charité arbeitete.
»Das berühmte Gespür, das nur Zwillinge haben«, spöttelte Adrian. »Aber du hast mal wieder recht – ich bin wirklich ziemlich down im Moment. Es gibt viel zu tun, und außerdem ist mir heute was passiert, das mich einfach nicht zur Ruhe kommen läßt.«
»Erzähl«, forderte Esther sofort.
Adrian Winter nahm noch einen Schluck Rotwein, dann erzählte er von der schönen Patientin, die auf so geheimnisvolle Weise verschwunden war.
»Sie ist wirklich krank«, schloß er, »und ich weiß jetzt einfach nicht mehr, wie ich ihr noch helfen soll.«
»Du kannst gar nichts mehr tun«, meinte Esther. »Die Frau ist alt genug, um zu wissen, was die Diagnose für sie bedeutet. Und vielleicht ist alles auch ganz harmlos zu erklären. Vielleicht hatte sie einfach keine Lust mehr, auf dich zu warten. So umwerfend bist du schließlich auch wieder nicht, Bruderherz.«
»Du hast eine nette Art, mich aufzumuntern.« Aber in seiner Stimme schwang jetzt immerhin ein wenig Heiterkeit mit. Und als er Esther noch eine Weile zugehört hatte, die von ihren kleinen Patienten erzählte und von dem Bauernhof, auf dem sie mit ähnlich engagierten Freunden therapeutisches Reiten mit Kindern machte, da fiel aller Alltagsstreß von ihm ab.
Schließlich trennten sie sich mit dem gegenseitigen Versprechen, sich spätestens am nächsten Wochenende zu einem üppigen Essen zu treffen.
»Ich habe dann dienstfrei«, berichtete Esther. »Vier volle Tage lang. Die werde ich ausgiebig genießen – und du kannst mir dabei helfen.«
»Ich bin doch nur ein unvollständiger Ersatz«, meinte Adrian. »Such dir lieber was fürs Herz.«
Esther lachte auf. »Um Himmels willen, nur das nicht! Eine gescheiterte Ehe reicht mir. Von Männern hab’ ich erst mal die Nase voll. Es sei denn, sie wären mit mir verwandt oder unter 15 und meine Patienten.«
»Du bist unverbesserlich!«
»Danke gleichfalls, Bruderherz. Und jetzt schlaf gut. Bis dann.«
»Bis