Sandra Schneeberger

Handeln mit Dichtung


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die Inszenierung, die Medialität sowie die Selbstreferentialität von Texten.16 Mittlerweile wird die Performativität von Texten auf zwei Ebenen analysiert, die weiter unten genauer beschrieben werden: Die sogenannt strukturelle Performativität fokussiert darauf, wie der Text macht, wovon er spricht, oder gegebenenfalls etwas Anderes macht, als er behauptet. Die funktionale Performativität hingegen untersucht, was ein Text beim Rezipienten auslöst.

      Auch in der mediävistischen Literaturwissenschaft hat das Begriffsfeld des Performativen grossen Einfluss gewonnen. Es werden ebenfalls verschiedene Ansätze verfolgt und wiederum lässt sich keine allgemeingültige Theorie bestimmen. Im Folgenden werden wichtige Schritte in der Entwicklung der verschiedenen Ansätze vorgestellt. Diese tragen ihren Teil zum Zugang bei, der in dieser Arbeit verfolgt wird. Sie greifen in einzelnen Abschnitten bereits auf weiter unten vorgeschlagene Verbindungen in die mediävistische Skandinavistik vor. Viele der hier angeführten Gedanken werden für die Lektüre der P-E von Bedeutung sein, auch wenn sie hier erst unter einer allgemeinen Übersicht vorgestellt werden.

      Das Performative wird einerseits als wichtige neue Perspektive in unterschiedlichen mediävistischen Philologien akzentuiert, andererseits wird die Arbeit mit dem Begriff gerade für Phänomene der Vormoderne als problematisch angesehen. Im Zug des performance turn der Kulturwissenschaften in den 1990er Jahren wird das Mittelalter verstärkt als eine performative Kultur bzw. eine Kultur der Performanz angesehen. Im Gegensatz zur Moderne/Postmoderne, die dabei als Sinnkultur mit einem Fokus auf den Verstand und die Zeit beschrieben wird, kann man das Mittelalter auch als eine Kultur der Präsenz bezeichnen. In einer derartigen Kultur ist die Wahrnehmung durch die körperlichen Sinne die Zugangsform zu Welt bzw. zu Gott. Wichtige Aspekte sind dabei Räumlichkeit, Unmittelbarkeit und Körperlichkeit.17 Manuele Gragnolati und Almut Suerbaum untersuchen in ihrem Sammelband von 2010 Aspekte des Performativen in der mittelalterlichen Kultur und heben dabei sog. Präsenzeffekte als wichtig hervor.18 Verhandlungen der performativen „Präsenz-Kultur“ kann man in kulturellen Erzeugnissen wie z.B. in Texten finden. Die Bedeutung von Körper und Raum als Mittel über und durch das man kommuniziert, wird für und in den neu aufkommenden medialen Möglichkeiten des Mittelalters aktualisiert. Ein Text sollte dieselbe Präsenz haben wie der menschliche Körper:

      Study of the performative aspects of medieval culture allows a focus on the ways in which medieval texts, but also medieval forms of recording human behaviour and action, manage to convey both presence and absence simultaneously, thereby creating a space which is open to interpretation. In other words, medieval culture could be thought of as a culture in which the written text is endowed with potential to create presence or indeed as a culture of presence that is at the same time aware of the fact that it is liable to be given meaning through interpretation.19

      Eine performative Perspektive auf mittelalterliche Texte bedeutet dementsprechend zu sehen, inwiefern ein schriftlicher Text über seine paradoxe Wirkkraft reflektiert oder über die Unterschiede zur mündlichen Äusserung nachdenkt. Die Macht des geschriebenen Wortes muss sich erst über die Zeit hin entwickeln. In Gebrauchstexten wie z.B. Urkunden etc. bedarf es lange der gleichzeitigen Machtpräsenz oder Machtdemonstration (z.B. durch Siegel).

      Ebenfalls mit dem Präsenzbegriff arbeitet Hans Rudolf Velten. Er verbindet ihn mit dem Begriff der Aufführung: Weil im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit die Schriftkultur und die mündliche Kultur eng verwoben sind und die Schrift dazu dient, mündliches und körperliches Wissen zu fixieren und für die neuen medialen Möglichkeiten anzupassen, kann man die mittelalterliche Kultur als eine Aufführungskultur bezeichnen.20 Velten führt aus:

      Das Performative spielt als wesentlicher Bestandteil von Präsenz in zahllosen kulturellen Akten wie repräsentativen Herrschaftszeichen, Zeremonial- und Symbolhandlungen, ritualisierten Gesten, Spiel und Wettkampf, in den Inszenierungen von Ritualen religiöser und weltlicher (etwa politischer) Prägung, und eben auch in den verschiedenen Formen der Dichtung und künstlerischen Darstellung eine grosse Rolle.21

      In literarischen und gelehrten Texten – und damit auch in der P-E – bietet sich die Möglichkeit, derartige kulturellen Bedeutungsverschiebungen zu thematisieren.

