war und die Leitung des King’s Palace übernommen hatte. Zwar konnte sie ihm ein umfassendes Wissen nicht absprechen, aber er war von so unerträglicher Arroganz, besonders den weiblichen Mitarbeitern gegenüber, daß es schon fast weh tat. Auch jetzt kehrte er wieder den Macho hervor. »Tut mir leid, aber da müssen Sie etwas mißverstanden haben. Sie sind ja nicht umsonst meine Assistentin, da kann ich schon erwarten, daß Sie mir fertige Konzepte vorlegen. Morgen früh um zehn – einverstanden?«
Die junge Frau zögerte sekundenlang. Im ersten Impuls war sie versucht zu sagen, daß sie das unmöglich in dieser kurzen Zeit schaffen könnte, doch dann siegte ihr Stolz. Wingensiefen sollte nicht triumphieren! Sie würde es diesem aufgeblasenen Ekel schon zeigen!
Mit einem knappen Lächeln meinte sie: »Wir sehen uns dann morgen in Ihrem Büro. Und jetzt möchte ich gern meinen Feierabend nach meinen Wünschen gestalten. Gute Nacht, Herr Wingensiefen.« Damit drehte sie sich um und ging zurück in die Bar.
»Na, hat er dir wieder klargemacht, wer hier der Herr im Haus ist?« Beatrice, eine junge Serviererin, beugte sich kurz zu Stefanie und zwinkerte ihr zu. »Nur nicht unterkriegen lassen, das weißt du ja.«
Stefanie nickte. »Ich tue jedenfalls mein Bestes.«
Adrian, dem die Szenen nicht entgangen waren, wollte wissen: »Sie hatten doch hoffentlich nicht meinetwegen Ärger?«
»Aber nein! Wie kommen Sie darauf?«
»Nun, es könnte ja sein, daß man es nicht gern sieht, wenn Sie hier auch privat verkehren.«
Stefanie Wagner winkte ab. »Keine Sorge, das ist wirklich kein Problem. Schwierigkeiten gibt es allerdings immer wieder mit meinem Chef. Er ist schlicht und einfach ein Ekel. Wenn auch ein gutaussehendes.« Sie nahm einen letzten Schluck aus ihrem Glas. »Dieses Ekel ist auch schuld daran, daß ich mich jetzt von Ihnen verabschieden muß, Doktor. Er hat mir mal wieder eine Arbeit zugeschanzt, die eigentlich er selbst erledigen müßte.«
»Warum wehren Sie sich nicht dagegen?«
Mit einem Schulterzucken meinte sie: »Wissen Sie wirklich nicht, wie rar gute Stellen heutzutage sind? Und in Berlin erst recht. Der Job hier ist hochinteressant, und ich bin überglücklich, ihn zu haben. Da werde ich mich nicht von einem Vorgesetzten mit Egoproblemen rausekeln lassen.«
Adrian nickte. »Ihre Einstellung gefällt mir. Doch wenn Sie mal jemanden zum Reden brauchen – ich stehe gern zur Verfügung.«
»Danke.« Stefanie Wagner stand auf und hauchte ihm zum Abschied einen Kuß auf die Wange. »Es war ein netter Abend mit Ihnen. Bis bald.«
»Von mir aus jederzeit.«
Sie lachte. »Das sagt ein Arzt, der keinen Acht-Stunden-Tag kennt!«
»Sie doch auch nicht. Darin ergänzen wir uns schon mal prima!« Und in vielen anderen Dingen bestimmt auch, fügte er im Geist hinzu – und nahm sich vor, Stefanie nun doch zu umwerben. Egal, ob es da einen attraktiven Nebenbuhler gab oder nicht.
Als er endlich im Bett lag, konnte Adrian Winter lange nicht einschlafen. Immer wieder sah er Stefanies Gesicht vor sich. Er erinnerte sich an alles, was sie gesprochen, worüber sie diskutiert hatten.
Vor allem sah er im Geist ihre schönen Augen vor sich. Augen, in deren Tiefe er zu ertrinken drohte.
Ein wundervolles Gefühl…
Adrian schlief ein, ehe er es sich versah.
*
Mathias Kehlmann wählte zum wiederholten Mal die Nummer von Verenas Agenten. »Sagen Sie mir endlich, wo Verena steckt«, erklärte er, ohne sich zu melden. »Sie müssen es wissen!«
»Gar nichts weiß ich, tut mir leid, Mathias.«. Der Agent am anderen Ende der Leitung schlug die Augen gen Himmel. Was hatte ihm Verena da nur eingebrockt! Seit drei Tagen bombardierte dieser junge Anwalt ihn jetzt mit Anrufen – und er mußte lügen, nichts als lügen.
