Note durch den etwas zu vollen Mund und die kleine Nase. Die Augen waren groß und braun, von dichten dunklen Wimpern gesäumt.
Vor drei Jahren, als sie Robert Sandberg geheiratet hatte, war er ihr wie ein Märchenprinz erschienen – aber mittlerweile fragte sie sich immer häufiger, ob sie die Begeisterung beider Familien über diese Verbindung nicht einfach mit Liebe verwechselt hatte.
Aber damals schien alles einfach perfekt zu sein. Auch Mareike kam aus einem reichen Haus, und sie brachte alle Voraussetzungen mit, um die ideale Ehefrau von Robert Sandberg zu werden. Sie war schön und immer elegant angezogen. Nie sah man sie schlampig oder auch nur nachlässig gekleidet. Sie konnte ein großes Haus führen, und sie hatte es direkt nach der Heirat mit ungewöhnlichem Geschmack, aber absolut stilsicher eingerichtet. Sie wußte, wie man mit Personal umging, und sie hatte keine Schwierigkeiten damit, große Summen zu verwalten. Ihre Umgangsformen waren tadellos – und selbst bei Gesellschaften in höchsten Kreisen machte sie nie einen Fehler. Sie war liebenswürdig und charmant, dabei intelligent und gebildet.
Sie war perfekt als Frau für Robert Sandberg, so hatten es seinerzeit alle gesehen, sie selbst eingeschlossen.
Aber Robert Sandberg war nicht der richtige Mann für sie. Sie begriff das allmählich, wehrte sich jedoch noch immer gegen diese Erkenntnis. Sie wollte alles richtig machen. Eine Trennung von einem so mächtigen und angesehenen Mann wie Robert aber würde mit Sicherheit nicht nur von ihren Eltern als Schandfleck in der Familienchronik angesehen.
Aber es ließ sich nicht leugnen, daß sie immer häufiger davon träumte, noch einmal ganz von vorn anzufangen und ein Leben ohne einen Mann zu führen, der ihr ständig diktierte, was sie zu tun hatte. Doch sie verdrängte diese Träume, so gut es eben ging.
»Warum mußt du mich behandeln wie ein kleines Mädchen?« fragte sie.
»Ich bin erwachsen, Robert. Und wir sind seit drei Jahren miteinander verheiratet.«
»Wenn du erwachsen wärst«, antwortete er kalt, »dann würdest du nicht ständig versuchen, mir völlig unsinnige Diskussionen aufzuzwingen, Mareike. Du bist seit drei Jahren meine Frau, wie du eben völlig richtig festgestellt hast, und du hast gewußt, was es bedeutet, mich zu heiraten. Ich brauche eine Frau, die mich unterstützt, die unser Haus so führt, wie es meiner gesellschaftlichen Stellung angemessen ist. Wozu also willst du dein Kunststudium wieder aufnehmen? Du hast für solche Mätzchen keine Zeit und nimmst nur jemand anderen den Studienplatz weg, das weißt du ganz genau!«
»Aber ich fühle mich so nutzlos!« rief sie. »Und unausgefüllt! Alles, was ich tue, hat mit dir und deiner Stellung zu tun. Für mich selbst tue ich nichts, verstehst du? Du gehst jeden Morgen deinen Geschäften nach, und dann sitze ich hier in diesem Riesenhaus und bespreche mit dem Personal, wen wir zu unserer nächsten Gesellschaft einladen und was es zum Essen geben soll. Oder ich entscheide, welche Farbe die neue Markise über der Südterrasse haben soll. Oder ich kaufe mir ein neues Kleid, obwohl ich bereits hundert im Schrank hängen habe, die höchstens einmal getragen sind.« Ihre Stimme wurde leiser. »Das ist doch kein Leben, Robert!«
»Andere wären froh, wenn sie so ein Leben hätten«, erwiderte er noch frostiger als zuvor. »Ich möchte wissen, worüber du dich eigentlich beklagst? Ich gebe dir viel Geld, damit du dir alles kaufen kannst, was du willst. Du bist die bestangezogenste Frau der Stadt, alle bewundern dich. Deine Qualitäten als Gastgeberin sind unbestritten. Warum also müssen wir immer und immer wieder diese unsinnige Diskussion führen?«
»Weil ich unglücklich bin«, flüsterte sie. »Es geht doch nicht um Geld, Robert. Es geht um Gefühle. Um Glück. Verstehst du das nicht?«
Er warf ihr einen letzten Blick zu, bevor er mit raschen Schritten das Zimmer verließ. »Nein«, sagte er knapp. »Das verstehe ich ganz und gar nicht. Und du solltest dich schämen, so undankbar zu sein. Du lebst wie eine Prinzessin und redest von Unglück! Für wen hältst du dich eigentlich?«
»Für deine Frau«, antwortete sie leise. Aber das hörte er schon nicht mehr, denn die Tür fiel bereits hinter ihm ins Schloß. Sie schluckte, aber es war zu spät. Nun kamen sie doch noch, die Tränen, die sie die ganze Zeit so mühsam zurückgehalten hatte.
