Steve de Shazer

Mehr als ein Wunder


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      Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren. Der dritte Lehrsatz dieser Art lautet: Auch wenn eine Lösung einem noch so gut erscheinen mag – wenn sie nicht funktioniert, ist sie keine Lösung. Der Mensch hat von Natur aus die eigenartige Tendenz, Probleme immer wieder so anzupacken, dass er die gleichen Dinge wiederholt, die in der Vergangenheit schon nicht funktioniert haben. Dies trifft insbesondere im psychotherapeutischen Umfeld zu, wo viele Theorien nahe legen, dass es am Klienten liegt und nicht an der Therapie oder Theorie, wenn es ihm nicht besser geht (er also das Problem nicht löst). Nach dem Konzept der lösungsfokussierten Kurztherapie ist es dagegen so: Wenn der Klient einen Hausaufgabenvorschlag oder ein Experiment nicht umsetzt, lässt man die Aufgabe fallen und schlägt stattdessen etwas anderes vor.

      Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen. Die lösungsfokussierte Kurztherapie kann als minimalistisches Vorgehen verstanden werden, bei dem die Konstruktion der Lösung meistens in mehreren kleinen, machbaren Schritten erfolgt. Die Annahme ist hier folgende: Sobald eine kleine Veränderung vorgenommen worden ist, führt dies zu einer Reihe weiterer Veränderungen, was dann wiederum andere Veränderungen nach sich zieht, und dies mündet allmählich ohne großen Bruch in eine viel umfassendere Veränderung des Systems. Folglich tragen kleine Schritte in der Verbesserung der Situation dazu bei, dass sich der Klient langsam und elegant dem Ziel, also den gewünschten Veränderungen im Alltagsleben, annähert und anschließend in der Lage ist, seine Situation als »besser genug« zu beschreiben, sodass die Therapie beendet werden kann.

      Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen. Während man bei fast allen anderen auf Veränderung abzielenden Therapieansätzen nach der Abfolge »Problem führt zur Lösung« vorgeht, werden in der SFBT dadurch Lösungen entwickelt, dass der Klient zuerst beschreibt, was anders sein wird, wenn das Problem gelöst ist. Danach arbeiten Therapeut und Klient mit rückwärts gewandtem Blick, um das beschriebene Ziel zu erreichen. Das heißt, sie durchsuchen die Erfahrungen des Klienten im wirklichen Leben sorgfältig und gründlich, um solche Zeiten zu identifizieren, in denen Teile der von ihm gewünschten Lösung bereits existiert haben oder in der Zukunft möglicherweise existieren werden. Dieses Vorgehen entspricht einem Therapiemodell, in dem sehr wenig oder überhaupt keine Zeit darauf verwendet wird, den Ursprung oder das Wesen des Problems zu ergründen, die Pathologie des Klienten zu eruieren oder dysfunktionale Interaktionen zu analysieren. Zwar können solche Faktoren interessant sein und sich vielleicht auch auf das Verhalten des Klienten auswirken, doch in der SFBT fokussiert man fast ausschließlich auf die Gegenwart und Zukunft. Vor diesem Hintergrund stellt das SFBT-Konzept im Vergleich zu anderen psychotherapeutischen Modellen einen wahren Paradigmenwechsel dar.

      Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig ist. Die Sprache, in der Probleme formuliert werden, ist tendenziell eine völlig andere als die, in der Lösungen formuliert werden. Ludwig Wittgenstein wendet das so: »Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen« (T, 6.43). Das Sprechen über Probleme ist im Allgemeinen negativ gefärbt und auf die Vergangenheit gerichtet (um den Ursprung des Problems zu beschreiben), und häufig suggeriert es das Fortbestehen eines Problems. Dagegen ist die Sprache, in der Lösungen formuliert werden, im Allgemeinen eher positiv gefärbt, erwartungsvoll und auf die Zukunft gerichtet, und sie deutet auf die Vergänglichkeit von Problemen hin.

      Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können. Dieser Lehrsatz ergibt sich aus der Vorstellung, dass Probleme vergänglich sind, und liegt der wichtigsten Interventionsart zugrunde, die in der lösungsfokussierten Kurztherapie durchgängig Anwendung findet. Gemeint ist, dass Menschen bei ihren Problemen immer Ausnahmen erleben, auch wenn es nur kleine sind, und dass diese Ausnahmen genutzt werden können, um kleine Veränderungen vorzunehmen.

      Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares. Dieser Lehrsatz bietet für die Praxis der lösungsfokussierten Kurztherapie ein solides Fundament. Der Mensch wird nicht als Gefangener seiner Verhaltensweisen betrachtet, die mit seiner Lebensgeschichte, Schichtzugehörigkeit oder einer psychologischen Diagnose zusammenhängen. Dieser Grundsatz stützt sich auf den sozialen Konstruktionismus und verweist darauf, dass die Zukunft ein Ort der Hoffnung ist, an dem die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

      Das Konzept der SFBT hat seine Wurzeln in den systemtheoretisch basierten Familientherapien der 1950er und 1960er Jahre und in der Arbeit von Milton H. Erickson (Haley 1999). Sowohl Insoo Kim Berg als auch Steve de Shazer waren eng mit dem Mental Research Institute (MRI) im kalifornischen Palo Alto verbunden. Während sich die Forschungsgruppe am MRI in erster Linie auf die Problementwicklung und Problemauflösung konzentrierte (Watzlawick, Weakland u. Fisch 2001), begann man am Brief Family Therapy Center in Milwaukee, Lösungen zu explorieren. Aus mehreren Gründen kann das derzeitige Konzept der SFBT als systemische Therapie klassifiziert werden.

      Erstens befassen sich nach der SFBT arbeitende Therapeuten üblicherweise mit Systemen, weil nämlich neben Einzelpersonen ebenso Paare und Familien zur Behandlung kommen. Sie treffen ihre Entscheidung darüber, wen sie in das Behandlungszimmer bitten, nach dem Kriterium, wer zur Therapiesitzung auftaucht; denn wer immer mit dem Klienten in die Praxis kommt, wird zur Therapiesitzung eingeladen.

      Zweitens werden in der SFBT Lösungen exploriert, die interaktionaler Art sind, d. h., dass die Probleme der Klienten und die Ausnahmen ihrer Probleme auch andere Menschen betreffen, und dazu zählen sehr oft die Angehörigen, Arbeitskollegen oder Lebenspartner und Freunde der Klienten.

      Drittens ist es in der SFBT so, dass dem Eintritt kleiner Veränderungen häufig größere Veränderungen folgen, und diese weiter reichenden Veränderungen sind meistens interaktionaler und systembezogener Natur.

      Die Aufgabe, die der Therapeut in der SFBT hat, unterscheidet sich von der Rolle, die er in vielen anderen psychotherapeutischen Ansätzen einnimmt. Lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten akzeptieren, dass es in der therapeutischen Organisation zwar eine Hierarchie gibt, diese Hierarchie aber tendenziell eher egalitär und demokratischer Natur ist als autoritär. Sie geben fast nie Urteile über den Klienten ab und vermeiden es, über die hinter seinen Wünschen, Bedürfnissen oder Verhaltensweisen stehenden Bedeutungen Interpretationen anzustellen. Die Aufgabe des nach der SFBT arbeitenden Therapeuten soll die sein, dass er Optionen auszuweiten und nicht einzuschränken versucht (Berg a. Dolan 2001). Er leitet das Therapiegespräch, tut dies aber auf behutsame Weise, und tritt dabei gewissermaßen »einen Schritt zurück« (leading from one step behind; Cantwell a. Holmes 1994, p. 17 ff.). Statt dass der Therapeut die Präsentationen des Klienten interpretiert, ihn beschwatzt, ermahnt oder zu etwas drängt, »klopft er ihm auf die Schulter« (Berg a. Dolan 2001, p. 3) und weist ihn darauf hin, dass auch eine andere Richtung überlegenswert sei.

       Allgemeine Interventionen

      Positive, kollegiale, auf eine Lösung gerichtete Einstellung. Zu den wichtigsten Aspekten, die in der lösungsfokussierten Kurztherapie zum Tragen kommen, zählen die Grundstimmung und die grundsätzliche Einstellung des Therapeuten. Seine Haltung ist insgesamt positiv, respektvoll und optimistisch, und er geht generell von der Annahme aus, dass Menschen starke Resilienzen besitzen und diese für Veränderungen nutzen können. Von zentraler Bedeutung ist außerdem die Überzeugung, dass die meisten Menschen die Stärke, Klugheit und Erfahrung haben, um eine Veränderung zustande zu bringen. Was andere Modelle als »Widerstand« definieren, gilt in der SFBT als (a) natürlicher Schutzmechanismus oder realistischer Wunsch des Klienten, vorsichtig zu sein und langsam vorzugehen, oder (b) als Fehler des Therapeuten z. B. aufgrund einer Intervention, die der Situation des Klienten nicht angemessen ist. Alle diese Annahmen sind die Voraussetzung dafür, dass Therapiesitzungen der Tendenz nach eher kollegial als hierarchiebetont angelegt sind (auch wenn, wie gesagt, lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten den Klienten sehr wohl »mit einem Schritt Abstand«