beim Zuhalten der Wunde, damit ich die Patientin untersuchen kann.«
»Claudia!« rief Monika. »Komm hierher, du wirst hier gebraucht!« Während sie sprach, hatte sie bereits begonnen, die Anweisungen ihres Chefs in die Tat umzusetzen, während sich
Adrian, die Hand noch immer fest auf den Hals der Patientin gedrückt, über sie beugte.
»Wie heißen Sie?« fragte er.
Die Antwort erfolgte so leise, daß sie kaum zu verstehen war. »Jessica Stolberg.«
»Frau Stolberg, machen Sie sich keine Sorgen, wir werden Ihnen helfen. Haben Sie das verstanden?«
»Ja…«, antwortete sie mühsam. »Ich will… nicht sterben.«
»Das werden Sie auch nicht!« versicherte Adrian, aber sie hörte ihn nicht mehr, denn sie war erneut bewußtlos geworden.
Schwester Claudia erschien gleich darauf und erfaßte die Situation mit einem Blick. Ohne daß Adrian auch nur ein Wort sagen mußte, legte sie ihre Hand an den Hals der Patientin, um das Blut weiterhin zurückzuhalten.
»Wer hat im OP angerufen?« fragte Adrian und untersuchte die Patientin rasch und gründlich, nachdem er seine Hand gewaschen hatte.
»Ich«, antwortete Claudia, »gerade eben. Es steht kein Gefäßspezialist zur Verfügung. Aber einen OP können wir haben. Sie müssen selbst operieren, Herr Dr. Winter.«
»Auch das noch«, murmelte Adrian. »An diesem Tag geht wirklich alles schief. Wie sieht es aus, Moni? Kann sie nach oben?«
»Ja, sie ist jetzt stabil.«
»Was für ein Team steht zur Verfügung?«
»Dr. Roloff«, antwortete Schwester Claudia. »Ich glaube, eine OP-Schwester ist nicht abkömmlich, aber…«
»Sie kommen mit!« kommandierte Adrian knapp. »Los, los, wir müssen uns beeilen, diese junge Frau hat keine Zeit zu verlieren! Was ist mit Bernd Schäfer? Kann er mir assistieren?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Schwester Monika. »Er kämpft gerade um das Leben eines Mannes, der zwei Stunden unter einem Ast eingeklemmt war.«
Adrian biß sich auf die Lippen und schob gemeinsam mit Schwester Claudia im Eiltempo die Liege mit der Patientin zum Fahrstuhl. Immerhin war Werner Roloff dabei!
*
»Ich kann doch da jetzt nicht raus!« murmelte Karl Zapfmann. »Bei diesem Unwetter hab’ ich doch überhaupt keine Chance, das muß ich gar nicht erst probieren. Aber ich kann auch nicht einfach hier sitzen und nichts tun. Was mach’ ich bloß? Ob ich die Polizei anrufen soll? Aber die haben heute bestimmt auch was anderes zu tun. Wahrscheinlich nehmen sie noch nicht einmal den Hörer ab.«
Nicky fing an zu weinen, und es zerriß ihm fast das Herz. »Du bekommst bestimmt auch bald Hunger, was, Schätzchen?« murmelte er. »Ein bißchen Milch habe ich ja noch, die könnte ich dir warm machen. Aber wie kriege ich sie in dich hinein, das ist die große Frage! Ich habe ja kein Fläschchen!«
Er nahm das Kind auf den Arm und sang ihm etwas vor. Dabei schaukelte er es sanft hin und her, und tatsächlich beruhigte sich die Kleine bald wieder und schlief sogar ein. Erleichtert legte er sie wieder aufs Sofa. »Ein Aufschub«, murmelte er vor sich hin. »Eine Lösung ist das nicht.«
Plötzlich erhellte sich sein Gesicht, als ihm einfiel, daß sich in seinem Haushalt eine Schnabeltasse befand. Seine Frau war einmal schwer krank gewesen, und da hatten sie diese Tasse angeschafft. Aus der würde Nicky trinken können.
Er lief in die Küche, um die Tasse zu suchen, froh, daß er wenigstens für ein paar Minuten etwas zu tun haben würde. Doch er hatte kaum im ersten Schrank nachgesehen, als das Telefon klingelte. »Cora, das ist bestimmt Frau Stolberg!« teilte er seinem Dackel mit und meldete sich voller Hoffnung.
»Naumann«, hörte er gleich darauf, und die Stimme der mißmutigen alten Dame, die zwei Häuser weiter wohnte, auf der anderen Seite von Stolbergs, ernüchterte ihn sofort.
