Группа авторов

Große Werke der Literatur XV


Скачать книгу

et recommence, vers l’achèvement ignoré! La vie où nous baignons, la vie aux courants infinis et contraires, toujours mouvante et immense, comme une mer sans bornes/Das Leben, das Leben, das wie ein Strom dahin fließt, das sich fortsetzt und wieder beginnt, einer unbekannten Vollendung entgegen! Das Leben, in dem wir schwimmen, mit seinen unendlichen gegenläufigen Strömungen, unendlich und immer in Bewegung, wie ein Meer [eine Mutter] ohne Grenzen.39

      Der alte Fontane steht solchen Visionen tief skeptisch gegenüber. Er erzählt eher eine Aporie bloßer Ideen und Utopien, als sich ihnen hinzugeben. Die Deutschen Naturalisten, vor allem Gerhart Hauptmann und Arno Holz, teilen Zolas Antithesen, sehen sie aber prinzipiell unaufgelöst. Natur im Sinne Rousseaus oder der Romantik ist bei ihnen der handelnden Außenwelt gegenüber buchstäblich Erinnerung, so aber hat sie immer noch ihren Sehnsuchtswert. Wie durch ein Fenster schaut sie manchmal in die Gefängnisse der naturalistischen Dramen-Räume herein. Und Sehnsuchtswert hat eine freundliche, humane Natur auf alle Fälle auch für Fontane. Man denke über die bisher vorgestellten Natur- und Liebes-Räume hinaus überhaupt an den Mythos der Ozeanien, Undinen und Melusinen, der Natur-Wesen, ein Mythos der Fontane zeitlebens faszinierte. Aber Sehnsüchte oder Mythen haben bei ihm nicht einfach Recht. Ich habe gezeigt, wie beide Seiten der antithetischen Naturauffassung, z.B. der Zolas, sich bei ihm finden lassen; sie erscheinen freilich feiner, sozusagen homöopathisch gemildert – das Medizinische ist für die Naturalisten immer eine Orientierung gewesen, und Fontane war ja von Haus aus Apotheker.

      Fontane argumentiert, was man ihm ja auch oft vorgeworfen hat, lediglich in indirekten Verweisen. Und er verfolgt – das darf nicht verwischt oder gar gleichgesetzt werden – ein von den Naturalisten grundsätzlich verschiedenes, erzählstrategisches Ziel.40 Bei Zola sollen sich die Leser von der Evolution mittragen lassen und ihrerseits an ihr arbeiten. Die Deutschen Naturalisten provozieren Alternativen, vielleicht auch Protest. Fontane sucht im Netz der Metonymien den „großen Zusammenhang der Dinge“, wie es im Roman Der Stechlin heißt.41 Genauer: Die Kunst des Verweisens will die Antithesen der zuletzt nicht weniger deutlich als bei den Naturalisten gesehenen ‚harten‘ Realität übersetzen in Reflexion, Sprache, Bewusstsein der Gefühle und in Denken. Der ‚große Zusammenhang‘ ist für Fontane alles andere als eine evolutionäre Utopie, wie Zola sie entwirft, sondern ein bewusst gesuchter und ganz illusionslos, ja durchaus skeptisch gesehener, allenfalls möglicher intersubjektiver Konsens: ein gesuchter, allenfalls möglicher, aber keinesfalls gegebener oder gar sicherer humaner Fortschritt. So formuliert gerade das vollkommen humanisierte Naturwesen Melusine, eine liberal und progressiv denkende Aristokratin in Fontanes letztem Roman Der Stechlin (1889), diese sozusagen regulative Idee der Humanität am klarsten, wenn sie sagt, dass „wir […] den großen Zusammenhang der Dinge“ in allen „neuen“ Bestrebungen suchen und dafür „recht eigentlich leben“ sollen. Aber sie hält diesen „revolutionären Diskurs“42 nicht als Vision oder Hymne, wie Zolas Sprachrohr, der Docteur Pascal, sondern gerade auch den Lesern gegenüber von gleich zu gleich, nur so ist intersubjektiver Konsens möglich, als Gespräch, ja, – und warum nicht? – im Plauderton.

      Literaturverzeichnis

       Primärliteratur:

      Fontane, Theodor: Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes. Bd. 2. Hgg. Walter Keitel und Helmut Nürnberger. Darmstadt 1971.

       Sekundärliteratur:

      Aust, Hugo: Theodor Fontane. Tübingen und Basel 1998.

