Steve de Shazer

Mehr als ein Wunder


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      Sowohl Steve als auch Insoo hatten erkannt, dass der Ansatz der lösungsfokussierten Kurztherapie, den sie mit ihren Kollegen und Kolleginnen am Brief Family Therapy Center ins Leben gerufen und entwickelt haben, einer Aktualisierung und weiteren Klarstellung bedurfte. Von der Tatsache, dass Steve an einer unheilbaren Krankheit litt, als wir die Arbeit an diesem Buch aufnahmen, ging für alle Beteiligten ein Hauch von Dringlichkeit und bittersüßer Schärfe aus. Obwohl Insoo (mit der für sie typischen Bescheidenheit) darauf bestand, auf dem Titelblatt des Buches als Letzte genannt zu werden, spiegelt sich in dem wunderbaren Falltranskript und ihren wertvollen Kommentaren der starke Einfluss, den sie auf den Inhalt des Buches hatte.

      Während Steve und ich die gemeinsame Arbeit an diesem Projekt schon im Juli 2003 aufgenommen hatten, bekam das Buch seine jetzige Form erst ein paar Monate später, als einige von uns (Terry Trepper, Eric McCollum, Harry Korman und ich) ihn um ein detailliertes »Update« des lösungsfokussierten Therapieansatzes baten. Als erfahrene lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten wollten wir wissen, wie die bahnbrechenden Gedanken von Steves Lieblingsphilosophen, Ludwig Wittgenstein, mit dem SFBT-Konzept zusammengehen und wie wir in der therapeutischen Praxis diese Ideen bei Klienten, Supervisanden und Studenten produktiv anwenden können. Ganz im Sinne des Modells verfolgten wir ein pragmatisches Ziel: Wir wollten als lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten besser werden.

      So verbrachte das Autorenteam Stunden damit, aufgezeichnete Therapiesitzungen anzuschauen und ausgiebig zu besprechen. Da bei solchen Gelegenheiten das Aufzeichnungsgerät lief, konnte ich später einen großen Teil dieser langen Gespräche transkribieren – die als Kommentare zu den Transkripten der einzelnen Therapiesitzungen und in den einzelnen Kapiteln dieses Buches ihren Niederschlag gefunden haben.

      Bei der Lektüre des Buches werden Sie vielleicht feststellen, dass sich unsere Äußerungen (d. h. die der Autoren und Autorinnen) gelegentlich überschneiden, wie das in echten Gesprächen der Fall ist. Statt stilistische Unterschiede zu nivellieren, haben wir es absichtlich bei den originalen »Stimmen« belassen, damit unsere vielfältigen persönlichen Kommunikationsstile so deutlich werden wie in einem echten Seminar – was sich in der Kürze einiger und der relativen Länge anderer Kapitel, im Ton einzelner Abschnitte und natürlich in der Wortwahl widerspiegelt.

      Wer schon einmal an einem unserer Workshops teilgenommen hat, wird in diesem Buch Steve de Shazers weithin bekannte knapp und elegant formulierte Sätze und seinen kernigen Humor wieder erkennen. Man »hört« auch Insoo Kim Bergs Warmherzigkeit, ihre besondere Beobachtungsgabe und ihren respektvollen Optimismus, Harry Kormans intellektuelle Neugier, Yvonne Dolans Sachlichkeit, Terry Treppers visionäre Kraft und Eric McCollums kritisches Denken.

      Und nun dürfen wir Sie einladen, sich zu setzen und uns durch dieses ungewöhnliche und spannende »Seminar« über den neuesten Stand der lösungsfokussierten Kurztherapie und ihr besonderes Verhältnis zu Wittgensteins Philosophie zu begleiten. Auf den folgenden Seiten werden Sie an erstaunlichen psychotherapeutischen Sitzungen teilnehmen, den Kommentaren der Autoren und Autorinnen lauschen und gelegentlich auch ein paar Worte des Philosophen selbst vernehmen.

      Bleibt noch, Ihnen unsere »Clique« vorzustellen, deren Mitglieder seit langen Jahren befreundet sind und kollegial zusammenarbeiten. Der bärtige Mann, der einen irischen Fischerpullover trägt und ein bisschen wie Sean Connery aussieht, ist Steve de Shazer. Die anmutige, kleine Frau, die eine rote Jacke trägt und ruhig und gelassen in dem großen Ledersessel sitzt, ist Insoo Kim Berg, international gefeierte Ausbilderin, Dozentin und Autorin zahlreicher Bücher und Zeitschriftenartikel zum Thema lösungsorientierte Kurztherapie. Neben ihr sitzen Eric McCollum, der an der Virginia Tech in Falls Church im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia lehrt, und Terry Trepper, Leiter des Family Studies Program an der Purdue University im Bundesstaat Indiana. Die Person, mit der wir über den Computer in der Ecke verbunden sind und per Internet »sprechen« können, ist Harry Korman, der als Arzt, Kinderpsychiater, Ausbilder und Supervisor nach dem Modell der lösungsfokussierten Kurztherapie arbeitet und besonders daran interessiert ist, mit welcher Art von Publikationen die SFTB leichter erlernbar gemacht werden kann.