»Frau Naumann«, sagte er erstaunt. »Was verschafft mir denn die Ehre?«
»Keine Ehre«, knurrte Frau Naumann. »Es ist eine traurige Pflicht, die ich erfülle. Die junge Frau, die jetzt zwischen uns wohnt, ist verunglückt, das wollte ich Ihnen nur sagen. Ihr ist ein Dachziegel auf den Kopf gefallen – was mußte sie auch bei diesem Wetter aus dem Haus gehen!«
»Sie war einkaufen!« rief Karl Zapfmann. »Woher wissen Sie das überhaupt, Frau Naumann?«
»Meine Freundin wohnt in dem Haus, vor dem es passiert ist. Sie hat sofort einen Rettungswagen gerufen und zum Glück auch gefragt, wo sie sie hinbringen, sie hat sie nämlich gleich erkannt. Sie ist in der Kurfürsten-Klinik.«
Karl Zapfmann hatte weiche Knie und mußte sich setzen, so war ihm der Schreck in die Glieder gefahren. »Wie schlimm ist es denn?« fragte er.
»Sehr schlimm«, antwortete Frau Naumann. Sie war immer sehr direkt, Feingefühl gehörte nicht unbedingt zu ihren Tugenden. »Alles war voller Blut, und einer der Sanitäter hat gesagt: Bei der ist alles zu spät. Das hat meine Freundin selbst gehört.«
Karl Zapfmann spürte, wie ihm schlecht wurde. »Und Sie sind ganz sicher, daß hier kein Irrtum vorliegen kann?«
»Na, hören Sie mal!« antwortete Frau Naumann beleidigt. »Frau Stolberg sieht schließlich nicht so aus, daß man sie leicht mit jemanden verwechseln könnte, Herr Zapfmann!«
Da hatte sie allerdings recht. »Danke, daß Sie mich gleich angerufen haben«, sagte er kraftlos.
»Ich dachte mir, daß Sie sicher Bescheid wissen wollen«, erwiderte Frau Naumann ein wenig spitz. »Sie haben sich ja offenbar schon mit ihr angefreundet, nicht wahr?«
Er brummte nur, während er überlegte, ob er ihr von dem Baby erzählen sollte. Aber nein, dachte er, sie wird mir auch nicht helfen können. Er bedankte sich noch einmal und legte dann auf.
Sekundenlang blieb er regungslos sitzen, bevor er ein weiteres Mal zum Telefon griff. Er rief, wie an diesem Tag schon einmal, in der Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik an, wo er behauptete, Jessica Stolbergs Vater zu sein. Er hüte gerade seine Enkelin, erklärte er, und nun komme seine Tochter nicht nach Hause. Eine Nachbarin habe ihm von einem Unfall erzählt… Niemand bezweifelte seine Identität, und so gelang es ihm in relativ kurzer Zeit die Auskunft zu bekommen, die er haben wollte: Eine junge Frau namens Jessica Stolberg war tatsächlich vor kurzem in die Klinik eingeliefert worden. Sie war schwer verletzt und wurde jetzt im Moment operiert – voraussichtlich würde die Operation noch einige Stunden dauern.
Erschüttert legte er nach dem Gespräch den Hörer auf. Frau Stolberg lebte also, und es war keineswegs ›alles zu spät‹, wie Frau Naumann berichtet hatte. Aber natürlich war es möglich, daß die junge Frau in Lebensgefahr schwebte. Allein der Gedanke daran war schrecklich.
Er war so durcheinander, daß er erst nach einer Weile merkte, wie jämmerlich Nicky weinte. Er stand auf, suchte die Schnabeltasse, wärmte die Milch und beeilte sich, das kleine Mädchen zu beruhigen. Als das Kind schließlich satt und zufrieden in seinem Arm lag, fing er an nachzudenken, was nun zu tun sei. Bald stand sein Entschluß fest: Er mußte in die Kurfürsten-Klinik fahren, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, wie es Jessica ging. Hoffentlich gelang es ihm. Dr. Winter zu finden – der würde ihm sicher helfen.
*
Jessica Stolberg lag sehr schmal und wachsbleich auf dem Operationstisch. Ihr Atem ging flach, und der Anästhesist Dr. Werner Roloff ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen. Das Leben dieser jungen Frau, das wußte er ebenso wie die anderen im OP, hing an einem seidenen Faden. Sie hatte Glück im Unglück gehabt, daß sie überhaupt noch lebend in die Klinik gekommen war.
Niemand wagte, auch nur ein überflüssiges Wort zu sagen. Dr. Winter war völlig auf seine Arbeit konzentriert, die außerordentlich kompliziert war: Zahlreiche winzige Gefäße waren durchtrennt worden und mußten wieder zusammengefügt werden. Er war ein