Sandra Schneeberger

Handeln mit Dichtung


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wird Rede in Rhetorik und Logomystik dezidiert als welterzeugende Kraft interpretiert: beide Traditionen richten sich gegen die intellektualistische Idee der Sprache als System oder Kompetenz, die dem gewöhnlichen, verkörperten, Wirkungen zeitigenden und schöpferischem Reden vorausginge.4

      In der klassischen Rhetorik der Antike falle der λόγος mit seiner Wirksamkeit zusammen, so Hetzel. Rhetorik könne dabei insgesamt als Vollzugsform von Performativität gelesen werden: „sie lehrt dem Redenden, wie er redend Verständiges über Praxis sagen und durch Reden handelnd auf sie einwirken kann.“5 Über Performativität werde in den klassischen Lehrbüchern im Rahmen aller fünf Produktionsstufen der Rede nachgedacht. Am wichtigsten sei sie allerdings in Bezug auf die actio:

      Ein zuvor gedanklich und/oder schriftlich konzipiertes (inventio, dispositio) und ausgearbeitetes (elocutio) ‚Stück‘ (Rede, Drama, Musikstück, Aktionskunststück) wird ‚aufgeführt‘, ‚inszeniert‘, in eine wahrnehmbare Handlung (Vortrag, Konzert, performance) umgesetzt.6

      Es ist wichtig, die Rhetorik als Vorgeschichte des Performativitätsbegriffs ernst zu nehmen, gerade wenn man den Begriff auf ein gelehrtes Werk wie die Prosa-Edda anwenden will, die sich in eine Traditionslinie gelehrter klassischer Texte stellt. Trotz der Nähe der Rhetorik für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit dient hier der Performativitätsdiskurs als theoretische Basis für die Lektüre der Prosa-Edda. Analysen mithilfe der Rhetorik werden zwar als besserer Zugang zu Werken „vor einer Theorie des Performativen“ vorgeschlagen, sie konzentrieren sich aber meiner Meinung nach zu sehr auf rein sprachliche Phänomene bzw. kritisieren einen Performativitätsbegriff nach Austin, der in der vorliegenden Arbeit nicht im Zentrum steht. So kritisiert z.B. Karl G. Johansson berechtigterweise, dass keine Vermischung von moderner Theorie mit vormodernen Inhalten angestrebt werden sollte.7 Vormoderne Werke nur mit vormoderner Theorie zu untersuchen, verspricht jedoch nicht unbedingt neue Einsichten. Für mediävistische Untersuchungen muss zwingend immer neu abgeklärt werden, ob und inwiefern moderne Theorien als Analysekategorien für mittelalterliche Texte (oder allgemeiner, Phänomene) nutzbar sind. Jutta Eming formuliert die Notwendigkeit des Gebrauchs moderner Theorien in Bezug auf die Emotionsforschung, ihre Aussagen lassen sich aber auch auf die Performativitätstheorien übertragen:

      Literaturwissenschaftliche Emotionsanalysen setzen sich mit der Frage auseinander, wie eine zu untersuchende Emotion definiert ist, und zwar historisch ebenso wie in der modernen Emotionsforschung. Dass beide Wege eingeschlagen werden, sorgt mitunter für Irritation. So wird in der Auseinandersetzung mit der Emotionsforschung vielfach der Einwand vorgebracht, dass nur von „Affekten“ gesprochen werden könne, nicht aber von Emotionen – denn nur „Affekt“ sei ein historischer Begriff […]. Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass Analysen historischer Literaturen nicht nur im Rekurs auf die Selbstbeschreibungsmodelle der entsprechenden historischen Kulturen zulässig sind. Tatsächlich wird in der Mediävistik auch nicht so verfahren, sonst hätte zum Beispiel die Systemtheorie nicht ihren prominenten Status in Bezug auf Konzepte von Identität, Gesellschaft, Code, amour passion erhalten, analytische Abstraktionen für Verhältnisse in der wirklichen Welt […]. Sonst wäre nicht von Gesellschaft zu sprechen, sondern von ordo, nicht von Genealogie, sondern von art, und – zumindest bei einigen Diskurstypen – nicht von einem Autor, sondern von Gott.8

      Es ist also beiderseits möglich und notwendig, moderne Theorien für die Analyse mittelalterlicher Texte einzusetzen, es kommt auf die Art und Weise der Umsetzung an. In Bezug auf performative Theorien und vormoderne Texte schreibt Alexandra Prica:

      Der Einbezug weitgehend „überhistorischer“ Theorien in die Analyse eines mittelalterlichen Textes kann nicht grundsätzlich, sondern lediglich selektiv und mit heuristischem Anspruch erfolgen. Im Vordergrund steht nicht eine Kritik zeichentheoretischer Positionen, sondern deren Auslotung im Hinblick auf ihre Tauglichkeit als analytische Instrumentarien für den Zugang zum konkreten Material. Was als „textuelle Performativität“ in den Blick kommen kann, ist auf historische Konstellationen zu beziehen und in diesen auf seine Aussagekraft zu prüfen.9

      In diesem Sinne soll auch eine Lektüre der P-E mit einem „doppelten Blick“ vorgenommen werden. Während der moderne theoretische Zugang eine neue Perspektive eröffnen soll, sollen auch spezifische historische Zugänge nicht ausser Acht gelassen werden. Wo immer möglich, sollen theoretische Ansätze oder eher Modelle zu den Möglichkeiten und Grenzen der Sprache und Literatur in der P-E selbst sichtbar gemacht werden.

