Michael Ermann

Psychotherapie und Psychosomatik


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Fürsorge, Macht, Vorsicht, Misstrauen u. v. a. geprägt. Diese Übertragung hängt davon ab, welche Erfahrungen ein Kranker mit wichtigen Beziehungspersonen in der Kindheit gemacht hat, als er von ihnen real abhängig war.

      Übertragungen lassen sich meist daran erkennen, dass Reaktionen einer Situation nicht angemessen sind und von einem starken emotionalen Druck begleitet werden. Sie sind durch rationale Erklärungen, »Richtigstellungen« und kognitive Einsicht wenig zu beeinflussen und durch reale Erfahrungen nur schwer zu korrigieren. Es handelt sich vielmehr um ein Erleben, das durch innere, unbewusste Erfahrungen beeinflusst und motiviert ist. Viele Hoffnungen, Erwartungen, Enttäuschungen, Ängste und Befürchtungen von Kranken enthalten einen solchen irrationalen Übertragungsanteil. Sie können Ursache von Kommunikationsstörungen werden, vor allem dann, wenn sie nicht als Übertragungen erkannt werden.

      Unter dem Einfluss von Übertragungseinstellungen verhalten sich Ärzte, Psychologen, Pflegepersonal und natürlich auch Psychotherapeuten, die mit den Patienten zu tun haben, oft genau so, wie es der Übertragung entspricht. Sie verhalten sich »allmächtig«, wenn die Patienten sie idealisieren, oder reagieren verärgert, wenn diese unbewusst eine aggressive Behandlung erwarten (und diese auch provozieren). Die Übertragung wird dann durch eine passende Gegenübertragung beantwortet. In der Haltung des Behandlers vermischen sich solche Gegenübertragungsgefühle mit eigenen Übertragungsdispositionen, die ein Patient im Gegenüber auslöst. Diese Mischung macht es oft schwer, genügende Distanz zu seinen Reaktionen zu bewahren und sorgsam und reflektiert damit umzugehen. Bei der Klärung helfen Fragen wie: Was macht der Patient mit mir? Wie fühle ich mich ihm gegenüber?

      Oft kommt es zu einem einer Kollusion26 (colludere [lat.] bedeutet zusammenspielen). Darunter versteht man ein unbemerktes Zusammenspiel zwischen Behandler und Patient (image Übersicht). Ihr liegen gemeinsame, verdrängte Ängste, Wünsche und Phantasien zugrunde, die durch die Kollusion auch gemeinsam unbewusst gehalten, d. h. abgewehrt werden. Die Vorgaben der Kranken- und Helferrolle leisten der Kollusion im medizinischen Versorgungssystem Vorschub. Sie versetzen den Patienten in die eher passiv-hilfsbedürftige und den Behandler in die aktivsteuernde Position.

      Häufige Kollusionsmuster der therapeutischen Beziehung

      • Orale Kollusion

      Der bedürftige Patient lässt sich von einem überfürsorglichen Behandler bemuttern.

      • Anal-sadistische Kollusion

      Der gefügige Patient unterwirft sich dem autoritär-dominierenden Behandler.

      • Phallische Kollusion

      Der schüchterne Patient bewundert den charmant-verführerischen Behandler.

      • Narzisstische Kollusion

      Der bewundernde Patient idealisiert den Behandler, der die Grenzen seiner Möglichkeiten verleugnet.

      So entsteht z. B. bei einer gemeinsamen Abwehr der Angst vor Trennung das sog. Helfersyndrom27: Die Ambivalenz zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit wird unbewusst zwischen Patient und seinem »Helfer« in einen regressiven Teil (Abhängigkeit) und einen progressiven Teil (Überlegenheit) aufgespalten und zwischen beiden »verteilt«; der Kranke nimmt dann eine ausschließlich regressiv-abhängige Position ein, der Helfer (Behandler) die progressiv-überlegene. Damit entsteht die Gefahr, dass die Beteiligten sich gegenseitig in ihrer Position fixieren und aneinander festhalten.

      Eine tragfähige therapeutische Beziehung ist von mehreren Merkmalen gekennzeichnet:

      • Sie hat stützende und suggestive Wirkungen. Man spricht von der »Droge Arzt«28 und meint damit, dass die Beziehung zum Behandler als einer mächtigen, hilfreichen Übertragungsfigur das am häufigsten verwendete Heilmittel ist.

