Sandra Schneeberger

Handeln mit Dichtung


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im Zentrum der Lektüre.

      Wiederholungen können unterschiedlich ausgestaltet sein und unterschiedliche Funktionen aufweisen. Karl-Heinz Hartmann stellt verschiedene Varianten zusammen: So können Wiederholungen z.B. bestimmte Elemente sammeln und über die Menge beispielsweise eine allgemeine Gültigkeit vermitteln. Eine übermässige Sammlung kann jedoch auch das Gegenteil bewirken und zu einem Sinnüberschuss und damit möglicherweise zu Bedeutungslosigkeit führen. Eine andere Art der Wiederholung ist die Steigerung: „Dabei geht es darum, zu übertreffen und Aufmerksamkeit zu erregen, um allfälligen Innovationsverlust durch mehrmaliges Erzählen auszugleichen. Auch hier kann das durch Ähnlichkeit oder Kontrast erzeugt werden. Eine Wiederholung stellt Gemeinsames und Kohärentes heraus, signalisiert aber auch den Fortlauf der Zeit.“9

      2.4.3 Rahmung

      Der dritte Aspekt literarischer Performativität, der für diese Arbeit von grosser Bedeutung ist, ist die Rahmung. Auch die Wirkmacht von Rahmungen ist in verschiedenen Theorien des Performativen bereits hervorgehoben worden. Sprachliche Handlungen können nur innerhalb bestimmter Rahmen bzw. Bedingungen funktionieren. Rahmungen sind sowohl Gelingens- wie auch Misslingensbedingungen für sprachliches Handeln. Ähnlich wie die Wiederholung können sie für allgemeine Gültigkeit sorgen, können aber auch performative Akte aktualisieren und in einen neuen Zusammenhang stellen: „[…] etwa wenn ‚eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert wird, das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligten aber als etwas ganz anderes gesehen wird“.1 In der Kunst, sei es z.B. im Theater oder eben in der Literatur sind derartige Übertragungen möglich und werden gleichzeitig auch als solche kenntlich. Herberichs/Kiening über den Unterschied von Rahmen alltäglicher Sprechakte und solchen in der Literatur:

      In literarischen Texten ist dies [das Mitthematisieren des Rahmens] konstitutiv – schon Friedrich Schlegel notierte sich 1797: ‚Jedes Kunstwerk bringt den Rahm[en] mit auf die Welt‘. Es hat ja, wie angedeutet, seine Eigengeltung erst herzustellen, und es tut dies, indem es Rahmenbedingungen entwirft, unter denen jene Geltung sich zu ergeben hätte.2

      Wieder rückt das Performative eine paradoxe Situation in den Blick: Texte sind nicht einfach das Innere, das von dem sie umgebenden Rahmenäusseren bestimmt wird. Das Verhältnis von Innen und Aussen ist komplexer: „[Die Texte] sind vielmehr ein „Inneres“, in dem das „Äussere“ seinerseits enthalten ist – aber eben nur im Modus des „Inneren“, hier also unter den Gegebenheiten von (literarischer Textualität).“3 Unter der Rahmung als Aspekt literarischer Performativität kann man so die komplexe Schnittstelle zwischen Innen und Aussen eines Textes sehen. Dabei muss man in einer Analyse unterscheiden zwischen dem, „was den Vollzug eines Textes allgemein kulturell und spezifisch situativ bestimmt, und dem, was der Text hinsichtlich seiner eigenen Wirkung und Verdauerung selbst zum Einsatz bringt – durchaus nicht nur in Übereinstimmung mit, sondern oft auch in Abweichung von kulturellen Mustern.“4

      Zusätzlich zu den textuellen Rahmungen weisen vormoderne Handschriften (ebenso natürlich moderne Werke) auch aussertextuelle Rahmungen auf. Deshalb ist eine Lektüre von Texten, die in solchen Handschriften überliefert sind, nur umfassend, wenn sie auch derartige Rahmen beachtet: „Schon die jeweilige Ausstattung von Codices trägt zur Perspektivierung von Texten bei: Beigegebene Marginalien, Rubrizierungen und Überschriften sind Signale, die auf die Geltung der Texte rückwirken. Verschränkungen von Text und Bild sorgen für wechselseitige Rahmungen.“5 Derartige Verschränkungen finden sich mehrere im Codex Upsaliensis, sie führten unter anderem zu seiner Wahl als zentrales Werk dieser Arbeit. Ihre spezifischen Ausgestaltungen werden in Kapitel 3.2 untersucht. Durch eine vergleichende Untersuchung solcher Rahmen liesse sich auch Interessantes über die unterschiedlichen Funktionen der verschiedenen Edda-Versionen sagen, was aber hier nicht im Vordergrund steht. Aber auch andere, der Handschrift beigefügte Texte können die Wahrnehmung eines bestimmten Textes beeinflussen und seinen Deutungsrahmen verändern. Einen direkten Einfluss auf die Wirkung eines Texts haben natürlich auch rahmende Paratexte:

