Steve de Shazer

Mehr als ein Wunder


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annehmen. Insofern führen die Reaktionen des Klienten zu einer mehr ins Detail gehenden Beschreibung davon, wie er sich sein Leben vorstellt, was dann wieder dazu beitragen kann, dass er seine früheren Lösungen und Ausnahmen beleuchtet.

      In Paar-, Familien- oder Gruppentherapien kann man die Wunderfrage den einzelnen Personen stellen oder sie an die gesamte Gruppe richten. Wenn man individuell fragt, antwortet jede einzelne Person auf die Frage, und möglicherweise reagieren die anderen Anwesenden auf die Antworten der Einzelnen. Der Therapeut könnte die anderen ermutigen, die individuell vorgetragenen Wunderbeschreibungen zu unterstützen. Wenn die Wunderfrage an das Paar, die Familie oder eine Gruppe gerichtet wird, können die Anwesenden gemeinsam ihr Wunder »erarbeiten«. Dadurch, dass der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut versucht, unter den Teilnehmern eine kooperative Haltung zu bewahren, betont er die Ähnlichkeit ihrer Ziele und das unterstützende Moment ihrer Aussagen (weitere Einzelheiten zur »Wunderfrage« und ihrer Verwendung siehe nachfolgende Kapitel).

      Skalierungsfragen. Unabhängig davon, ob der Klient ohne Umwege oder aber über die Wunderfrage auf spezifische Ziele kommt, ist die nächste Intervention wichtig: dass nämlich die einzelnen Ziele skaliert werden. Der Therapeut fragt den Klienten nach der Skala zur Wunderfrage: »Auf einer Skala von 0 bis 10 (bzw. von 1 bis 10), wo standen die Dinge, als die Stunde vereinbart wurde, wo stehen sie jetzt, und wo werden sie am Tag nach dem Wunder sein?« Dazu das Fallbeispiel eines Paares, dessen Ziel bessere Kommunikation ist:

      THERAPEUT: Als Nächstes möchte ich das Problem und das Ziel auf einer Skala einstufen. Nehmen wir an, eine 1 bedeutet, dass das Problem so schlimm ist, wie es nur sein kann, dass Sie überhaupt nicht miteinander reden, sich nur streiten oder sich die ganze Zeit über aus dem Weg gehen. Und nehmen wir an, eine 10 bedeutet, dass Sie die ganze Zeit über miteinander reden, sich perfekt verständigen können und sich überhaupt nicht streiten.

      EHEMANN: Das ist ziemlich unrealistisch.

      THERAPEUT: Das wäre der Idealzustand. Also, wo würden Sie beide die Situation einordnen, als sie am schlimmsten war, also vielleicht zu der Zeit, kurz bevor Sie zu mir kamen?

      EHEFRAU: Es war ziemlich schlimm … ich weiß nicht, … ich würde sagen, bei der 2 oder 3.

      EHEMANN: Ja, ich würde sagen, bei der 2.

      THERAPEUT: Okay [schreibt] … eine 2 bis 3 für Sie – und eine 2 für Sie. Nun wüsste ich noch gerne, womit Sie zufrieden wären, wenn die Therapie vorbei und erfolgreich ist.

      EHEFRAU: Ich wäre mit einer 8 zufrieden.

      EHEMANN: Also, ich hätte natürlich gerne eine 10, aber das ist unrealistisch. Ja, ich gebe zu, eine 8 wäre gut.

      THERAPEUT: Wo würden Sie die Situation jetzt im Moment einordnen?

      EHEFRAU: Ich würde sagen, sie ist ein bisschen besser, weil er mit mir hierher gekommen ist, und ich sehe, dass er versucht … ich würde sagen, vielleicht bei der 4?

      EHEMANN: Also, das höre ich gern. Ich hätte nicht gedacht, dass sie die Situation so weit oben einordnet. Ich würde sie bei der 5 einordnen.

      THERAPEUT: Okay, eine 4 für Sie – und eine 5 für Sie. Und Sie beide wollen, dass Sie die Situation bei der 8 haben, damit Sie sagen können, die Therapie war erfolgreich, richtig?

      Diese Intervention hat zwei wesentliche Komponenten. Zum einen ist sie ein Instrument zur Beurteilung von Lösungen, d. h., wenn sie in jeder Therapiesitzung durchgeführt wird, können Therapeut und Klienten damit kontinuierlich ihren Fortschritt messen. Zum anderen ist sie per se ein wirkungsvoller Eingriff, weil sie dem Therapeuten erlaubt, auf frühere Lösungen und auf Ausnahmen zu fokussieren und auf Veränderungen während ihres Entstehens aufmerksam zu machen. Genauso, wie sich Dinge vielleicht schon vor dem ersten Therapiegespräch verändert haben, kann sich die Situation des Klienten auch zwischen den einzelnen Sitzungen in drei Richtungen entwickeln: (1) Die Situation kann besser werden; (2) die Situation kann unverändert bleiben; (3) die Situation kann sich verschlechtern.

