Steve de Shazer

Mehr als ein Wunder


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partiellen Verschleierung der Herkunft mancher Argumente werden doch durch Frageformen und Themen manchmal die Sprecher transparent … das Schöne ist dann, dass dieses Vorgehen erlaubt, zwischendurch derartige Zuordnungen auch wieder zu vergessen. Die AutorInnen zeigen dabei durchaus viele relevante Unterschiede z. B. bezüglich der bevorzugten Fragereihenfolgen, ihrer Haltung zu den Skalen und zum Stellen der Wunderfrage. Wieder ist zu sehen, wie wenig normiert viele Abläufe in dem scheinbar so fast mechanisch wirkenden Procedere der SFBT liegt.

       Ausblick und Vorschau

      Mehr als ein Wunder: Kann es ein schöneres Motto für diesen Neuaufbruch in der Zeit nach Steve und Insoo geben? Über zwei Jahrzehnte begleitet Steve den Weg von Insa und mir, über fast eines hin durften wir auch Insoo kennen lernen. Und diese Zeit war als ganzes ein Wunder für uns. Es gab viele kleine Schritte – und letztlich blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Wie sich die Klientinnen oft buchstäblich körperlich schon während der ersten Erwähnungen des Wunders zu verändern begannen – und wie viel Erfahrung es dann brauchte, damit es bei anderen Klienten gelang; wie dieser Ansatz von Anfang an so einfach war – und welch ungeheuere Sorgfalt und Mühe es erforderte, diese Einfachheit immer wieder zu erneuern. Doch während dieser Bemühungen wuchsen die Früchte des Bemühens wie von selbst heran. Klientinnen stellten plötzlich immer geeignetere Fragen für ihren eigenen Prozess der Lösung – und wir staunten, da wir nicht wirklich wussten, was wir denn nun richtiger gemacht hatten. Manchmal fanden wir es heraus – kaum dass ein paar Jahre vergangen waren … Und dann merkten wir, dass Steve oder Insoo auf der neuen Insel, die wir so erreicht hatten, schon lange ansässig waren.

      Steve und Insoo haben das Wunder in den Alltag geholt, und, vielleicht sogar noch über die Wunder hinausgehend, die Fähigkeit zur wertschätzenden Beobachtung.

      Lassen sie uns Steve und Insoo zu Ehren in unser und in andrer Menschen Leben mit so viel Wertschätzung blicken, dass die Kostbarkeit der Ressourcen wieder deutlicher wird, »einen kleinen Schritt« wie es in einem der Buchtitel von Yvonne Dolan heißt und wie es viele unsrer KlientInnen sich zur guten Angewohnheit machten: erinnern wir uns daran, dass wir dem Wunder schon begegnet sind. So lädt man Wunder ein – am besten noch heute! More than Miracles!

       München, den 9. Februar 2008Matthias Varga von Kibéd

      1 im Folgenden: SFBT für »Solution Focused Brief Therapy«.

      2 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen 217: »›Wie kann ich einer Regel folgen?‹ – wenn das nicht eine Frage nach den Ursachen ist, so ist es eine nach der Rechtfertigung dafür, daß ich so nach ihr handle.

      Habe ich die Begründungen erschöpft, so bin ich nun auf dem harten Felsen angelangt, und mein Spaten biegt sich zurück …«

      3 In dieser Hinsicht ist der Ansatz wirklich den analytischen und tiefenpsychologischen Auffassungen diametral entgegengesetzt. Aus Wittgensteins Sicht verwechselt Freud in seiner Theoriebildung Ursachen und Gründe.

      4 Durch nichts wurde mir das so klar, wie wenn Insa Sparrer lösungsfokussierte Interviews führt, bei dem bis auf ein »Ja« oder »Nein« oder eine Skalenzahl die KlientInnen keine hörbaren Antworten geben müssen, ohne dass das einen relevanten Unterschied für den Gesamtablauf der lösungsfokussierten Arbeit macht.

      5 und nebenbei Generationen von Doktoranden mit Fragen nach »der« richtigen Rollenverteilung beschäftigen werden.

       Vorbemerkungen

      Es ist mir eine besondere Freude, ein neues Vorwort für die deutsche Ausgabe von More Than Miracles schreiben zu dürfen. Steve de Shazer, dem dieses Buch gewidmet ist, fühlte sich mit seinen deutschsprachigen Kollegen und Kolleginnen auf besondere Weise verbunden und hatte große Achtung vor ihnen, und er identifizierte sich stark mit seinem deutschen Erbe. Leider verstarb Steve ein paar Wochen nach der Fertigstellung der Endfassung dieses Buches, und Insoo Kim Berg, seine Ehefrau und enge Arbeitspartnerin, verschied ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung des Werkes in den USA.