»Ich werde Sie vor Gericht bringen«, drohte Mathias jetzt.
»Weshalb? Weil ich nicht mehr weiß als Sie selbst? Fragen Sie sich doch lieber mal, warum Verena spurlos verschwunden ist. Hatten Sie Streit? Haben Sie sie so sehr gekränkt, daß sie nicht länger mit Ihnen zusammenleben mochte?«
»Unsinn!« Mathias schüttelte den Kopf, obwohl das der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung nicht sehen konnte. »Wir waren glücklich wie selten zuvor. Und jetzt…«
»Sorry, aber ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.«
Damit knackte es auch schon in der Leitung – der Agent hatte aufgelegt.
Mathias seufzte tief auf und barg das Gesicht in den Händen. Er war verzweifelt. Und er fühlte sich so hilflos, daß es schon weh tat. Er spürte mit allen Sinnen, daß Verena ihn brauchte – mehr als je zuvor. Aber sie war fort. Sie war vor ihm geflohen. Oder… war sie vielleicht aus einem anderen Grund weggegangen? Hatte es gar nichts mit ihm, mit ihrer Beziehung zu tun?
Der Gedanke kam nicht zum erstenmal in ihm auf, doch diesmal blieb er hartnäckig in seinem Kopf. Und schließlich griff Mathias nochmals zum Hörer, nachdem er einige Seiten im Telefonbuch nachgeschlagen hatte.
»Praxis Dr. Förster, guten Tag«, meldete sich schließlich eine sympathische Frauenstimme.
»Hier ist Mathias Kehlmann.« Er zögerte, dann fuhr er entschlossen fort: »Ich bin der Lebensgefährte von Verena Merbold und würde mich gern einmal mit Dr. Förster unterhalten.«
Sekundenlang blieb es still, dann fragte die Teilnehmerin am anderen Ende der Leitung: »Sind Sie krank, Herr Kehlmann?«
Mathias mußte sich erst die Kehle freiräuspern, ehe er sagen konnte: »Ich bin wohlauf, danke. Aber ich befürchte, daß etwas mit Verena ist. Sie ist spurlos verschwunden, und ich…«
»Wir dürfen doch keine Auskünfte über Patienten geben, das wissen Sie sicherlich.«
»Natürlich weiß ich das. Aber das hier ist eine Ausnahmesituation! Verena muß völlig die Nerven verloren haben. Nicht mal ihr Agent weiß angeblich, wo sie ist.«
Wieder blieb es eine Weile still, dann meinte die Praxishelferin: »Es tut mir wirklich leid, Herr Kehlmann, aber wir können Ihnen tatsächlich nicht weiterhelfen. Doch wenn Sie glauben, daß Frau Merbold krank ist… rufen Sie doch einfach mal in den größeren Kliniken der Stadt an. Ich weiß zum Beispiel, daß Dr. Förster sehr gut mit der Kurfürsten-Klinik zusammenarbeitet.«
Mathias erkannte gleich, daß die liebenswürdige Frau ihm indirekt einen guten Tip gegeben hatte.
»Ich danke Ihnen sehr«, sagte er und legte mit kurzem Gruß auf.
Seine Hände zitterten, als er im Telefonbuch die Nummer der Kurfürsten-Klinik wählte.
»Bitte, können Sie mich mit Frau Merbold verbinden? Verena Merbold.«
Seine Stimme klang heiser vor Erregung.
Für einen kleinen Moment blieb es still in der Leitung, dann erwiderte die Telefonistin: »Tut mir leid, wir haben keine Patientin dieses Namens.«
»Aber Sie muß bei Ihnen sein! Ich…«
»Glauben Sie mir, wenn sie hier läge, wäre ihr Name gespeichert – und das Verbinden wäre ein Kinderspiel.«
»Das verstehe ich nicht… Können Sie nicht irgendwo nachfragen?« Er merkte selbst, daß er sich höchst albern benahm, doch die Hoffnung, die er eben noch gehegt hatte, war jäh zerplatzt, und damit konnte er sich einfach nicht abfinden.
»Ich muß dringend mit Frau Merbold reden! Es ist ungemein wichtig!«
»Das glaube ich Ihnen gern.« Die Telefonistin klang nun schon ein wenig genervt. »Leider ist es mir unmöglich, Sie zu verbinden. Eine Patientin dieses Namens haben wir nicht! Guten Tag.« Damit legte sie auf.
Mathias blieb wie betäubt sitzen. Er war verzweifelt, konnte sich keinen Reim auf Verenas Verschwinden machen. Und wenn