Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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junge Frau – und jetzt ist sie so blaß und schmal, daß man es mit der Angst zu tun bekommt.«

      »Das ändert sich bald wieder, Herr Zapfmann«, tröstete Adrian. Dann schwiegen sie beide für einige Augenblicke, in denen der alte Herr sichtlich um seine Fassung rang.

      Schließlich sagte Adrian: »Kommen Sie bitte, Herr Zapfmann! Wir sollten nicht länger hierbleiben.«

      Karl nickte, strich Jessica einmal zart über den Arm und folgte dem Arzt aus dem Zimmer. Er nahm Nicky wieder in Empfang, und dann verließen sie die Intensivstation.

      »Ich muß dringend zurück in die Notaufnahme, vermutlich sind meine Kolleginnen und Kollegen dort dem Zusammenbruch nahe«, erklärte Adrian.

      »Das reine Chaos herrscht dort«, berichtete Karl. »Es war ganz anders als sonst. Ich nehme doch an, Sie sind froh, daß ich heute nicht auch noch gekommen bin, um mich untersuchen zu lassen?«

      »Herr Zapfmann, Sie sind wirklich unverbesserlich!« Trotz seiner Müdigkeit mußte Adrian lächeln. »Aber wenn Sie es unbedingt hören wollen: Ja, darüber bin ich froh.«

      Karl war jetzt wieder ganz ernst. »Sie wird doch wieder gesund? Frau Stolberg, meine ich?«

      »Das hoffe ich. Wie gesagt, sie hat die Operation gut überstanden, und sie ist noch jung. Da übersteht man vieles, weil man eine Menge Reserven hat.«

      »Danke, Herr Dr. Winter«, sagte Karl Zapfmann. »Ich bin froh, daß ich Sie kennengelernt habe. Und daß Sie nun auch Frau Stolberg operiert haben, sehe ich als gutes Zeichen an.«

      Mit diesen Worten schüttelte er dem jungen Arzt die Hand und verließ die Klinik. Adrian blickte ihm nach. Wieder lächelte er trotz seiner Müdigkeit. Das Schöne an seinem Beruf war, daß er dadurch Menschen wie Karl Zapfmann kennenlernte.

      *

      Alexander Stolberg hätte nicht sagen können, warum er es an diesem Tag so eilig hatte, nach Hause zu kommen. Wind und Regen hatten sich inzwischen gelegt, es war zwar noch trübe, aber sonst wies nichts mehr auf das Unwetter hin, das am Morgen über die Stadt niedergegangen war. Es gab also keinen Grund für die große Unruhe, die Alexander verspürte.

      Als er die Haustür aufschloß, wußte er im selben Augenblick, daß Jessica und Nicky nicht da waren. Das verstärkte seine Unruhe noch. Wo konnten sie denn jetzt noch sein? Obwohl er nicht mit einer Antwort rechnete, rief er laut: »Jessica? Wo bist du?«

      Wie erwartet blieb alles ruhig. Trotzdem sah er in jedem Zimmer nach. Nirgends fand er einen Hinweis darauf, wohin die beiden gegangen sein könnten. Schließlich betrat er die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Er hatte das Glas gerade geleert, als es klingelte. Erleichtert lief er zur Tür. Das mußten sie sein!

      Aber es war statt dessen der alte Herr Zapfmann, der vor der Tür stand. Er machte ein merkwürdiges Gesicht, aber am seltsamsten war es, daß er Nicky auf dem Arm hatte. Auch sein Dackel war dabei, der allerdings bereits an Alexander vorbei ins Haus geflitzt war.

      Alexander rief: »Nicky!« und streckte die Arme nach dem Kind aus. Und obwohl er bereits wußte, daß etwas passiert sein mußte, fragte er Herrn Zapfmann: »Wo ist Jessica?« während er die Kleine liebevoll an sich drückte.

      »Kann ich hereinkommen?« fragte der alte Herr. Er hatte seine Stimme nicht richtig unter Kontrolle, und Alexander fühlte, wie eine eisige Hand nach seinem Herzen griff.

      »Bitte«, sagte er hastig. Er ging voran ins Wohnzimmer, bot seinem Nachbarn einen Sessel an und setzte sich selbst mit Nicky auf den äußersten Sofarand. »Was ist passiert?« fragte er.

