Sandra Schneeberger

Handeln mit Dichtung


Скачать книгу

zwischen dem Sprecher und dem Angesprochenen. Die Wirksamkeit liegt nicht in der reinen sprachlichen Form, sondern in den gesellschaftlichen Umständen. Hier wird die enge Verbindung zum weiter unten dargestellten Aspekt der Wiederholung/Wiederholbarkeit deutlich: Erst im wiederholten Handeln bzw. in wiederholten kulturellen Praktiken ergibt sich die Autorität eines Richters, Priesters etc.3 Inwiefern die P-E mit einer auf Autoritätsgewinnung ausgelegten Wiederholung als textuelle Strategie arbeitet, wird in Kapitel 2.4.2 beleuchtet.

      In der literarischen Welt funktioniert sprachliches Handeln anders als in der realen Welt:

      Das „Handeln“, das in den Texten und durch sie stattfindet, kann von den Geltungsbedingungen alltäglichen Handelns entlastet sein, hat damit aber auch erst einmal eigene Geltungsbedingungen herzustellen. Wortmächtige Akte wie Segen, Gebete oder Verfluchungen besitzen, in Texten mitgeteilt, nicht von vornherein Evidenz, vermag die Schrift doch grundsätzlich ursprüngliche Bedeutungen immer auch zu verändern oder ins Latente zu verschieben.4

      In der realen Welt erhält ein Sprechakt durch eine ihm vorausliegende Geltung Wirkkraft. Ein literarischer Text muss diese Verbindlichkeit gleichzeitig konstituieren und auf sich übertragen. Das, worauf er sich stützt, muss er zugleich selbst hervorbringen. Das ermöglicht der Literatur immer auch das Spiel zwischen tatsächlicher und behaupteter Geltung und lässt ihre Wirkkraft entweder steigern oder einschränken. Die Evidenz literarischer Sprechakte muss deshalb durch zusätzliche Strategien gewonnen werden: „[…] zum Beispiel durch Anleihe bei onto-theologischen Konzepten, transzendenten Ursprüngen oder rechtlich normativen Modellen.“5 Für die christliche Vormoderne beruht die Wirkmacht von Sprache auf bestimmten kulturellen Vorbedingungen, nämlich auf:

      […] dem im Eingang der Genesis entwickelten und im Prolog zum Johannes-Evangelium aufgegriffenen Gedanken, die Welt sei durch die zugleich ursprünglichen und ewigen Schöpfungsworte Gottes hervorgebracht und damit Resultat einer Identität von Sprechen und Handeln. Dieser Gedanke bot den Hintergrund und Geltungsrahmen für die Übertragung transzendenter Bedingungen auf immanente: Das göttlich inspirierte oder autorisierte Wort, die christliche Offenbarungsmacht von Sprache und Schrift, sie ermöglichen es, Texte mit Transzendenzenergie aufzuladen und mit ontologischen Zügen zu versehen – als nicht nur Veranschaulichungen und Repräsentationen, sondern Verkörperungen und Realisationen genuin heilsgeschichtlicher Texte. Auch dort, wo es um die Legitimierung von Herrschaft, die Setzung von Recht oder allgemein die Schaffung von Geltung und Verbindlichkeit ging, spielte der nicht bloss referentielle oder mimetische, sondern performative und vollzugshafte Charakter von Texten eine Rolle.6

      Literarische Texte rufen eine derartige Evidenz nicht einfach auf oder übernehmen sie, sondern sie stellen sie aus und reflektieren sie. So können z.B. intradiegetische Sprachhandlungen dem extradiegetischen Handeln des Textes entgegenstehen und so das Paradox des Performativen gerade hervorheben. Wie sich in der Lektüre der P-E zeigen wird, lassen sich performative Aspekte von Sagen als Tun auf verschiedenen Ebenen finden. In Gylfaginning werden bspw. sowohl auf der Rahmen- als auch auf der Binnenebene Eide geschworen, Flüche ausgesprochen und Versprechen gegeben bzw. gebrochen. Die Genesis und das Johannes-Evangelium als kulturelle Vorbedingungen gelten natürlich auch für das Entstehungsumfeld der P-E, was sich deutlich in der Gestaltung des Prologs und seinen Verbindungslinien zur Konzeption von Gylfaginning zeigt. So kann man z.B. die gesamte Gylfaginning als performativen Sprechakt/Schreibakt verstehen: Der Text berichtet über die Entstehung und das Wesen des nordischen Kosmos und stellt ihn als Lehre dieser Welt vor. Gleichzeitig stellt er aber auf ausgeklügelte Weise aus, dass diese Welt erst durch seine Erzählung entsteht und nur die konstante Weitererzählung ihr Bestehen sichert. Die Art und Weise, wie ein Text mit solchen Performativa verfährt, hilft dem Sprach- und Literaturverständnis eines Werks nachzuspüren. Gylfaginning scheint der Frage nachzugehen, ob „Welt“ nur im Erzählen hergestellt werden kann. Auf einer rezeptionsästhetischen Ebene kann man auch nach der Sprechaktintention der P-E in Bezug auf die skaldische Dichtung fragen. Als These liesse sich annehmen, dass die P-E die Skaldik vor dem Verschwinden aus dem kulturellen Gedächtnis retten soll. Die Frage könnte dann lauten: Ist der Sprechakt geglückt? Derartige Zugänge werden in den Lektürekapiteln erprobt.