      Als problematisch wird eine performative Perspektive auf vormoderne Phänomene manchmal deshalb angesehen, weil keine eigene mittelalterliche Theoriebildung zu Fragen des Performativen besteht und mit moderner Theorie an die Kultur des Mittelalters herangegangen wird. Wie alle Disziplinen, die historische kulturelle Praktiken zum Gegenstand haben, kann die mediävistische Literaturwissenschaft keine kulturellen Performances mehr beobachten. Es bleibt für immer unklar, wie diese ausgesehen haben, da weder Ton- noch Bildaufnahmen davon existieren. Erhalten sind einzig Texte, in denen mögliche Spuren solcher Performances enthalten sind – quasi zur Schrift erstarrte Performances. Das Problem einer solchen Auffassung ist, dass immer danach gefragt werden muss, inwiefern sich etwas durch eine Performance Aufgeführtes durch Schrift vermitteln lässt (bzw. auch durch Film- oder Tonaufnahmen). Zwar ermöglicht die Schrift eine Fixierung der flüchtigen Aufführung, sie erlaubt aber auch, die Aufführung umzudeuten und ihr neue Bedeutung zu verleihen. Inwiefern eine verschriftlichte Aufführung eine „reales Aufführungsereignis“ exakt abbildet, kann also nicht mehr bestimmt werden. Wie sich in den hier vorgestellten Überlegungen zum Performativen in vormodernen kulturellen Phänomenen zeigt, muss das aber auch nicht das Ziel sein. So sagt z.B. Jutta Eming (ähnlich wie bereits oben Gragnolati und Suerbaum), dass sich Untersuchungen mit einer performativen Perspektive durchaus lohnen, denn performative Kulturen zeichnen sich immer auch durch ein Reden über performative Phänomene bzw. deren Gestaltung aus. Derartige selbstreflexive Momente sind spannend und lohnen eine genaue Untersuchung. Eming sagt zum wichtigsten vormodernen performativen Turn und dessen Reflexion in textuellen Medien:

      Der zentrale performative turn des 11. und 12. Jahrhunderts, die Etablierung einer Handschriftenkultur in der Volkssprache, kann beispielsweise nicht ohne Rekurs auf die körpergebundene mündliche Kommunikationssituation erfasst werden. Im Vordergrund steht damit die Frage, wie eine auf Visualität, Mündlichkeit und Performanz basierende Kultur mit textuellen Medien vermittelt wird. Zu den Formen, die sich aus mittelalterlichen Text- und Bildquellen ermitteln lassen, gehören Phänomene inszenierter Körperlichkeit, simulierter Akustik und Visualität, Strategien der Wahrnehmungssteuerung und der affektiven und sinnlichen Beteiligung von Rezipienten.22

      Inszenierte Körperlichkeit und simulierte Akustik bzw. Visualität können z.B. als ein Reden über das Performative gedeutet werden. Ebenso verschiedene Strategien der Wahrnehmungssteuerung oder der Beteiligung des Rezipienten (sowie auf der nächsten Beobachtungsebene die Verhandlung solcher Wahrnehmungssteuerung).

      Eine forschungsgeschichtliche Wurzel des Performativen in der Mediävistik ist die Oralitätsforschung, die in den 1920er Jahren ihren Anfang nahm und stark von Milman Parry und seinem Schüler Albert Bates Lord geprägt wurde.23 Untersuchungen in ihrer Tradition stellen die Mündlichkeit vormoderner Gesellschaften als alleinige Medialität dar und beschränken ihre Perspektive darauf. Mit Walter J. Ong erlebte der Begriff der Oralität in den 1980er Jahren wieder einen grossen Aufschwung. In seinem Aufsatz Orality, Literacy, and Medieval Textualisation fordert er die methodische Bearbeitung mündlicher Überlieferung.24

      Mit dem Begriff der Medialität wird diese Diskussion aktuell wieder aufgenommen und auch in der skandinavistischen Mediävistik untersucht.25

      Im Anschluss an Ong finden sich Positionen, die das enge Neben- und Miteinander von Schriftlichkeit und Mündlichkeit im Mittelalter herausstellen und die Untersuchungen abseits vom reinen Text ermöglichen. Almut Suerbaum und Manuele Gragnolati bezeichnen die mittelalterliche Kultur denn auch als „betwixt and between“:

      On the one hand, medieval culture is seen as dominated by the transition from orality to literacy, by a focus on writings, signs, signification, and hermeneutics. On the other hand, aspects of ritual, gesture, and process are at the forefront of current interest. […] Yet the question arises whether such polar oppositions really capture the characteristics of a culture which so often favoured tripartite rather than bipartite structuring, and whether in fact medieval culture is best understood as inhabiting the liminal space, in other words, whether it should, in the title of a recent study,