      Um die zahlreichen medialen Phänomene in der Prosa-Edda mit in eine Lektüre einzubeziehen, kann ein breiter gefasster moderner Diskurs wie der der Performativität aber weitere Perspektiven eröffnen.

      2.3 Literarische Performativität in der skandinavischen Mediävistik

      Wie im Vorangegangenen gezeigt, verlangt der Begriff des Performativen eine genaue Bestimmung, soll er denn als theoretisches Werkzeug dienen. Die Verwendung des Begriffs in der germanistischen Mediävistik und in Teilen der Skandinavistik wurde bereits angesprochen.1 Für die vorliegende Arbeit sind bestimmte Präzisierungen vonnöten. Wie der Forschungsüberblick gezeigt hat, lohnt es sich, gewisse Punkte des rhizomatischen Begriffs performativ so genau wie möglich zu bestimmen, um ein aussagekräftiges Analysewerkzeug zu erhalten. Ob sich mit Hilfe des so erarbeiteten Begriffs neue Perspektiven für die Lektüre der P-E (und evtl. für weitere Texte) eröffnen, wird sich erst im Verlauf der Untersuchung herausstellen. Die folgenden zwei Aspekte setze ich deshalb als Eingrenzung für die anschliessenden Lektüren voraus.

      2.3.1 Die Prosa-Edda als schriftlich konzipiertes Werk

      Anders als in bisherigen skandinavistischen Arbeiten unter dem Begriff des Performativen steht in dieser Arbeit die literarische Performativität im Fokus. Dieser Zugang wurde meines Wissens in der Skandinavistik noch nicht systematisch erprobt. Der Begriff des Performativen wird da eher im Hinblick auf die Aufführungssituationen von Texten (wie z.B. von eddischen Gedichten) und im Zusammenhang mit Aspekten der mündlichen Tradierung untersucht. Dabei wird meist ein performance-Begriff verwendet, der aus den Theater- oder der Ritualtheorien stammt. Die P-E, wie sie in der Version von Codex Upsaliensis vorliegt und hier im Zentrum steht, ist ein für eine spezifische Schriftlichkeit konzipiertes Werk und nicht für eine dramatische Aufführung gedacht.1 Es geht nicht darum, Spuren ursprünglicher Mündlichkeit oder möglicher Aufführungssituationen im Text aufzuspüren und sich so an eine vermeintliche „Urversion“ der P-E anzunähern. Es geht darum, das als Schriftstück konzipierte Werk in seiner Gesamtheit neu zu betrachten und mit Hilfe des Begriffs der literarischen Performativität neue Einblicke zu erhalten. Das erlaubt es, etwas wegzukommen von den vielbesprochenen Fragen nach Oralität und Skripturalität und einen Blick auf eine Kultur zu werfen, in der die Stimme und die Schrift in regem Austausch mit- und nebeneinander existierten. Die These dieser Arbeit ist es, dass die P-E im Codex Upsaliensis als Zeugnis für dieses mediale Miteinander gelten kann. Das Werk thematisiert Sprache, Literatur und Dichtung auf eine einzigartige Weise: Nicht nur die Vermittlung von Wissen über Sprache steht im Zentrum, sondern auch die Frage danach, wie eine solche Vermittlung am besten zu gestalten ist. Anhand der P-E lässt sich der selbstreflexive Prozess dieser Diskussion mitverfolgen, was eine Lektüre im Hinblick auf literarische Performativität äusserst interessant macht.

      2.3.2 Vergleichbarkeit und Eingrenzung

      Der theoretische Zugang soll für verschiedene Werke brauchbar sein: Ein theoretisches Konzept, das nur für eine einzige Untersuchung funktioniert, ist wenig sinnvoll, da eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Gegenständen fehlt. Deshalb werden hier bestimmte Aspekte literarischer Performativität abgegrenzt, die für die vorliegende Arbeit zentral sind. Das würde in einem zweiten Schritt erlauben, die Aspekte literarischer Performativität der P-E mit denjenigen anderer Werken zu vergleichen.

      In der weitläufigen Theorielandschaft des Performativen scheint mir ein Ansatz aus der germanistischen Mediävistik besonders interessant, um ihn an altnordischem Textmaterial zu erproben: Cornelia Herberichs und Christian Kiening tragen in ihrem Sammelband