      2.4.2 Wiederholung/Wiederholbarkeit

      Ausgehend von Jacques Derridas Gedanken besagen Performativitätstheorien, dass es eine Gelingensbedingung von Handeln mit Sprache ist, dass dieses Handeln (z.B. Zeichen, Wörter, Sätze) wiederholbar ist. Performativität heisst nicht einfach „etwas wird getan“, sondern „ein Tun wird aufgeführt“. Ein derartiges Aufführen ist aber immer auch ein Wiederaufführen.1 Gleichzeitig ist diese Gelingensbedingung einer sprachlichen Handlung paradox, wie Herberichs/Kiening zeigen: „Was wiederholt werden kann, stiftet Erwartbarkeit, lässt aber auch deren Aushöhlung zu, schafft Stabilitäten, die aber immer auch von Instabilitäten durchdrungen sind.“2 Die Wiederholung kann wie ein Zitat sowohl als Anknüpfung oder Kontextualisierung gedacht sein, sie kann im Gegenteil aber auch einen Bruch ausstellen und etwas in einen neuen Zusammenhang stellen.

      Das kulturelle Muster der Iterabilität, das im Modus des wörtlichen Zitierens ein intertextuelles Wiederholungsmuster ist, stellt einen performativen Sprechakt stets in die Reihe der vorausgegangenen Sprechakte und verleiht ihm eine Identität, die eine Voraussetzung für die wirklichkeitsverändernde Wirkmacht des Wortes ist.3

      Dieses allgemeingültige Muster ermöglicht es literarischen Texten die Wiederholung als Mittel zu gebrauchen, „sich auf eine Tradition zu beziehen und Anschlusskommunikation herzustellen.“4 Es sind solche Anschlussmittel, die dem literarischen Text die Möglichkeit verleihen, mit Bedeutung zu spielen. Nicht nur identische Repetition einer Tradition, sondern auch Abweichungen und Umdeutungen sind möglich. Noch einmal weisen Herberichs/Kiening auf das Paradoxe dieser Situation hin: „Demnach ist also die Iterabilität, die im Nicht-Authentischen, im Abgeleiteten, im Nachgeahmten, im Parodierten sich manifestiert, gerade dasjenige, was das Ursprüngliche und Authentische ermöglicht.“5 Auch bei diesem Aspekt literarischer Performativität spielt der Kontext der christlichen Vormoderne eine grosse Rolle: Der Rückgriff auf göttlich begründete Ursprünge und autoritative Momente der Vergangenheit ist in dieser Kultur zentral und macht Texte zu Wiederholungsereignissen:

      Sie nehmen Stoffe auf, die im kulturellen Wissen der Zeit fest verankert sind. Doch sie aktualisieren sie auch, passen sie je anderen Bedingungen und Kontexten an. Sie ermöglichen den affektiven Nachvollzug heilsgeschichtlicher und historischer Gegebenheiten, lenken aber überhaupt das Augenmerk auf den je neuen Vollzug von Gegebenem. Die Texte schaffen damit Raum für die Teilhabe an der Ordnung der Welt, für transzendente Kommunikation und individuelle Heilssorge. Zugleich erzeugen sie Zeitverhältnisse, in denen sich Vergangenheit und Gegenwart auf komplexe Weise durchdringen.6

      Ob und inwiefern sich diese starke Gewichtung des christlichen Einflusses auch bei einer Poetik der volkssprachlichen Dichtung, die auf – vermeintlich – heidnischem Mythos beruht, bemerkbar macht, wird sich zeigen. In der Lektüre soll darum darauf geachtet werden, ob sich Unterschiede in der Ausgestaltung des literarischen Verfahrens der Wiederholung erkennen lassen. Ganz klar zentral ist der Aspekt der Wiederholung in der P-E auf der literarischen Ebene des Textes, wie es auch von Herberichs/Kiening für literarische Texte als charakteristisch dargestellt wird: „Der Anschluss an literarische Traditionen (auf der Ebene von Stoffen, Motiven, Erzählmustern, Strukturen), wird als Bedingung für das Weiter- und Wiedererzählen ausgestellt. Prozesse von Bedeutungsgenese und -übertragungen werden an Phänomenen der Wiederholung sichtbar gemacht.“7 Je nach Gattung des Textes holen derartige Verfahren andere Dinge in den Blick: „In narrativen Texten erlauben gattungstypische Doppelungen eine strukturelle Reflexion von Erzählorganisation und -prozess, eine Sinnstiftung, die von vorgängigen Textordnungen sich ableiten oder auch abrücken und wiederum den Elementen innerhalb des jeweiligen Werkes zusätzliche Bedeutungsdimensionen verleihen kann.“8 In der Wiederholung liegt die Macht der Um- oder Neudeutung. Gleichzeitig macht die Wiederholung darauf aufmerksam, dass sie „gemacht“ ist. Durch wiederholende Strukturen wird auf den Aufführungscharakter bzw. den jetzt aktuellen Vollzug, die vergangenen und zukünftig möglichen Vollzüge hingewiesen. (Nicht nur) für die P-E bedeutet das