Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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leider einen viel größeren, als sie durfte – schüttelte den Kopf. »Danke, ich hab’ keinen Hunger. Ich trinke noch einen Tee… vielleicht geht’s mir dann wieder besser.«

      Mathias nickte nur. Er aß gleich in der Küche, und als er danach ins Schlafzimmer kam, stellte er fest, daß Verena bereits tief und fest schlief.

      Er beugte sich über sie und hauchte einen kleinen Kuß auf ihre Lippen. Und wieder mußte er feststellen, daß die geliebte Frau auch jetzt, da sie ruhte, elend und krank aussah…

      *

      »Wünsche ein erholsames Wochenende!« Dr. Christian Halberstett, der einzig glücklich Verheiratete im Team, lächelte in die Runde hinein. »Ich werde mich in den Garten legen und faulenzen. Wer will, ist herzlich eingeladen, uns dabei Gesellschaft zu leisten.«

      Adrian Winter schüttelte den Kopf. »Schade, daß ich Dienst habe. Dennoch – danke für das Angebot. Und liebe Grüße an Carmen.«

      So hieß Dr. Halberstetts rassige Ehefrau, die eine gebürtige Spanierin war und mit ihrem Temperament alle Menschen verzauberte. Zudem war sie die perfekte Gastgeberin, und die Kollegen ihres Mannes fanden bei ihr daheim so etwas wie eine gemütliche Höhle, in der sie alle hin und wieder unterschlüpfen konnten.

      Zum Haushalt der Halberstetts gehörten noch die Kinder Frank, Nora und Kerstin.

      Nora war 16 und hatte an diesem Wochenende einen lukrativen Job: Sie machte bei Bekannten den Babysitter – eine Tätigkeit, die Spaß machte, nicht anstrengend war und darüber hinaus sehr gut honoriert wurde.

      Noras großer Bruder Frank, gerade 19 geworden, beneidete seine Schwester um diese regelmäßige Geldquelle. Er selbst stand mitten im Abi und konnte es sich nicht leisten, allzu viel Zeit zu vertun. Hin und wieder mal ein paar Stunden als Kassierer an der Tankstelle – mehr war einfach nicht drin.

      Als Dr. Halberstett heimkam, empfing ihn seine Frau mit strahlendem Lächeln. »Ich hab’ zwei Karten für die Oper!« Sie schwenkte die Karten wie eine Trophäe.

      »Ade, du gemütlicher Abend auf der Terrasse!« Er seufzte gespielt komisch auf. »Dabei hatte ich die Kollegen, die abkömmlich sind, eingeladen.«

      Carmen runzelte die Stirn. »Sag, daß das nicht wahr ist! Diese Troubadour-Inszenierung soll einzigartig sein, und ich bin so…«

      Rasch winkte ihr Mann ab. »Keine Bange, niemand kommt. Die, die keinen Notdienst machen müssen, haben alle was anderes vor. Wir können also unbesorgt diesem Kunstgenuß frönen.«

      Auf dem Weg zum Opernhaus setzten sie Nora bei der Familie Schröder ab, vereinbarten, das Mädchen auf dem Rückweg wieder abzuholen, denn Schröders würden spätestens um 23 Uhr wieder daheim sein.

      Nora hatte mit dem fünfjährigen Uwe keinerlei Schwierigkeiten. Er war ein aufgeweckter kleiner Bursche, und zur Zeit liebte er den Struwwelpeter über alles. Immer und immer wieder konnte er die Geschichten von Paulinchen und dem Zappelphilipp hö­ren.

      »So, jetzt wird’s aber langsam Zeit, ins Bett zu gehen«, erklärte Nora gegen 19 Uhr. »Magst du noch was essen?«

      Uwe nickte. »Nußkuchen«, erklärte er strahlend. »Ist noch viel im Schrank. Magste auch?«

      Nora nickte. »Aber nur ein klitzekleines Stück, ja?«

      Der Knirps schüttelte den Kopf. »Kannst ja ein kleines Stück essen – ich mag ein großes!«

      Nora gab nach. Warum auch nicht? Nußkuchen war wirklich was Feines, und Uwes Mutter nahm es nicht so genau, wenn er noch ein wenig naschte, bevor er zu Bett ging.

      Also gab’s Kuchen, hernach eine knappe Dusche, dann lag der kleine Kerl im Bett und fühlte sich sichtlich wohl. »Noch ’ne Geschichte. Aber jetzt die vom Kasperle und dem Frosch!« verlangte er.

