Steve de Shazer

Mehr als ein Wunder


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Nach der SFBT arbeitende Therapeuten wissen, dass die meisten Klienten zuvor schon sehr viele Probleme gelöst haben. Dies war vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Ort oder in einer anderen Situation. Das Problem ist vielleicht auch wieder aufgetaucht. Die entscheidende Erkenntnis ist aber die, dass der Klient sein Problem – wenn auch nur für kurze Zeit – schon mal gelöst hat.

      Suche nach Ausnahmen. Selbst wenn Klienten zuvor keine Lösung gefunden haben, die sie anstreben können, fallen den meisten von ihnen doch Beispiele für Situationen aus der Vergangenheit ein, in denen es eine Ausnahme in Bezug auf ihr Problem gab. Eine solche Ausnahme liegt dann vor, wenn es Zeiten gibt, in denen das Problem grundsätzlich da sein könnte, de facto aber nicht vorhanden ist. Der Unterschied zwischen einer früheren Lösung und dem Zustand, in dem das Problem eine Ausnahme macht, ist klein, aber signifikant. Eine frühere Lösung bezieht sich auf etwas, das jemand aus eigener Kraft probiert und das auch funktioniert hat; aber aus irgendeinem Grund ist diese erfolgreiche Lösung nicht fortgeführt und vermutlich vergessen worden. Eine Ausnahme bezieht sich auf etwas, was anstelle des Problems geschieht – und meistens nicht einmal absichtlich herbeigeführt oder vielleicht auch gar nicht verstanden wird.

      Fragen statt Direktiven oder Deutungen. Natürlich sind Fragen in allen Therapiemodellen ein wichtiges Kommunikationsmittel. So arbeiten Therapeuten aller Ausrichtungen häufig mit Fragen, besonders wenn sie die Vorgeschichte des Klienten explorieren, am Anfang einer Therapiesitzung wichtige Informationen zusammentragen oder herausfinden wollen, wie der Klient die ihm aufgetragene Hausaufgabe bewältigt hat. Fragen sind für lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten jedoch das primäre Kommunikationswerkzeug und als solche eine allumfassende Art der Intervention. Nach dem SFBT-Konzept arbeitende Therapeuten vermeiden es in der Regel, Interpretationen vorzunehmen, und bedrängen den Klienten nur selten mit direkten Herausforderungen oder Konfrontationen.

      Auf die Gegenwart und Zukunft gerichtete Fragen anstelle von Fragen, die auf die Vergangenheit fokussieren. Die Fragen, die nach der SFBT arbeitende Therapeuten stellen, sind fast immer auf die Gegenwart oder Zukunft gerichtet, worin sich folgende Grundüberzeugung spiegelt: Probleme werden am besten dadurch gelöst, dass man sich auf das konzentriert, was bereits funktioniert, und darauf, wie der Klient sich sein Leben vorstellt, und sie werden nicht dadurch gelöst, dass man sich auf die Vergangenheit und den Ursprung der Probleme konzentriert.

      Komplimente und Anerkennung. Dem Klienten Komplimente und Anerkennung entgegenzubringen ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt der SFBT. Wenn Therapeuten anerkennend bestätigen, was der Klient bereits erfolgreich unternommen hat, und würdigen, wie schwierig seine Probleme sind, ermutigen sie ihn zur Veränderung und überbringen ihm zugleich die Botschaft, dass sie ihm zugehört (d. h. ihn verstanden) haben und an ihm interessiert sind (Berg a. Dolan 2001). Komplimente im Therapiegespräch können helfen, auf den Punkt zu bringen, was der Klient bis dahin erfolgreich ausgeführt hat.

      Sanfte Anstöße zu Handlungen, die schon funktioniert haben. Wenn der Therapeut mithilfe von Komplimenten und Anerkennung einen sicheren Rahmen für den Klienten geschaffen hat und frühere Lösungen und Ausnahmen des Problems entdeckt worden sind, regt er ihn behutsam dazu an, seine zuvor erfolgreichen Handlungen fortzusetzen oder Veränderungen, auf die er, der Klient, selbst gekommen ist, auszuprobieren – was häufig als »Experiment« bezeichnet wird. Es kommt nur selten vor, dass lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten dem Klienten Vorschläge machen oder ihm Aufgaben stellen, die nicht auf seinen früheren Lösungen oder auf Ausnahmen des Problems beruhen. Am besten ist es immer, wenn Veränderungsideen und Aufgaben – zumindest indirekt während des Therapiegesprächs – vom Klienten ausgehen und nicht vom Therapeuten gestellt werden; denn der Klient ist mit diesen angestrebten Verhaltensweisen vertraut.

      Bereits vor der Sitzung eingetretene Veränderung. Gleich zu Beginn oder in den frühen Phasen des ersten Therapiegesprächs stellen lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten den Klienten meistens folgende Frage: »Sind Ihnen, seit Sie den Termin für diese Sitzung gemacht haben, irgendwelche Veränderungen aufgefallen, die bereits eingetreten sind oder die sich im Moment abzeichnen?« Auf diese Frage gibt es drei mögliche Reaktionen.