      Wenn die Klienten ihr Problem zunehmend höher skalieren und ihre Situation sich von Sitzung zu Sitzung bessert, gibt der Therapeut ihnen dafür Komplimente und Anerkennung und fordert sie zu einer ausführlichen Beschreibung auf, wie sie solche Veränderungen haben zustande bringen können. Dadurch werden nicht nur die Veränderungen bestärkt und konsolidiert, sondern auch deutliche Impulse an die Klienten gegeben, »das Begonnene fortzusetzen«. Wenn »die Situation unverändert geblieben ist«, kann der Therapeut den Klienten ebenfalls Komplimente und Anerkennung geben: entweder dafür, dass sie ihre vorgenommenen Veränderungen beibehalten haben, oder aber dafür, dass sie eine Verschlimmerung der Situation verhindert haben. Er könnte z. B. fragen: »Wie haben Sie es geschafft, dass die Situation nicht noch schlechter wurde?« Diese Frage motiviert den Klienten interessanterweise häufig zu einer Beschreibung von Veränderungen, die er herbeigeführt hat, und auch in solchen Fällen kann der Therapeut den Klienten gegenüber Komplimente und Anerkennung ausdrücken und sie darin unterstützen und ermutigen, weitere Veränderungen vorzunehmen.

      THERAPEUT: Frau K., letzte Woche haben Sie sich auf der Skala für gute Kommunikation bei der 4 eingestuft. Darf ich fragen, wo Sie sich diese Woche einordnen?

      EHEFRAU: [Pause] Ich würde sagen, bei der 5.

      THERAPEUT: Eine 5! Klasse! Tatsächlich, in nur einer Woche.

      EHEFRAU: Ja, ich glaube, unsere Verständigung hat in der vergangenen Woche besser geklappt.

      THERAPEUT: Inwiefern war Ihre Verständigung in der vergangenen Woche besser?

      EHEFRAU: Also, ich glaube, es liegt an Richard. Es kam mir so vor, als ob er mir in der vergangenen Woche besser zugehört hätte.

      THERAPEUT: Das ist ja prima. Können Sie mir ein Beispiel nennen, wann er ihnen besser zugehört hat?

      EHEFRAU: Na ja, gestern zum Beispiel. Meistens ruft er mich einmal am Tag im Geschäft an, und …

      THERAPEUT: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber haben Sie gesagt, dass er Sie einmal am Tag anruft? Im Geschäft?

      EHEFRAU: Ja.

      THERAPEUT: Ich bin nur etwas überrascht, denn nicht alle Männer rufen ihre Frauen jeden Tag an.

      EHEFRAU: Das hat er schon immer so gemacht.

      THERAPEUT: Finden Sie das gut? Ist das etwas, von dem Sie sagen würden, er soll es nicht ändern?

      EHEFRAU: Ja, natürlich.

      THERAPEUT: Entschuldigung, fahren Sie bitte fort. Sie haben mir gerade von gestern erzählt, als er Sie anrief.

      EHEFRAU: Nun ja, meistens ist es ein kurzer Anruf. Aber ich habe ihm gegenüber ein paar Probleme erwähnt, die ich gerade hatte, und er hat mir ganz lange zugehört, er schien sich Gedanken zu machen und gab mir ein paar gute Tipps. Das war schön.

      THERAPEUT: Das war also ein Beispiel dafür, wie Sie es gerne hätten, wo Sie über etwas reden können, ein Problem, und er zuhört und gute Tipps gibt? Unterstützung?

      EHEFRAU: Ja.

      THERAPEUT: Herr K., wussten Sie, dass Ihre Frau es gern hat, wenn Sie sie anrufen und ihr zuhören? Dass es das war, was Sie beide in den Augen Ihrer Frau auf der Skala nach oben gebracht hat?

      EHEMANN: Ja, ich denke schon. Ich habe mich diese Woche echt angestrengt.

      THERAPEUT: Das ist ja prima. Was haben Sie sonst noch unternommen, damit die Verständigung in dieser Woche besser geklappt hat?

      Dieses Beispiel zeigt, wie das Gespräch mit dem Paar über die Skalierung seiner Situation zu einem Instrument wird, mit dem der Fortschritt der Klienten festgestellt werden kann. Der Therapeut bzw. die Therapeutin sammelt immer mehr Informationen über die kleinen Veränderungen, die die Klienten aus eigener Kraft erreicht haben und auf der Skala höher bewerten. Der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut würde dem Paar an dieser Stelle selbstverständlich vorschlagen, seine erfolgreichen Handlungen fortzusetzen, was in diesem Fall heißt: dass der Mann