Sein Chef schüttelte den Kopf. »Sorry, ich bin wahrscheinlich heute etwas begriffsstutzig.«
»Nicht nur heute, mein Lieber. Deshalb – nimm du den Schampus und die Rosen, ich trage inzwischen das Tablett rein. Du kannst dann auch den netten Spruch zu Wallis Geburtstag sagen.«
»Ach du liebe Güte!« Wenn Dr. Winter nicht schon die Hände voll gehabt hätte, hätte er sich vor die Stirn geschlagen. »Das hab’ ich total vergessen.«
»Chefs dürfen das. Dafür haben sie ja ihre Assis, die denken und handeln«, flachste Bernd Schäfer.
»Danke, du treuer Adlatus«, gab Adrian zurück.
Und dann standen sie alle, die gerade abkömmlich waren, im Halbkreis vor Walli und gratulierten der freundlichen Schwester von ganzem Herzen.
»Gute Mitarbeiterinnen sind rar«, fügte Adrian hinzu, »sympathische, liebenswerte sind allerdings noch rarer. Und solch ein Goldstück wie du, Walli… das ist einmalig!« Damit gab er ihr die Rosen und küßte sie liebevoll auf beide Wangen. »Alles, alles Gute zum Geburtstag«, sagte er laut. Und leise, nur für sie hörbar, fügte er hinzu: »Und ganz besonders viel Glück in der Liebe!«
»Danke – gleichfalls«, gab sie ebenso leise zurück.
Dann kamen alle anderen an die Reihe, und in der Notaufnahme ging es für eine Viertelstunde ausgesprochen fröhlich zu.
»Kundschaft!« meldete Bea, die Jüngste des Teams, dann, und schlagartig wurden alle ernst. Walli schaffte es gerade noch, die Rosen in eine Plastikvase zu stellen, die Sektgläser, aus denen jeder nur einen eher symbolischen Schluck genommen hatte, wurden abgeräumt und die Lachsplatte verschwand im Eisschrank.
Sekunden später trafen drei neue Patienten ein, und niemand dachte mehr an heiteres Geplänkel. Hier lagen drei Menschen, deren Leben an dem berühmten seidenen Faden hing – ihnen zu helfen, war für Dr. Winters Team jetzt das einzig Wichtige.
*
»Und wohin soll’s diesmal in den Ferien gehen?« erkundigte sich Verenas Manager bei seinem Topmodel. »Cannes? Die Bahamas? Oder eventuell ein Inselchen auf den Malediven? Ich hab’ mir sagen lassen, das sei ›in‹ im Augenblick.«
Verena schüttelte lächelnd den Kopf, so daß ihr langes blondes Haar leicht hin und her wogte. »Völlig falsch. Du weißt doch, Carlo, mein Verlobter, liebt die bayerischen Alpen über alles. Bergwandern ist mal wieder angesagt!«
Carlo Otting, ein hochgewachsener Mann mit etwas zu langen dunklen Haaren, lächelte ein wenig ironisch. »Jedem seinen Spleen, nicht wahr, meine Liebe?«
Verena nickte nur. Sie hatte keine Lust, länger das Thema Urlaub zu erörtern. Die Liebe zu den Bergen, die sie mit Mathias teilte, konnte in ihrer Branche sowieso keiner teilen.
»Denk dran, daß du dich nicht verletzen darfst«, sagte der Manager abschließend. »In vier Wochen ist ein Fotoshooting in Los Angeles angesetzt. Und… nicht zu braun werden, okay?«
Verena Merbold nickte nur. Sie war seit fünf Jahren im Geschäft, ihr mußte nun wirklich niemand mehr erzählen, was gut und richtig für ein Fotomodell der Spitzenklasse war.
Ihre Stimmung war nicht die beste, als sie eine Stunde später ihre elegante Penthouse-Wohnung in Charlottenburg betrat. Sofort stellte sie fest, daß Mathias noch nicht da war. Erleichtert atmete sie auf. Dann hatte sie also noch ein wenig Zeit für sich!
Müde und ausgezehrt ließ sie sich auf die Couch fallen und schloß die Augen. Seit drei Tagen ging es ihr gar nicht gut, doch sie hatte sich vor den anderen nichts anmerken lassen. Und auch ihr Verlobter, der stets bei ihr schlief, wenn sie in Berlin war, hatte nicht bemerkt, wie elend sie sich fühlte. Verena warf einen Blick hinaus auf die Terrasse, die sie und Mathias im Frühjahr liebevoll bepflanzt hatten.