*
Esther Berger schloß für einen kurzen Augenblick die Augen. Sie war glücklich, rundherum glücklich. Ein sehr harter Arbeitstag lag hinter ihr. Sie war Kinderärztin an der Charité, und sie war es gerne. Manchmal aber wurde ihr alles zuviel, und so war es heute gewesen.
Jetzt jedoch war sie auf dem Bauernhof vor den Toren Berlins, auf dem sie ihr Pferd stehen hatte: Luna, eine große braune Stute, die sehr temperamentvoll, aber auch gutmütig war. Sie hatte den Kauf des Pferdes, das sie sich eigentlich gar nicht leisten konnte, in einer Vollmondnacht perfekt gemacht und damals sofort gedacht, daß Luna der richtige Name für die hübsche Stute war.
Durch Zufall hatte sie dann diesen Bauernhof gefunden, auf dem sie Luna untergebracht hatte – und seitdem war es ihr größtes Glück, nach der Arbeit hierherzufahren und zu reiten. Und irgendwann hatte sie zusätzlich angefangen, mit behinderten Kindern zu arbeiten. Die liebten ihre Reitstunden und freuten sich immer schon lange im voraus, wenn die Frau Doktor kam. Das war meistens am Wochenende der Fall.
Wenn man Esther Berger dann inmitten der fröhlich kreischenden, manchmal auch ängstlich aussehenden Kinder sah, mußte man zweimal hinsehen, um zu erkennen, daß sie die Erwachsene war, die die Kinderschar anleitete. Sie war sehr schlank und zierlich, und mit ihren kurzen blonden Haaren und den frech blitzenden Augen konnte man sie leicht für einen ihrer Schützlinge halten.
Heute gehörte der Abend ihr allein. Sie hatte Luna gesattelt und ritt gemächlich durch den Wald. Es war mild draußen, und der Streß des Tages fiel allmählich von ihr ab. Luna war offensichtlich auch sehr zufrieden, sich endlich bewegen zu können, und so trabten sie in völliger Eintracht über die wohlvertrauten Wege.
Als sie nach anderthalb Stunden auf dem Weg zurück zum Bauernhof waren, tauchte plötzlich ein anderer Reiter vor Esther auf: Das war keine Seltenheit, denn in der Nähe gab es einen ziemlich exklusiven Reitstall, in dem etliche reiche Berliner ihre Pferde stehen hatten. Esther kannte einige von ihnen. Mit den meisten hatte sie keinerlei Kontakt, sie lebten einfach in zu verschiedenen Welten. Doch es gab Ausnahmen.
Als sie näherkam, stellte sie fest, daß es sich um eine Reiterin handelte, deren Pferd im Schritt ging. Und nun erkannte sie die Frau auch und rief: »Frau Sandberg! Hallo!«
Mareike Sandberg sah sich um und lächelte, als sie die junge Kinderärztin sah. »Frau Dr. Berger, wie schön, Sie zu sehen.«
Sie meinte es ernst, das wußte Esther. Sie waren einander schon öfter begegnet, hatten einige Worte miteinander gewechselt, und Esther hatte bald festgestellt, daß die junge Frau Sandberg, ungeachtet ihrer Schönheit und ihres Reichtums, eine ausgesprochen nette und unkomplizierte Frau war. Gelegentlich tranken sie eine Tasse Kaffee miteinander, und jedesmal hatte Mareike Sandberg sich außerordentlich interessiert nach Esthers Arbeit in der Charité erkundigt.
Esther hatte dazu ihre eigene Theorie. Sie glaubte, daß Mareike Sandberg unglücklich und unausgefüllt war. Und seit sie ihren Mann einmal gesehen hatte, glaubte sie auch zu wissen, warum das so war. Aber das ging sie natürlich nichts an. Und es würde sicher niemals Gegenstand eines ihrer Gespräche sein. Esther hatte selbst eine kurze, aber unglückliche Ehe hinter sich. Sie erinnerte sich nur ungern daran, und sie sprach fast nie darüber.
Manchmal kam sie mit Adrian Winter, ihrem Zwillingsbruder, auf das Thema zu sprechen – aber sie sorgte stets dafür, daß das nicht allzulange dauerte. Es war einfach zu unerfreulich, und die Erinnerung daran half auch nicht weiter. Es war ein Fehler gewesen. Ein verhängnisvoller Irrtum, den sie mit vielen Tränen und großem Unglück bezahlt hatte. Doch das war vorbei, und sie hatte es verarbeitet. Endlich.
Mareike Sandberg, fand sie, sah heute besonders unglücklich aus. Doch sie kannten sich nicht gut genug, als daß sie sich danach hätte erkundigen können. So begnügte sie sich damit zu sagen:
»Ich hatte einen schrecklichen Tag, und das einzige, was mich dazu gebracht hat, ihn durchzustehen, war