      »Sie ist verunglückt, Ihre Frau. Ein Dachziegel ist ihr auf den Kopf und den Hals gefallen – sie mußte operiert werden. In der Kurfürsten-Klinik.«

      Alexanders Mund fühlte sich so trocken an, daß er zunächst gar nicht sprechen konnte. Schließlich brachte er heraus. »Lebt sie?«

      »Ja, aber sie war schwer verletzt.« Karl riß sich zusammen und schaffte es nun, dem jungen Mann einen einigermaßen zusammenhängenden Bericht der Ereignisse zu geben. »Ich habe sie gesehen, Herr Stolberg. Sie hängt an lauter Schläuchen, aber sie lebt. Und Dr. Winter hat gesagt, ihre Aussichten seien ganz gut.«

      »Ihre Aussichten«, wiederholte Alexander mit leerem Blick. »Meine Güte, Herr Zapfmann, wenn Jessica…«

      Aber der alte Herr ließ ihn nicht ausreden. »Ich wollte nur sagen, Nicky kann heute abend bei mir bleiben, wenn Sie wollen – ich bräuchte nur Windeln und Fläschchen und was es sonst noch so gibt.«

      »Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Zapfmann.«

      Alexander rührte sich nicht, er hatte noch immer diesen leeren Blick, und Karl erkannte, daß er etwas tun mußte, um ihn aus seiner Erstarrung zu wecken. »Kommen Sie!« sagte er. »Wir packen die Sachen für Nicky zusammen, und dann fahren Sie in die Kurfürsten-Klinik zu Ihrer Frau.«

      Aber noch immer rührte sich der junge Mann nicht, und Karl bekam es allmählich mit der Angst zu tun. »Herr Stolberg?«

      »Ich liebe sie«, sagte der junge Mann tonlos. »Ich liebe Jessica, Herr Zapfmann.«

      »Natürlich lieben Sie Ihre Frau, Herr Stolberg.« Karl wurde allmählich nervös. Alexander Stolberg benahm sich immer merkwürdiger, fand er.

      »Das ist gar nicht natürlich«, sagte Alexander leise. Er stand auf. Jetzt endlich kam Leben in ihn. »Ich erzähle es Ihnen, wenn ich zurückkomme – aber vielleicht bleibe ich auch in der Klinik.«

      »Kein Problem«, versicherte Karl.

      »Es ist sehr nett von Ihnen,

      daß ich Nicky bei Ihnen lassen kann«, erklärte Alexander. »Kommen Sie mit mir, damit wir die Sachen gemeinsam zusammensuchen? Ich… ehrlich gesagt, ich bin nicht direkt ein Fachmann für Babies.«

      In der nächsten Viertelstunde waren die beiden Männer beschäftigt, und danach kehrte Karl Zapfmann mit Kind und Hund in sein kleines Haus zurück, während sich Alexander in sein Auto setzte und in die Klinik jagte.

      *

      »Das war der härteste Tag seit langem«, stellte Julia Martensen fest, als Adrian Winter und sie endlich nach Hause gehen konnten.

      »Ja«, bestätigte Adrian und streckte seine Glieder, die ihm allesamt verkrampft und verspannt zu sein schienen.

      »Und?« fragte Julia. »Bekommst du jetzt von Frau Senftleben eine Einladung zum Abendessen?«

      »Keine Ahnung«, murmelte

      Adrian. »Ich geh’ erst noch bei Jessica Stolberg vorbei – du weißt schon, bei der jungen Frau mit dem Dachziegel.«

      »Ihr Vater war hier«, erinnerte sich Julia. »Der kam mir so bekannt vor, und er hat auch gesagt, daß er kürzlich einen Unfall hatte, aber ich konnte mich nicht erinnern…«

      Adrian unterbrach sie lächelnd. »Karl Zapfmann, der renitente Hundebesitzer, der wegen seines Dackels unbedingt früher entlassen werden wollte…«

      »Richtig!« sagte Julia. »Und der ist also Jessica Stockmanns Vater? Jetzt fällt mir erst auf, daß sie einen ziemlich alten Vater hat. Eher könnte er eigentlich ihr Großvater sein.«

      »Er hat ein bißchen geflunkert, er ist ihr Nachbar. Aber wenn er das gesagt hätte, dann hätte er keine Auskunft bekommen. Also…«

      »Ganz schön findig, der alte Herr«, meinte Julia lächelnd.

      Adrian eilte auf die Intensivstation, wo ihn der Stationsarzt mit den Worten empfing: »Frau Stolbergs Zustand ist stabil, Herr Winter. Deshalb sind Sie doch hier, oder?«

      »Ja, danke für die Auskunft. Ich war ein bißchen beunruhigt ihretwegen, das muß ich gestehen.«

      »Bisher gibt es keinen Grund, wirklich nicht. Herr Stolberg ist übrigens gerade gekommen – es wäre schön, wenn Sie vielleicht auch noch mit ihm reden könnten. Er ist ziemlich durcheinander.«

      »Sicher,