Jetzt, im Juli, blühten Rosen an den Spalieren, und die diversen Kübel quollen schier über vor Fuchsien, Hängegeranien, Lobelien und vielen anderen Blumen und Gräsern.
Daß man hoch über Berlin war, merkte man erst, wenn man hinaustrat und die Skyline der Metropole vor sich hatte.
Aber… Verena war einfach zu erschöpft, um aufzustehen und hinauszugehen. Sie schloß die Augen wieder – und war unversehens eingeschlafen.
Sie wurde durch sanftes Streicheln und unzählige kleine Küsse geweckt.
»Mathias…« Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht und schenkte ihm für Sekunden viel von der berühmten Schönheit zurück.
Doch Mathias Kehlmann sah nicht das strahlende Lächeln, er registrierte besorgt die dunklen Schatten, die seit einigen Tagen unter Verenas Augen lagen. Und wieder einmal war sie eingeschlafen – sie schlief viel zu viel in letzter Zeit!
»Alles in Ordnung?« fragte er.
»Aber ja!« Sie stand auf und ging hinüber zur Hausbar, die direkt neben der Terrassentür stand. »Magst du einen Drink? Mir ist nach einem kleinen trockenen Martini.«
Er nickte. »Könnte ich jetzt auch vertragen.«
Er sah zu, wie Verena die Drinks zurechtmachte. Und wieder keimte diese unbewußte Angst in ihm auf. Waren ihre Bewegungen wirklich nicht so fließend und harmonisch wie sonst, oder bildete er sich das nur ein? Hatten ihre Finger gezittert, als sie ihm nun das Glas anreichte?
Mathias, der selbst einen aufreibenden Beruf hatte, zwang sich, nicht all die Schreckensbilder in sich aufsteigen zu lassen, die sich ihm beim Gedanken an eine Krankheit aufdrängten. Verena hatte hart gearbeitet in der letzten Zeit. Sie war bereits ein Star – und jetzt lockte die ganz große internationale Karriere, die sie gleichsetzen würde mit Claudia Schiffer, Naomi Campell und der zarten Nadja Auermann.
»Ich freue mich auf unseren Urlaub«, meinte er. »Mal keine Klienten, keine Akten, keinen Gerichtssaal…«
»Und ich kein Atelier, keinen nervösen Fotografen, keine exaltierten Kolleginnen, die sich für den Nabel der Welt halten…« Verena ließ sich neben ihm nieder und schmiegte den Kopf mit dem langen hellen Haar an seine Schulter. »Hast du schon einige Touren ausgearbeitet?«
Mathias nickte. »Weißt du doch! In den Bergen sollte man nichts dem Zufall überlassen. Ich hab’ sogar schon eine Liste all der Dinge aufgestellt, die wir mitnehmen werden, wenn wir unsere Drei-Tages-Touren machen.«
Verena lachte. »Mein Perfektionist.«
»Das kann überlebenswichtig sein«, belehrte er sie.
»Ich weiß.« Verena kannte seine Ansicht – und wahrscheinlich hatte er sogar recht. Man konnte nicht immer vorhersagen, ob man die Tagesetappe auch erreichte. Und dann war’s gut, vorbereitet zu sein.
Mathias war stets vorbereitet. Auf alles und jedes Detail. Er führte immer all die Dinge mit sich, die er für unabdingbar hielt – und die ihn unabhängig machten. Die Skala reichte von Kopfschmerztabletten über Reservesocken bis hin zum speziellen Vitamindrink. Dazu kam natürlich auch eine Überlebensration an Essen.
Als sie sich kennenlernten, hatte das schöne Fotomodell über diesen Tick oft gelacht. Doch inzwischen hatte sie schon etliche Touren mit Mathias gemacht und dabei festgestellt, daß seine Vorsorge oft sehr nützlich war.
Sie, die in der ganzen Welt herumkam, die in Luxushotels zu Hause war, fühlte sich in einer gemütlichen Berghütte ausgesprochen wohl. Sie liebte diese Alternativ-Ferien, und je länger sie mit Mathias zusammen war, um so mehr teilte sie diese Urlaubsleidenschaft.
Doch im Augenblick wünschte sie sich, nicht eine Bergtour liege vor ihnen, sondern ein langweiliger, gemütlicher Strandurlaub. Die Vorstellung, tagelang in einem Strandkorb liegen und vor sich hindösen zu können, war einfach herrlich. Bei dem Gedanken daran mußte sie schon wieder gähnen. »Sollen wir ins Bett gehen? Bist du müde?« fragte Mathias sofort.
»Ehrlich gesagt, ja. Der Tag war zu stressig.«
»Ich komme mit. Aber erst muß ich einen Happen essen. Magst du