      Seit den späten 1970er Jahren widmeten sich Steve de Shazer und Insoo Kim Berg fast 30 Jahre lang der Aufgabe, den therapeutischen Ansatz zu entwickeln und konsequent zu verfeinern, der schließlich zu der international anerkannten Solution Focused Brief Therapy (SFBT/SFT)1 wurde. So wie sich durch die Begegnung mit Steve und Insoo das Leben vieler Menschen veränderte, veränderte sich auch mein Leben. Unsere Freundschaft umspannte 20 Jahre und mehrere Kontinente.

      Wir begegneten uns zum ersten Mal Mitte der 1980er Jahre, als ich ihr Brief Family Therapy Center (BFTC) in Milwaukee, Wisconsin, besuchte. Von der Ambulanz des BFTC aus wurde ich in einen höhlenartigen Beobachtungsraum geführt, in dem eine große Menschengruppe saß und in gebannter Faszination zuschaute, wie eine zierliche Koreanerin mit kurzem, dunklem Haar und funkelnden Augen auf sanfte, fürsorgliche Weise hinter dem Einwegspiegel ein Therapiegespräch mit einer ungepflegten Multiproblem-Familie führte. Die Frau war Insoo Kim Berg, und sie strahlte eine unerschütterliche Achtung vor der Kompetenz, den Ressourcen und der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis bei jedem einzelnen Familienmitglied und einen unerschütterlichen Glauben daran aus.

      Ich erinnere mich, dass ich damals dachte: »Auch wenn ich mein ganzes Leben lang dafür brauche – ich möchte so therapieren lernen, wie sie das tut.« Rückblickend zeigt sich, dass ich mit diesem Zeitrahmen vielleicht gar nicht so sehr danebenlag. Als ich zwei Jahrzehnte später mit Steve in seinem letzten Lebensjahr an diesem Buch arbeitete, vertraute er mir gut gelaunt an, dass er einen großen Teil seiner Laufbahn darauf verwendet habe, alles präzise zu benennen und schriftlich festzuhalten, was Insoo tat, wenn sie lösungsfokussierte Therapien durchführte!

      Steve de Shazer veröffentlichte neben zahlreichen Buchkapiteln und Artikeln fünf bahnbrechende Bücher, die bislang in 14 Sprachen übersetzt worden sind. Er war Mitbegründer des Milwaukee Brief Family Therapy Center, dessen Leitung er 1978 bis 1989 innehatte und an dem er die letzten 16 Jahre seines Lebens als Senior Research Associate wirkte.

      Obwohl ich Steve de Shazer und Insoo Kim Berg über 20 Jahre lang bei ihrer Arbeit beobachtet habe, war es immer wieder eine aufschlussreiche Erfahrung, sie im Gespräch mit Klienten zu erleben. Beide gingen sehr ungezwungen mit Phasen des Schweigens um und konnten diese therapeutisch äußerst geschickt nutzen; sie betrachteten Veränderungsprozesse als einen unvermeidlichen und dynamischen Teil des Alltagslebens und wussten, dass Lösungen nicht zwangsläufig mit den Problemen zusammenhängen, die sie beseitigen.

      Die lösungsfokussierte Kurztherapie ist bekanntlich zwar auf die Zukunft gerichtet und bewegt sich absichtlich an der Oberfläche des Problems, aber die Antworten der Klienten auf Kim Bergs oder de Shazers lösungsfokussierte Fragen konnten zu einer äußerst detaillierten, sehr spezifisch fokussierten Art von Lebensrückblick führen, in dem Klient und Therapeut peinlich genau die gesamte Bandbreite der Erfahrungen des Klienten durchkämmten, um zentrale Ausnahmen (d. h. Zeiten, in denen das Problem nicht vorhanden oder weniger ausgeprägt war) sowie für die Lösungsentwicklung relevante Ressourcen aufzustöbern bzw. zu benennen.

      Das vielleicht bedeutsamste Moment ist das, dass Kim Berg und de Shazer Sitzung für Sitzung konsequent etwas vollbrachten, das leicht gesagt, aber oft sehr schwer umzusetzen ist: Sie zeigten großen Respekt vor den Klienten und motivierten sie leidenschaftlich zum Hoffen, und dabei gingen sie präzise, wirksam und kraftvoll mit der Sprache um. Und sie schafften es, der therapeutischen Arbeit den Anschein von Leichtigkeit zu geben.

      Steve de Shazers Kommunikationsstil kann man wegen seiner präzis-knappen und sorgfältigen Wortwahl durchaus minimalistisch nennen. Doch ich würde die Aufmerksamkeit, Andacht und Fokussiertheit, mit der er seinen Klienten zuhörte, anders bezeichnen: als wertschätzende Beobachtung. Er ging nicht nur davon aus, dass Klienten ihr Bestes geben, sondern er tat etwas viel Schwierigeres und weitaus Respektvolleres: Er unterließ es ganz bewusst, auf der Basis von Annahmen menschliches Verhalten willkürlich zu interpretieren bzw. auf der Basis von Interpretationen Annahmen zu formulieren.