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Große Werke der Literatur XV


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die Bedeutungsübertragungen herstellen nach dem Prinzip partes pro partibus (Teile stehen für Teile). Der Name des Firmengründers ‚Horch‘ beispielsweise (das ist der eine pars bzw. ‚Teil‘), steht im übergreifenden Kontext der Produktion und des Gebrauchs von Automobilen (das wäre das implizite totum), auch wenn er inzwischen in lateinisch ‚Audi‘ übersetzt wurde, er kann für einen anderen ‚Teil‘ dieses ganzen Kontexts stehen, nämlich für ein einzelnes Auto. So können wir etwa sagen: „Ich fahre jetzt einen Audi“, und dies wird seit je problemlos verstanden.

      Und genauso, nach demselben Mechanismus wechselseitiger Bedeutungs-Vertretung, können dann auch umfangreichere Texte und Kultur-Phänomene bedeutsam aufeinander bezogen werden. Metonymien stellen also ein Wechselspiel her von Verallgemeinerung und Vereinzelung, von Verbindung und Trennung, Konnex und Identität, einen wechselseitigen Bezug von Teilen, Ganzheiten und anderen Teilen auf einender, und so fort. In diesem Sinne war das eingangs skizzierte ‚Textum‘-Modell von ‚Tweed und Kaschmir‘, in dem vielfarbige Fäden auftauchen, verschwinden, irgendwo sonst, vielleicht sogar weit getrennt, wieder hervortreten und so fort, ein solches ‚Gewebe‘ war immer schon eine metonymische Konfiguration.

      Dazu nun gleich ein weiteres Beispiel zum Thema „Fontane und der europäische Naturalismus“. Die Szene:

      Der ältere Herr […] reichte seiner Dame den Arm und ging im langsamen Tempo, wie man eine Rekonvaleszentin führt, bis an das Ende des Zugs […],

      diese Szene und überhaupt die ganze gepflegte Langeweile – „niemand sprach“ – in einem Abteil des Schnellzuges von Berlin in den Harz am Anfang von Fontanes Cécile16 hat auf den ersten Blick sicher wenig zu tun mit der Brutalität der Handlung in Zolas Eisenbahn-Roman La bête humaine / Die menschliche Bestie (1890). Aber das Eisenbahnnetz ist ganz wörtlich ein großer „Konnex“, in dem dieses betont „leere […] Compartiment“, in dem man „allein“ zu bleiben hofft, Station für Station und explizit anschaulich (in praesentia würden die Rhetoriker sagen) nicht nur mit Berlin („die Siegessäule halb gespenstisch“) und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit („Sahst du Saldern?“) verbunden bleibt, sondern dieses ganz Europa umspannende Netz verknüpft, implizit gewiss (und jetzt natürlich in absentia), aber genau gesehen dann doch fest, diese kleine und leise Eisenbahn-Szene aus Cécile durchaus mit dem großen, lauten Bahnhof des „quartier de l’Europe“ in Paris17 – „quartier de l’Europe“: ein bezeichnender Name –, wo La bête humaine beginnt. Und dieser reale Nexus der beiden Szenerien (in der Tat ein totum für zwei getrennte partes), anders gesagt: dieser fern reichende, bei Fontane ganz feine, für Zola starke und laute, gleichwohl gemeinsame ‚Erzählfaden‘ scheint mir alles andere als beliebig. Sieht man nur etwas genauer hin, dann entdeckt man hier viele weitere solcher metonymischen Gemeinsamkeiten.

      In La bête humaine geht es, vereinfacht, aber nicht falsch gesagt, um die menschliche Fähigkeit zu töten, ja zu morden, die sich in der technisierten Genauigkeit und Brutalität der Eisenbahn spiegelt: Mord aus Gier, aus Eifersucht, vor allem aber, so ist das bei Zola, aus ererbter, triebhafter, unentrinnbarer Aggressivität. Die bricht zuletzt beim Romanhelden Jacques Lantier durch. Und diese ‚menschlich bestialische‘ Brutalität spiegelt sich auch im zentralen Eisenbahn-Unfall wieder, zuletzt im Krieg von 1870, in den dieser Roman mündet. Dieser ‚Erzählfaden‘ der Eisenbahn, bei aller Verschiedenheit der beiden ‚partes‘ bei Fontane und Zola zeigt nun durchaus auch ein ‚Muster‘: Wie hat bei Zola die drastische Serie von Mord und Totschlag begonnen? Der reiche und mächtige Eisenahndirektor hatte vor Jahren sein Mündel Sévérine sexuell ausgebeutet. Ihr Mann ermordet ihn später aus Eifersucht und verletztem Stolz, und das auf brutale und zugleich raffinierte Weise. Damit setzt die eigentliche Handlung ein.18 Der einzige Zeuge, Jacques Lantier, schweigt. Aber die beobachtete Tat ‚weckt‘ den Triebtäter in ihm auf, und am Ende des Romans wird er Sévérine ermorden.

