Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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dich, wohlgemerkt, für niemanden sonst. Such dir eine andere, die du als Schmuckstück herumzeigen kannst. Ich bin ein Mensch, und ich will auch als ein solcher behandelt werden. Aber das verstehst du ja nicht!«

      Er stand da wie vom Donner gerührt. Wie konnte sie es wagen, so mit ihm zu sprechen? Dann auf einmal, völlig überraschend, lächelte er. »Du bist überreizt!« sagte er milde. »Das kommt vor. Zieh dir erst einmal die verschwitzte Kleidung aus, nimm ein Bad – und dann essen wir zu Abend. Ich werde vergessen, was du alles gesagt hast, und gewiß bereust du es jetzt schon bitter.«

      Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum, und sie starrte ihm nach. Er würde sie niemals ernst nehmen!

      *

      Rosemarie Hagen schloß die Leihbücherei des kleinen Ortes in Brandenburg und machte sich auf den Heimweg. Sie war müde, aber das wunderte sie nicht. Es war ihr erster Arbeitstag nach einer schweren Grippe gewesen, und er hatte sie mehr angestrengt, als sie sich eingestehen wollte. Der Arzt hatte ihr gleich geraten, lieber noch ein paar Tage zu warten mit der Arbeit. Sie hatte ihm jedoch erklärt, sie werde verrückt, wenn sie auch nur noch eine Stunde zu Hause verbringen müsse.

      Nun ja, alles in allem war es recht gutgegangen. Sie würde sich heute abend zeitig schlafen legen und morgen würde es ihr bereits viel besser gehen. Wenn sie nur in der Mittagspause nicht soviel eingekauft hätte! Ihre Tasche war ziemlich schwer, aber sie hatte auch viel gebraucht.

      Sie ging langsam auf ihr kleines Reihenhaus zu, das ihre ganze Freude war. Sie hatte es sich gekauft, obwohl sie es sich kaum leisten konnte, aber noch keine Sekunde hatte sie diesen Entschluß bereut. Schade, dachte sie, daß ich erst so spät auf diesen Gedanken gekommen bin. Die Freude hätte ich mir schon früher gönnen sollen. Sie wurde bald sechzig, und manchmal fühlte sie sich auch so. Meistens jedoch fand sie, daß sie noch ganz gut mithalten konnte. Und in der Bibliothek machte ihr niemand etwas vor. Sie war mit dem Computer schneller als alle anderen.

      Als sie ihr Haus erreicht hatte, kniff sie unwillkürlich die Augen zusammen, um besser zu sehen. Es kam ihr so vor, als kauere jemand auf den Treppenstufen vor der Haustür, aber das war eigentlich unmöglich. Sie erwartete keinen Besuch. Und sie kannte auch niemanden, der sich vor ihre Haustür setzen würde. Schließlich wußten alle, wo sie zu erreichen war. Jeder würde in die Bücherei kommen!

      Aber als sie näherkam, stellte sie fest, daß dort tatsächlich jemand saß, den Kopf auf den Knien, die Arme fest um die Beine geschlungen. Es war eine junge Frau.

      »Mareike?« rief Rosemarie Hagen ungläubig. »Bist du das wirklich? Was um alles in der Welt tust du denn hier?«

      Ihre Nichte hob den Kopf, und obwohl es dunkel war, erkannte Rosemarie, daß ihr Gesicht völlig verweint war und daß sie verstört aussah.

      »Tante Rosemarie, kann ich für einige Zeit bei dir bleiben?«

      *

      »Was heißt das, meine Frau ist nicht da?« herrschte Robert Sandberg seine Hauswirtschafterin an.

      Die Frau war blaß und hatte sichtlich Angst vor seinem Zorn, aber das kümmerte ihn nicht. »Also?«

      »Sie ist nicht da«, wiederholte sie mit bebender Stimme. »Ihr Bett ist unbenutzt, ein Koffer und einige ihrer Sachen sind auch weg.«

      »Was sagen Sie da?« Sein Blick wurde so drohend, daß sie unwillkürlich einige Schritte zurückwich. Bei Robert Sandberg wußte man nie, wie er im Zorn reagierte. Sie hatte es zwar selbst noch nicht erlebt, aber die anderen im Haus erzählten, daß er durchaus imstande war zuzuschlagen.

      »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, Herr Sandberg!« Ihr Tonfall wurde flehend. »Bitte, ich muß zurück in die Küche, sonst…«

      »Gar nichts müssen Sie!« rief er mit donnernder Stimme. »Zuerst schaffen Sie meine Frau hierher, haben Sie mich verstanden?«

      »Aber…«, begann sie, doch dann wußte sie nicht weiter. Schließlich sagte sie leise und mit gesenkten Augen. »Niemand weiß, wo sie ist, Herr Sandberg. Ich habe schon alle gefragt. Keiner hat sie gesehen. Niemand hat bemerkt, daß sie das Haus verlassen hat. Wir dachten, Sie wüßten, daß sie verreisen will.«

      Robert wollte erneut brüllen, besann sich jedoch eines Besseres. Er wußte nur zu gut, was das bedeutete: Der Klatsch würde blühen!