      Pro- und Epiloge, Pro- und Epimythien gehören in verschiedenen Textgruppen konstitutiv zur literarischen Struktur. Sie lassen den Akt des Erzählens und die Aktualität des Erzählten aufscheinen; z.B. indem sie Situationen von Mündlichkeit fingieren, die Rezeptions- als eine Dialogssituation inszenieren und deiktische Verweise einsetzen. Sie pointieren derart die Ereignishaftigkeit und die Literarizität des Erzählens, ohne selbst ausserhalb des literarischen Textes verortet zu sein.6

      Ein Rahmen kann einem Text Geltung verleihen, dient gleichzeitig aber als Markierung für die prekäre Situation dieser Art von Geltungsstiftung. Ein Rahmen kann immer auch als reflexives Moment eines Textes verstanden werden. Eine der bekanntesten und komplexesten Rahmensituationen im Zusammenhang mit der P-E ist sicherlich in Gylfaginning zu finden. Wie sich da ein rahmender gelehrter Lehrer-Schüler-Dialog mit dem Rahmen eines nordischen Wissenswettstreits verbindet und die verschiedenen literarischen Ebenen ihre Rahmungen ausstellen, ist Thema von Kapitel 3.3.2.

      2.4.4 Literarische Performativität: Ein Beispiel

      Zur Verdeutlichung der oben beschriebenen theoretischen Grundlagen bietet sich der Blick auf einen spezifischen Beitrag aus Herberichs/Kienings Sammelband zur literarischen Performativität an. Obwohl die Thematik und die historische Verortung sich scheinbar sehr von der vorliegenden Arbeit unterscheiden, ist Christa Haeselis Beitrag zu den althochdeutschen Zaubersprüchen in ihrem Überlieferungskontext auch interessant im Hinblick auf die Untersuchung der skaldischen Dichtung in der P-E.1 Haeseli kommt weg von der klassischen Sprechakttheorie und bestimmt auch den Begriff performance neu, indem sie ihn für eine Handschriftenanalyse und die Frage nach Textstrategien zusammendenkt. Dabei verschiebt sich der Fokus der Fragestellung von der realweltlichen Verwendung der Zaubersprüche hin auf Zaubersprüche als schriftliche Texte mit ihren je eigenen Wirkungsstrategien. Der Begriff performance wird dazu im Gegensatz zu seiner üblichen Verwendung bewusst für den „Auftritt“ eines Textes im schriftlichen Kontext verwendet:

      Mit diesem Perspektivenwechsel wird gegen die schematische Vorstellung von situativer, wirkmächtiger mündlicher Aufführung versus dauerhaftem, wirkungslosem, schriftlich fixiertem Text argumentiert. Es stellt sich die Frage nach den textuellen Strategien, die darauf abzielen, textüberschreitende Wirkung zu erlangen. Dabei werden die sprachmagischen Texte nicht als defizitär, als Überreste einer umfassenderen mündlichen und deshalb nicht mehr zugänglichen performance betrachtet, sondern sie können als eine Art Partitur verstanden werden, welche die Bedingungen von Wirkungsmöglichkeiten erst herstellen und dabei selber performativ verfasst sind.2

      Haeseli zeigt, wie althochdeutsche Zaubersprüche in Handschriften eingefügt werden und da je unterschiedliche performative Wirkung entfalten. Sie fragt dabei nicht nur nach zauberspruchinhärenten performativen Strategien, sondern auch danach, wie die spezifische Eintragungsart und der handschriftliche Kontext als Wirkungssteigerung funktionieren können. Dies ist etwa der Fall, wenn sich Zaubersprüche an kryptographische Alphabete anlagern oder andere auratische Texte als performative Rahmungen nutzen.3 Aus ihren Ausführungen wird klar, dass die Performativität der Rahmentexte aber nicht einseitig gedacht werden darf. Die „gerahmten“ Texte wirken genauso auch als performative Rahmen für die sie umgebenden Texte. Deshalb sollte man die Kompositionsprinzipien der Handschrift ernst nehmen.

      Dies wird auch für die im Codex Upsaliensis enthaltenen Texte zu beachten sein, sowie auf einer anderen Ebene auch für die Integration skaldischer (und auch eddischer) Strophen in Prosatexte. Die Parallelen von skaldischen Gedichten und Zaubersprüchen mögen etwas gewagt sein, dennoch überschneiden sie sich in gewissen Dingen: Beides sind kulturelle Phänomene aus einer (vermeintlichen) heidnischen und mündlichen Vorzeit. Beide werden im Zusammenhang mit schriftlicher Gelehrsamkeit tradiert und ihnen wird eine hohe sprachliche Wirkmacht zugesprochen. Haeseli zählt vier Aspekte auf, die für ihre Untersuchung literarischer Performativität zentral sind4: (1) Die Wirkmacht eines Zauberspruchs ist in einem Text nicht unmittelbar gegeben. Man muss also nach den Mechanismen fragen, die ihre Wirkung im Schriftlichen mitkonstituieren. Unter (2) „wird der Dynamisierungsprozess selbst verstanden, der den