      Alles sehr kräftig und laut und weit entfernt von den feinen Erzählfäden Fontanes. Aber wenn in Cécile der alte Fürst die sehr junge Cécile ihrer Mutter sozusagen ‚abgekauft‘ hat, und sein Sohn sie als Maitresse weiter ‚beschäftigt‘, zeigt sich da nicht ganz fein letztlich doch dieselbe ‚Erzählfarbe‘ der ökonomisch-sexuellen Ausbeutung? St. Arnaud, der sich selbst zu den „Leuten vom Fach [des Tötens]“ zählt (212), und der überhaupt von Anfang an von Todes-Motiven umgeben ist, erschießt seine Gegner ganz gesittet im Duell, aber die ’Ich-Kränkung‘, die aus seinem Handeln spricht, reicht offensichtlich, und letztlich doch wie die in La bête humaine, viel weiter und tiefer zurück, als der jeweilige Anlass. Und so wie es erzählt wird, scheint er den ‚Kick‘ des Tötens durchaus zu genießen. Lebt da nicht doch irgendwo ein eleganter ‚Triebtäter‘ in ihm, der töten will, eine verfeinerte und dekadente bête humaine? Cécile, eine schöne, aber schwache Frau wie Sévérine (beide zeittypische femmes fragiles), wird nicht ermordet, aber leidet an der Ächtung durch ihre bürgerliche Umwelt, nicht zuletzt an der fast reflexhaften Beleidigung durch ihren Geliebten, und sie stirbt daran. Und hier wie dort verstärkt das Verschweigen und Verdrängen das Konfliktpotential von verletzter Natur und gesellschaftlichem Druck. Hier wie dort entsteht eine unentrinnbar gefährliche, letztlich naturalistische Dramatik, die sich, bei allen Unterschieden, dann ja auch in Cecile gewaltsam entlädt.19

      Doch nun gilt es natürlich auch das Trennende zu sehen. Zu verbinden und in eins damit zu trennen, gehört ja ganz wesentlich zur Figur der Metonymie. Für Zola ist die Eisenbahn Teil eines ‚natürlichen‘ Systems, in dem physikalisch-technische, wirtschaftliche, physiologische und eben auch psychische Gesetze zur Anwendung kommen und sich wechselseitig potenzieren. Dieses System von Gesetzen kann viel zerstören, aber es wird auf lange Sicht, der Gedanke prägt vor allem die letzten Romane des Rougon-Macquart-Zyklus, durch alle Katastrophen hindurch sich selbst regenerieren und heilen. Die Maschinerie der Eisenbahn ist Teil dieses Systems, und vor allem die Lokomotive wird zu einem lauten, kraftvollen, oft zerstörerischen, geradezu mythischen Monster überhöht. Aber letztlich führt sie eben doch in eine bessere Zukunft hinein.20

      Fontane erzählt lediglich Metonymien dieses naturalistischen Systems, weil er ganz anders argumentiert. Seine Metonymien übersetzen die naturalistischen ‚Fäden‘ in ein ganz anderes ‚Gewebe‘, einen ganz anderen Diskurs. Bezeichnenderweise bewegt sich der Zug in Cécile völlig lautlos und geruchsfrei. Die Eisenbahn steht nicht wie bei Zola für eine Dynamik von Gesetzen, ja Zwängen; sie steht für eine Dynamik der Gefühle und des Denkens. Die Eisenbahn, genauer, denn deren Technik oder Organisation interessiert hier niemanden, die Reise, die Fahrt durch deutsche Geographie („die Siegessäule halb gespenstisch“, „Magdeburg und sein Dom“), dies alles ist in Cécile nicht Teil eines Netzes von Gesetzmäßigkeiten, sondern Teil eines Netzes von Informationen. Entlang der Strecke zwischen Berlin und dem Harz werden Erfahrungen ausgetauscht: ‚Geschichten‘ reisen hin und her („täuschte nicht alles, so lag eine ‚Geschichte‘ zurück“, (143)), Emotionen, Wert-Setzungen, auch Vorurteile und Traumatisierungen, Missverständnisse, Täuschungen und so fort, trennen, verbinden, überlagern und klären sich. Das sind alles ‚Nachrichten‘, Informationen, die zwischen den Personen, zwischen Teilen der Gesellschaft (man denke an die wichtigen Briefe) und zwischen Berlin und dem Harz hin und her ‚reisen‘. Und nicht zuletzt werden sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart hinein transportiert und ausgetauscht. Das Eisenbahn-Netz signalisiert, ja vertritt bei Fontane, ein Kommunikations-Netz. Es ist ein Teil davon. Und in diesem ist Verständigung und Konsens prinzipiell zumindest möglich. Insbesondere wenn dieses Kommunikations-Netz auf die Ebene des literarischen Erzählens gehoben und so erst recht verallgemeinert wird. Fontane erzählt das alles ganz illusionslos und durchaus auch ein wenig brutal, aber er erzählt immer nur ‚Teile‘ von ‚Teilen‘ des europäischen Naturalismus, und er erzählt zugleich gegen diesen an. Er ‚transferiert‘ gemilderte und verfeinerte ‚Teile‘ aus dessen ‚grober‘ Erzähl-Welt in seinen eigenen Diskurs, so dass sie zu ‚Teilen‘ (pars pro parte) eines nun letztlich, und zumindest als Ziel, human verfassten Kommunikations-, je Gesprächs-Netzes werden.

      Solche ‚naturalistischen‘ Fragmente, hier also die Eisenbahn-Szene, die in ein kommunizierendes, ja reflektierendes Medium