      Offensichtlich war es Mareike gestern abend mit ihren Worten doch ernster gewesen, als er angenommen hatte. Schlimm genug, daß bereits der gesamte Haushalt Bescheid zu wissen schien. Er haßte es, wenn er die Dinge nicht unter Kontrolle hatte. Und eine weggelaufene Ehefrau war in seiner Position eine Katastrophe. Er konnte sich lebhaft vorstellen, mit welcher Häme seine Konkurrenten auf eine solche Nachricht reagieren würden. Er mußte als erstes dafür sorgen, daß er nicht länger wie ein verlassener Idiot wirkte.

      »Ich wußte nicht, daß sie verreisen will«, erklärte er kalt. »Es überrascht mich ebenso wie alle anderen hier im Haus. Gehen Sie bitte wieder an Ihre Arbeit. Meine Frau wird sich sicher bald melden und sagen, wohin sie gefahren ist.« Er widmete sich seiner Zeitung und schien seinen Zorn völlig vergessen zu haben.

      Die Hauswirtschafterin blieb noch einen Augenblick stehen, als erwarte sie, daß er noch einmal das Wort an sie richte. Als das nicht geschah, verließ sie lautlos das Zimmer.

      *

      Esther Berger war mit Luna auf dem Rückweg, als sie John Tanner begegnete.

      Sie zügelten beide ihre Pferde und blieben nebeneinander stehen. Nachdem sie einander freundlich begrüßt hatten, fiel ihr sofort auf, daß er traurig und bedrückt wirkte.

      »Ist etwas passiert?« fragte sie.

      Sein Gesicht verschloß sich sofort, und sie fügte rasch hinzu: »Tut mir leid, ich wollte nicht neugierig sein. Aber Sie sehen nicht gerade glücklich aus.«

      »Das bin ich auch nicht«, antwortete er, gab aber keine weitere Erklärung ab.

      Sie nahm ihm nicht übel, daß er ihr keine Antwort gab, sie kannten sich schließlich nicht besonders gut. Sie wollte sich eben mit einem aufmunternden Satz von ihm verabschieden, als er sie unvermittelt fragte: »Sagen Sie, Frau Berger, haben Sie Frau Sandberg in der letzten Zeit gesehen?«

      Aha, dachte Esther, daher weht der Wind. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, schon länger nicht mehr. Und jetzt, wo Sie danach fragen, fällt mir ein, daß ich neulich schon einmal darüber nachgedacht habe, ob sie vielleicht krank ist. Wir sind uns sonst ja doch regelmäßig über den Weg gelaufen.« Sie dachte kurz nach und korrigierte sich dann lächelnd. »Oder besser gesagt: ›geritten‹. Sie haben also auch nichts von ihr gehört?«

      »Nein«, antwortete er. »Und es beunruhigt mich, ehrlich gesagt.« Er sprach es nicht aus, daß er deshalb so unglücklich aussah, aber Esther spürte intuitiv, daß das der Grund war.

      »Haben Sie sie nicht einmal angerufen?« fragte sie betont sachlich. »Schließlich reiten Sie öfter gemeinsam. Sie sind im selben Club, da liegt es doch nahe nachzufragen, ob Frau Sandberg krank geworden ist.«

      »Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen«, gestand er mit einem schiefen Lächeln. »Ich kenne ja ihren Mann auch gar nicht. Frau Sandberg und ich treffen uns immer nur beim Reiten. Es käme mir wie ein Eindringen in ihre Privatsphäre vor, wenn ich sie zu Hause anriefe.«

      »Seien Sie nicht albern, Herr Tanner!« rief Esther unwillkürlich, bereute es aber im selben Augenblick. »Entschuldigung«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Heute sage ich ständig das Falsche, scheint mir. Ich mische mich in Dinge ein, die mich gar nichts angehen.«

      »Tun Sie das ruhig«, sagte John und lächelte sie an. »Sie machen das ganz richtig, und für mich ist es im Augenblick außerordentlich erfrischend, wenn jemand einfach nur normal reagiert, statt mich in meinen Bedenken zu bestärken.«

      »Wenn Sie das so sehen, dann rufen Sie doch endlich an!« sagte Esther lachend. »Auf Wiedersehen, Herr Tanner. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, will ich hören, was Sie erfahren haben!« Sie trieb Luna an, die ohnehin schon ungeduldig geworden war, und stob