      Und nun, wie Steve de Shazer zum Auftakt eines neuen Projekts immer zu sagen pflegte: »Viel Spaß!«

       Yvonne DolanChicago, Januar 2008

      1 Im deutschsprachigen Raum wird die SFBT als lösungsfokussierte bzw. lösungsorientierte Kurztherapie bezeichnet, wobei Steve de Shazer die erste Bezeichnung präferierte und Insoo Kim Berg die zweite. In der Schweiz hat sich der Begriff lösungsorientierter Ansatz durchgesetzt. Um den Anschluss an die internationale Entwicklung zu gewährleisten, wird in diesem Buch die gängige Abkürzung SFBT verwendet.

       1. Ein kurzer Überblick

      Die lösungsfokussierte Kurztherapie ist ein auf die Zukunft gerichtetes und von Zielen geleitetes Herangehen an die Kurztherapie und wurde Anfang der 1980er Jahre von Insoo Kim Berg, Steve de Shazer und ihren Kollegen gemeinsam mit Klienten am Milwaukee Brief Family Therapy Center entwickelt. Da die SFBT eher durch Induktion als durch Deduktion entstanden ist, folgt sie einem höchst disziplinierten, pragmatischen und weniger einem theoretischen Ansatz (Berg u. Miller 2007; Berg u. Reuss 1999; de Shazer 1995, 1996, 2006a, 2006b). Die Entwickler dieser Therapiemethode haben im Laufe der Jahre hunderte von Therapiestunden beobachtet und dabei sorgfältig die Fragen, Verhaltensweisen und Emotionen festgehalten, die Klienten dazu bewegten, machbare und dem realen Leben angemessene Lösungen zu entwerfen und zu realisieren.

      Die Fragen, die sich am durchgängigsten mit den von den Klienten angegebenen Fortschritten und Lösungen in einen Zusammenhang bringen ließen, wurden sorgfältig notiert und gewissenhaft in das lösungsfokussierte Konzept integriert, wohingegen solche Fragen, die dieses Kriterium nicht erfüllten, bewusst verworfen wurden. Der Ansatz der lösungsfokussierten Kurztherapie hat sich seit dieser Zeit zu einer der weltweit führenden Methoden der Kurztherapie entwickelt und ist in den unterschiedlichsten wirtschaftlichen, sozial- und bildungspolitischen Bereichen zu einem enormen Einflussfaktor geworden.

      Das Konzept der SFBT basiert nicht auf einer bestimmten Theorie, sondern hat sich auf einer ganz pragmatischen Ebene entwickelt. Es hat seine Wurzeln deutlich erkennbar in den frühen Forschungen des Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto in Kalifornien und in der Arbeit von Milton H. Erickson, in der Philosophie von Ludwig Wittgenstein und im buddhistischen Denken. Mehrere Lehrsätze dienen als Leitlinien für die Praxis der SFBT und geben diesem Ansatz sowohl Inhalt als auch Gepräge.

      Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren. Das ist der allumfassende Lehrsatz der lösungsfokussierten Kurztherapie. Auf Interventionen zielende Hypothesen, Modelle und Philosophien sind irrelevant, wenn der Klient sein Problem bereits gelöst hat. Nichts würde absurder wirken, als in einer Situation zu intervenieren, die schon bereinigt ist. Dies scheint zwar eine fast banale Erkenntnis zu sein – dennoch gibt es einige psychotherapeutische Schulen, die eine Therapie empfehlen, obwohl sich die Lage des Klienten gebessert hat, um z. B. »Wachstum« zu fördern, um »Erreichtes zu konsolidieren« oder um »tiefer liegende Bedeutungen und Strukturen« erkennen zu können. Solchen Begründungen steht das SFBT-Konzept antithetisch gegenüber. Wenn kein Problem vorliegt, sollte auch keine Therapie durchgeführt werden.

      Das, was funktioniert, sollte man häufiger tun. Ähnlich dem ersten Lehrsatz folgt auch dieser dem Motto: »Finger weg!« Wenn der Klient im Begriff ist, ein Problem zu lösen, dann sollte es die primäre Aufgabe des Therapeuten sein, den Klienten zur Fortsetzung dessen zu motivieren, was bereits funktioniert. Lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten beurteilen nicht die Qualität der Lösungen eines Klienten, sondern fragen nur, ob eine Lösung effektiv ist. Daraus ergibt sich eine weitere Aufgabe des Therapeuten: dass er nämlich dem Klienten hilft, gewünschte Veränderungen zu festigen. Dies gelingt dadurch, dass der Therapeut genau eruiert, wie Klienten sich verhalten oder reagieren, wenn es ihnen gerade besser geht.