Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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fragte sie, und nun zitterte ihre Stimme. »Gäste einladen, um einen schönen Abend zu verleben, verstehst du? Nicht, um wieder irgendwelche Geschäfte einzufädeln.«

      »Und wen würdest du gern einladen?« fragte er, und die Bosheit in seiner Stimme war nicht zu überhören.

      Sie antwortete nicht. Robert und sie hatten keine wirklichen Freunde, das wußte sie genauso gut wie er.

      »Merk dir eins, Mareike: Zu uns kommen die Leute nicht, weil sie dich oder mich so furchtbar nett finden. Zu uns kommen sie, weil es wichtig für sie ist. Geht das nicht in deinen Kopf? Es ist doch eigentlich ganz einfach.«

      Sie stand auf und sah ihm direkt in die Augen. »Es mag einfach sein, Robert, aber es ist nicht das, was ich will! Hast du das verstanden? Nein? Dabei ist das doch auch ganz einfach.«

      Noch nie hatte sie es gewagt, so mit ihm zu sprechen, und sie sah die Fassungslosigkeit in seinen Augen. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Weinen würde sie erst, wenn sie allein war, nicht vorher.

      Und dann dachte sie es zum ersten Mal in aller Klarheit: So geht es nicht weiter. Ich will nicht mehr so leben!

      Die letzten Schritte zu ihrem Zimmer rannte sie. Sie verschloß es zweimal und ließ sich dann mit zitternden Knien in einen der gemütlichen Sessel fallen, die sie vor das große Fenster gestellt hatte. Ich will nicht mehr so leben, dachte sie erneut. Und dann kamen wieder einmal die Tränen.

      *

      »Hast du schon das Neueste gehört?« erkundigte sich Dr. Julia Martensen, als sie an diesem Morgen zur gleichen Zeit wie Dr. Adrian Winter die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin betrat.

      »Klatsch oder Informationen?« fragte er zurück.

      »Informationen natürlich!« Sie versuchte, ein beleidigtes Gesicht zu machen, aber es gelang ihr nur unzureichend.

      »Die Klinik hat endlich genug Geld, um Ärzte und Pflegepersonal leistungsgerecht zu bezahlen?« vermutete er.

      »Spinner!« Julia warf ihre kurzen braunen Haare mit energischem Schwung nach hinten. »Angeblich kriegen wir einen neuen Verwaltungsdirektor – einen etwas jüngeren diesmal. Er soll Anfang vierzig sein, habe ich gehört.«

      »Wahrscheinlich ist er noch schlimmer als der alte«, murmelte Adrian. »Er hat bestimmt eine von diesen modernen Managerschulen hinter sich und rationalisiert uns alles weg, was wir eigentlich dringend brauchen. Hast du noch mehr solche schlechten Nachrichten?«

      »Sei nicht so pessimistisch,

      Adrian. Vielleicht ist es ja gar keine schlechte Nachricht. Schlimmer, als es war, kann es doch eigentlich kaum werden.«

      »Da hast du auch wieder recht. Aber mir läuft einfach immer ein Schauder über den Rücken, wenn ich das Wort ›Verwaltung‹ nur höre. Für mich ist sie der natürliche Feind der Mediziner.«

      Julia lachte herzlich. »Jetzt übertreibst du aber wirklich. So schlimm ist es nicht.«

      Sie hatten die Notaufnahme erreicht. »Wann soll dieser Mensch denn kommen – oder hast du darüber nichts gehört?«

      »Irgendwann in den nächsten Wochen, mehr weiß ich auch nicht.«

      »Dann wollen wir uns mal überraschen lassen. Und jetzt, Frau Kollegin, an die Arbeit!«

      »Jawohl, Herr Kollege.«

      *

      John Tanner wagte nichts zu sagen. Stumm ritt er neben Mareike Sandberg her, die ihm heute völlig verändert erschien. Sie ritten ab und zu zusammen aus und hatten sich bisher, wenn die Pferde im Schritt gingen, immer angeregt dabei unterhalten. Heute jedoch war Mareikes Gesicht verschlossen, sie schien tief in Gedanken versunken zu sein. Sie waren schon seit über einer Viertelstunde unterwegs, aber in dieser Zeit hatte sie noch kein einziges Wort gesagt.

      Wie gern hätte er sie gefragt, ob sie Kummer habe, aber er wagte es nicht. So vertraut waren sie nicht miteinander. Leider…

      »Lassen Sie sich bitte nicht von meiner trüben Stimmung anstecken«, sagte Mareike in diesem Augenblick, als habe er seine Gedanken laut ausgesprochen. »Mit mir ist heute nicht viel los, Herr Tanner.«

      »Das habe ich schon gemerkt.« Seine Stimme klang vorsichtig, er wollte ihr nicht zu nahe treten.