      • Unentbehrliche Beziehungselemente von Seiten des Behandlers sind die Sympathie für seinen Patienten und die Fähigkeit zur Empathie, d. h. zur Einfühlung in seine innere Welt.

      • Hinzu kommt die Fähigkeit zur Distanz und zur affektiven Neutralität als Möglichkeit der Regulierung von Nähe und Distanz.

      Beziehungen im Krankenhaus

      Eine besondere Herausforderung für die Patientenrolle stellt das Krankenhaus dar, in dem die therapeutische Beziehung in ein komplexes Beziehungsfeld eingebunden ist. Dadurch wird eine Aufteilung der verschiedenen Beziehungsaspekte ermöglicht. Typischerweise werden dort die emotional belastenden Anteile bevorzugt auf das Pflegepersonal übertragen, insbesondere auf die Krankenschwestern, während der distanziertere professionell-neutrale Umgang mit Patienten von den Ärzten übernommen wird. Die Integration dieser Beziehungspole ist umso schwieriger, je mehr das Leid eines Patienten Ärzte und Pflegekräfte emotional anrührt. Dann lässt sich eine zunehmende Polarisierung zwischen den Berufsrollen beobachten: eine verstärkte professionelle Neutralität auf Seiten der Ärzte einerseits und ein zunehmendes emotionales Engagement auf Seiten des Pflegepersonals andererseits. Daraus können Konflikte in Behandlungsteams entstehen.

      Problempatienten

      Patienten, mit denen die Kooperation schwierig ist oder misslingt, werden gern als Problempatienten betrachtet. Sie rufen beim Behandler oft Gefühle der Gereiztheit, der Ohnmacht und Gekränktheit hervor. Zu oft geht man dabei aber davon aus, das Problematische liege allein beim Patienten.

      Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Beziehung ist der Versuch, Gegenübertragungsgefühle des Behandlers zu reflektieren und ggf. zu kontrollieren. Dabei kann das Wissen über die o. a. Kollusionsmuster hilfreich sein. Oft muss man sich von der Idealvorstellung lösen, dem schwierigen Patienten immer helfen zu können. Das fällt besonders schwer, wenn die Anerkennung therapeutischer Grenzen vom Patienten mit Entwertungen des Behandlers beantwortet wird.

      Die Probleme der therapeutischen Beziehung, vor allem des Umgangs mit Problempatienten, haben den Arzt und Psychoanalytiker Michael Balint dazu geführt, patientenzentrierte Selbsterfahrungsgruppen einzuführen. Diese Balint- Gruppen geben den Teilnehmern eine Gelegenheit, Einsicht in die Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse der therapeutischen Beziehung zu gewinnen, die ihnen zunächst nicht bewusst waren.

      Zu Beginn der Balint-Gruppensitzung stellt ein Behandler einen Patienten und seine eigenen Gefühle und Phantasien im Umgang mit ihm vor. Dann sammelt die Gruppe zusammen mit einem Gruppenleiter Phantasien und Einfälle zum Beziehungsgeschehen. Daraus wird ein gemeinsames Verständnis der Beziehungsmuster erarbeitet, die sich in der therapeutischen Beziehung darstellen. Die Arbeit an der Übertragung der Patienten und der Gegenübertragung der Behandler bewirkt zumeist eine Klärung und emotionale Entlastung und führt zu gemeinsamen Lösungsvorschlägen für die Beziehungsprobleme.

      Zur Vertiefung empfohlene Literatur

      Balint M (1957), Beutel M (1988), Heim E u. Willi J bzw. Willi J u. Heim E (1982), Mitscherlich A (1967), Troschke J v (2004)

      12 Selye (1956)

      13 Badura (1981)

      14 Übersicht bei Klosterhalfen u. Klosterhalfen (1990)

      15 Roseman u. Friedman (1977)

      16 Siegrist (1980)

      17 Siegrist u. a. (1982)

      18 Kleese u. a. (2008)

      19 Verres u. a. (1985)

      20 Lazarus (1966)

      21 Z. B. die Berner Bewältigungsformen (BeFo) von Heim (1988)

      22 Vgl. Haan (1977), Kächele u. Steffens (1988)

      23 Parsons (1951)

      24 Gerhardt (1986)

      25 image Kap. 16.2

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