      Nora nickte ergeben. Sie holte das entsprechende Buch und begann gehorsam vorzulesen – immer in der Hoffnung, daß Uwe rasch die Augen zufielen und sie dann den alten Spielfilm mit Michael Douglas im Fernsehen anschauen konnte. Dazu aber kam es nicht mehr…

      Sie hatte die Geschichte noch nicht ganz bis zur Hälfte gelesen, als Uwe auf einmal heftig zu keuchen begann. Rote Flecken erschienen auf seinem Gesicht, das dem Mädchen auch ziemlich teigig vorkam. Von der Frische und Sauberkeit, die nach dem Duschen vorhanden gewesen waren, keine Spur mehr. Statt dessen feuchter Schweiß und… ja, was waren das? Pickel? Pusteln?

      Nora war die Tochter eines Arztes, und so wußte sie, daß man mit solchen Dingen nicht spaßen durfte. Erst recht waren Experimente jedweder Art verboten.

      Sie zögerte, maß rasch mal Uwes Temperatur – leicht erhöht nur. Zum Glück. Aber… er war innerhalb weniger Minuten total teilnahmslos geworden, nur der Atem ging rasselnd.

      »Verflixt, warum sind Mami und Paps auch gerade heute nicht zu Hause«, schimpfte sie leise vor sich hin, während sie das Kinderzimmer verließ, um von der Diele aus zu telefonieren. Zwar hatten Uwes Eltern ihr für Notfälle eine Telefonnummer hinterlassen, aber Nora hatte Hemmungen, in dem Luxusrestaurant anzurufen. Da wählte sie schon lieber die Nummer der Kurfürsten-Klinik.

      »Die Notaufnahme bitte«, stieß sie hervor.

      Und dann hörte sie, gottlob, gleich Dr. Winters Stimme.

      »Hallo, Herr Dr. Winter… hier ist Nora Halberstett«, meldete sie sich, und es tat ihr leid, daß ihre Stimme nicht so souverän klang, wie sie es gern gehabt hätte. Sie mochte den gutaussehenden Chirurgen. Sehr sogar. Und sie hätte ihm so gern imponiert. Aber das ging nun nicht. Absolut nicht. Sie hatte ja auf einmal so einen Bammel, daß das mit Uwe etwas Schlimmes sei.

      »Was ist los, Nora? Brauchst du Hilfe?« unterbrach Dr. Winter ihre wirren Gedanken.

      »Ja… ich mach’ gerade Babysitting. Und der Uwe… er ist plötzlich so komisch.«

      »Erklär mir das näher«, bat Adrian Winter, und seine ruhige Stimme tat Noras Nerven gut. Sie schluckte ein paarmal, dann gelang es ihr, ziemlich flüssig zu sagen: »Er war vor zehn Minuten noch gut drauf. Lag im Bett und hörte sich eine Geschichte an. Aber dann, auf einmal, begann er schwer zu atmen. Und jetzt hat er ein ganz dickes Gesicht und viele rote Pusteln.«

      Adrian zögerte nur kurz. »Weißt du was, ich komme entweder schnell selbst vorbei, oder ich schicke einen Kollegen, ja?«

      »Danke! Und… kommen Sie bitte selbst, ja?«

      »Wenn’s eben möglich ist, Nora. Sag mir noch schnell die Adresse.«

      Sie gab sie ihm, dann legte sie voller Erleichterung auf. Sie hatte getan, was möglich war. Jetzt konnte sie nur hoffen, daß Uwe durchhielt, bis der Arzt zur Stelle war.

      Schnell ging sie zurück ins Kinderzimmer, wo der kleine Junge apathisch in seinem Bettchen lag und vor sich hinwimmerte. Nora nahm ihn in den Arm und versuchte ihn aufzurichten, damit das Atmen leichter wurde. Dabei sprach sie beruhigend auf ihn ein – und bemühte sich tapfer, ihr eigenes, wild klopfendes Herz zu beruhigen.

      *

      »Was ist los, Adrian?« Dr. Julia Martensen, die Internistin der Kurfürsten-Klinik, sah ihren jüngeren Kollegen fragend an.

      »Ein Notruf von Nora Halberstett. Sie macht gerade bei einem kleinen Jungen den Babysitter – und es gibt Probleme. Willst du hinfahren, oder soll ich…«

      Julia zögerte nicht. »Fahr du. Ich halte hier inzwischen die Stellung.«

      »Danke.« Schon war er aus der Tür. Sekundenlang nur hatte Adrian erwogen, einen Notarzt zu der bezeichneten Adresse zu schicken. Doch schließlich hatte Nora ihn angerufen – einen Kollegen ihres Vaters. Das verpflichtete.

      Als er die Adresse erreicht hatte, stellte er erleichtert fest, daß die Haustür einen Spalt breit offen stand. Kluges Mädchen, die kleine Nora!

      Mit wenigen langen Sätzen war Dr. Winter die Treppe hochgeeilt. »Ich bin’s, Nora – Adrian Winter!«

      »Endlich!« In der Mädchenstimme