      Bauer, Matthias: Romantheorie. Stuttgart, Weimar 1997.

      Becker, Sabina: „Literatur als ‚Psychographie‘. Entwürfe weiblicher Identität in Theodor Fontanes Romanen“. Realismus? Zur deutschen Prosa-Literatur des 19. Jahrhunderts. Hgg. Norbert Oellers und Hartmut Steinecke. Sonderband der Zeitschrift für deutsche Philologie 120. Berlin 2001. 90–110.

      Blasberg, Cornelia: „Das Ratsel Gordon oder: Warum eine der ‚schönen Leichen‘ in. Fontanes Erzählung „Cécile“ männlich ist“. Realismus? Zur deutschen Prosa-Literatur des 19. Jahrhunderts. Hgg. Hartmut Oellers und Norbert Steinecke. Sonderband der Zeitschrift für deutsche Philologie 120. Berlin 2001. 111–127.

      Chevrel, Yves: Le naturalisme en question. Paris 1980.

      –: Le naturalisme dans les littératurs européennes. Nantes 1983.

      –: Le naturalisme. Étude d’un mouvement littéraire international. 2. Aufl. Paris 1993.

      Dubois, Jacques; Francis Edeline und Jean-Marie Klinkenberg u.a.: Allgemeine Rhetorik (Rhétorique générale, 1970). Hgg. Arnim Schütz. München 1974.

      Flaubert, Gustave: Madame Bovary. Hg Bernard Ajac. Paris 1986.

      Fontane, Theodor: Sämtliche Werke. Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen. Bd. 1: Aufsätze und Aufzeichnungen. Hg. Jürgen Kolbe, München 1969.

      –: Werke, Schriften und Briefe. Hgg. Walter Keitel und Helmuth Nürnberger. 2. Aufl. Darmstadt 1971.

      Geppert, Hans Vilmar: Der realistische Weg. Formen pragmatischen Erzählens bei Balzac, Dickens, Hardy, Keller, Raabe und anderen Autoren des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1994.

      –: Literatur im Mediendialog. Semiotk, Rhetorik, Narrativik: Roman, Film, Hörspiel, Lyrik und Werbung. München 2006.

      –: „‚Morgens im Spielkasino‘. Theorie eines literarischen Realismus im 19. Jahrhundert“. Theorien der Literatur. Bd. IV. Hgg. Günter Butzer und Hubert Zapf. Tübingen, Basel 2011. 117–139.

      –: „Theodor Fontane ‚Der Stechlin‘“. Große Werke der Literatur. Bd. VI. Hg. H.V. Geppert. Tübingen, Basel 1999. 103–115.

      –: „Rhetorik und Literaturtheorie“. Theorien der Literatur. Bd. II. Hgg. H.V. Geppert und Hubert Zapf. Tübingen, Basel 2005. 49–83.

      –: „Suchbild Europa. Theodor Fontane und der Europäische Naturalismus“. Europa im Blick. Siebtes gemeinsames Symposion der Universitäten Augsburg und Ossiek. Hg. Gregor Weber. München 2006. 15–29.

      –: „Von der ‚menschlichen Bestie‘ zum ‚unbekannten Gott‘. Theorie des Europäischen Naturalismus“. Theorien der Literatur. Bd. VI. Hgg. Günter Butzer und Hubert Zapf. Tübingen 2013. 181–204.

      Mecklenburg, Norbert: Theodor Fontane, Romankunst der Vielstimmigkeit. Frankfurt/M. 1998.

      Rippon, Maria R.: Judgement and Justification in the Nineteenth century Novel of Adultery. Westport, Connecticut 2002.

      Ueding, Gert und Bernd Steinbrink: Grundriss der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode. Stuttgart 1986.

      Verga, Giovanni: I Malavoglia. Hg. Sarah Zappulla Muscara. Milano 1987.

      Zola, Émile: La faute de l’abbé Moret. Hg. Colette Becker. Paris 1972.

      –: L’Argent. Hg. Émilien Cararsus. Paris 1974.

      –: L’Assommoir. Hg. Jacques Dubois. Paris 1969.

      –: La bête humaine. Hg. Robert A. Jouanny. Paris 1972.

      –: La fortune des Rougon. Hg. Robert Ricatte. Paris 1969.

      –: La terre. Hg. Marcel Girard. Paris 1973.

      –: Le docteur Pascal. Hg. Jean Borie. Paris