      »Das kann ich mir vorstellen.« Nun lächelte sie endlich, wenn auch nur kurz. »Aber das geht vorüber.« Leiser fügte sie hinzu: »Ich hoffe es jedenfalls.«

      »Sicher tut es das«, sagte er ruhig. »Ich kenne solche Tage auch, an denen einem alles grau in grau erscheint.«

      Jetzt hatte er ihr Interesse geweckt. »Sie auch?« fragte sie. »Sie sind mir bisher immer so wunderbar ausgeglichen vorgekommen. So, als wenn es nichts gäbe, das Sie aus dem Gleichgewicht bringen könnte.«

      Wenn du wüßtest, dachte er und sagte laut: »Es gibt zum Beispiel Tage, an denen mir die Arbeit nicht gut von der Hand geht – entweder weil ich unkonzentriert bin oder aus anderen Gründen. Dann bekomme ich manchmal ganz schlechte Laune. Manchmal macht es mir aber auch gar nichts aus. Dann lasse ich die Arbeit sein, reite zwei Stunden und fühle mich danach wie ein König.«

      Ihr Gesicht hellte sich auf. »Mir geht es genauso. Ein langer Ritt hat mir schon oft geholfen, mein Gleichgewicht wiederzufinden.«

      Erneut schwiegen sie, und John mußte plötzlich an diesen Arzt denken, der seine Fresken bewundert hatte. Dr. Adrian Winter. Ein sehr netter Mann. Es müßte schön sein, so jemanden zum Freund zu haben. Dann könnte er ihm von Mareike Sandberg erzählen und wie aussichtslos er in sie verliebt war. Und was würde dieser nette Dr. Winter wohl dazu sagen? Würde er ihm raten, sein Glück trotzdem zu versuchen? Obwohl sie einen reichen und bekannten Mann hatte?

      »Wie wäre es denn mit einem kleinen Galopp?« schlug er vor, um sich vor seinen eigenen Gedanken in Sicherheit zu bringen. »Was glauben Sie, wie Sie sich danach erst fühlen! Sie werden sich nicht einmal mehr daran erinnern, daß Sie geglaubt haben, heute sei ein grauer Tag!«

      Ihre braunen Augen schienen fast schwarz zu werden, und ein schwer zu deutender Ausdruck lag in ihnen, als sie ihn jetzt ansah. Er bereute schon, seine letzte Bemerkung gemacht zu haben. Wenn ihr etwas ernsthafte Sorgen bereitete, dann konnten diese natürlich durch ein paar Stunden auf dem Rücken ihres Pferdes nicht aus der Welt geschafft werden. Hätte er doch nur seinen Mund gehalten!

      Sie lächelte, aber es war ein so trauriges Lächeln, daß es ihm fast das Herz zerriß. »Also los, dann galoppieren wir«, sagte sie und trieb ihr Pferd an.

      Im nächsten Augenblick jagten sie nebeneinander über das Feld.

      *

      »So geht das nicht weiter, Mareike!« sagte Robert. »Ich wünsche nicht mehr, daß du in diesen Reitclub gehst. Du vernachlässigst deine Pflichten hier im Haus.«

      Sie war gerade erst zurückgekehrt und stand vor ihm, noch in Reitkleidung und ziemlich verschwitzt von dem langen Ritt dieses Nachmittags. Verständnislos sah sie ihn an. »Wovon sprichst du denn? Ich gehe doch schon lange jede Woche zweimal zum Reiten, und bisher war es nie ein Problem.«

      Er packte ihren Arm und zog sie in eins der Zimmer, dessen Tür er nachdrücklich hinter sich schloß.

      »Jetzt ist es ein Problem, hast du mich verstanden? Es paßt mir nicht, daß du dort so viel Zeit verbringst.«

      »Aber mir paßt es!« sagte sie bestimmt.

      Ungläubig sah er sie an. »Hast du mich nicht verstanden?« fragte er mit gefährlich leiser Stimme. »Ich will nicht, daß du weiterhin dort zum Reiten gehst. Mehr gibt es zu diesem Thema nicht zu sagen. Schluß damit!«

      Einen Augenblick war es ganz still im Raum, dann sagte Mareike, genauso leise wie ihr Mann: »O doch, es gibt doch eine ganze Menge dazu zu sagen, aber ich bin sicher, das willst du alles gar nicht hören. Deshalb sage ich dir nur das Wichtigste. Das war’s mit uns beiden, Robert. Ich verlasse dich, und zwar sofort. Such dir eine andere,