      Erstens: Der Klient sagt, dass überhaupt nichts geschehen sei. In diesem Fall macht der Therapeut einfach weiter und beginnt die Sitzung mit einer Frage, z. B.: »Wie kann ich Ihnen heute helfen?« oder »Was müsste heute geschehen, damit diese Sitzung wirklich hilfreich für Sie ist?«.

      Zweitens: Der Klient antwortet, dass die Situation sich zu bessern beginne oder besser geworden sei. In diesem Fall stellt der Therapeut viele Fragen zu den Veränderungen, die sich abzuzeichnen beginnen, was die Erhebung vieler Einzelheiten erfordert. Damit beginnt der Prozess des »Sprechens über Lösungen«, in dem von Anfang an die Stärken und Resilienzen des Klienten betont werden und der es dem Therapeuten erlaubt, die Frage zu stellen: »Angenommen, diese Veränderungen würden weiterhin in diese Richtung gehen; wäre es dann das, was Sie gerne hätten?« Diese Frage bietet die Möglichkeit, ein konkretes, bejahendes und an Veränderung orientiertes Ziel ins Auge zu fassen.

      Drittens: Der Klient teilt mit, dass die Situation gleich geblieben sei. In diesem Fall kann der Therapeut z. B. fragen: »Ist es ungewöhnlich, dass die Situation nicht schlimmer geworden ist?« oder »Wie haben Sie überhaupt verhindern können, dass die Situation nicht schlimmer geworden ist?«. Solche Fragen können Informationen über frühere Lösungen und Ausnahmen aufdecken und diese zum Thema eines lösungsfokussierten Gesprächs werden lassen.

      Auf Lösungen gerichtete Ziele. Wie in vielen psychotherapeutischen Modellen sind klare, konkrete und spezifische Ziele auch im Konzept der lösungsfokussierten Kurztherapie ein wichtiges Element. Der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut strebt an, dass sich möglichst eher kleinere als größere Ziele herauskristallisieren. Noch wichtiger ist es, Klienten dazu zu ermuntern, ihre Ziele als Lösung zu definieren und nicht als die Abwesenheit eines Problems. Es ist z. B. vorteilhafter, wenn ein Ziel so formuliert wird: »Wir wollen, dass unser Sohn netter zu uns ist« – was ausführlicher beschrieben werden müsste – und nicht so: »Wir hätten es gerne, dass unser Kind uns nicht zum Teufel wünscht«. Außerdem: Wenn ein Ziel als Lösung formuliert wird, lässt es sich leichter skalieren (siehe unten).

      Die Wunderfrage. Manchen Klienten fällt es schwer, überhaupt ein Ziel zu formulieren – von einem lösungsfokussierten Ziel ganz zu schweigen. Das gilt vor allem für Multiproblem-Familien oder solche Menschen, denen das Problem so massiv vorkommt, dass sie allein schon aufgrund der Beschreibung eines Ziels den Eindruck bekommen, dadurch würde das Ausmaß des Problems und seine erdrückende Wirkung auf die Betroffenen abnehmen. Wenn man die Wunderfrage einsetzt, um nach einem Ziel des Klienten zu fragen, vermittelt dies einerseits einen gewissen Respekt vor der Größe des Problems, führt aber gleichzeitig auch dazu, dass der Klient sich kleinere und besser zu bewältigende Ziele ausdenkt.

      Der genaue Wortlaut dieser Intervention kann zwar schwanken, aber die Grundformulierung ist folgende:

      Ich stelle Ihnen jetzt eine ziemlich seltsame Frage. [Pause] Die seltsame Frage lautet: [Pause] Nach unserem Gespräch werden Sie zurück zu Ihrer Arbeit (nach Hause, in die Schule) gehen, und Sie werden den restlichen Tag damit verbringen, ihren Alltagsgeschäften nachzugehen, z. B. die Kinder versorgen, Abendessen zubereiten, fernsehen, die Kinder baden usw. Schließlich wird es Zeit sein, schlafen zu gehen. Um Sie herum ist es ganz still, und Sie schlafen friedlich ein. Mitten in der Nacht geschieht ein Wunder, und das Problem, über das Sie heute mit mir sprechen, ist gelöst! Doch dies geschieht, während Sie schlafen, und deshalb können Sie gar nicht wissen, dass in der Nacht ein Wunder geschehen ist, das Ihr Problem gelöst hat. [Pause] Worin könnte, wenn Sie dann morgen früh aufwachen, die kleine Veränderung bestehen, sodass Sie sagen werden: »Toll, es muss etwas passiert sein – das Problem ist weg!« (Berg a. Dolan 2001, p. 7)?

      Auf die Wunderfrage reagieren Klienten ganz unterschiedlich. Manche sind verwundert und sagen vielleicht, dass sie die Frage nicht verständen. Manche lächeln auch. Wenn Klienten genügend Zeit zum Nachdenken haben, fallen Ihnen jedoch meistens einige