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Große Werke der Literatur XV


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ist die nationale, ja bis zu einem gewissen Grade nationalistische und gar (im positiven Sinne) lokalpatriotisch-chauvinistische Dimension des Buches. Thoreau bezog seine Hütte am 4. Juli – reiner Zufall, wie der Autor behauptet, aber selbst als Zufall ein bedeutsamer Fingerzeig: Thoreau versteht sich als Amerikaner, sein Experiment knüpft an jene Emanzipation an, für die im Kalender der USA noch heute Independence Day steht, in Erinnerung an den 4. Juli 1776, an dem die Gründungsurkunde der Vereinigten Staaten, die Declaration of Independence, unterzeichnet wurde. Thoreau als Amerikaner, Walden als Ausdruck eines amerikanischen Selbstbewusstseins – normalerweise mache ich um diesen Aspekt nicht allzu viel Aufhebens, gehört Walden doch längst zur Weltliteratur. Aber es gibt Zeiten, da kann man gar nicht genug Aufhebens darum machen, steht doch Thoreau mit seiner Biographie wie mit seinem Werk für ein nobles, anspruchsvolles und nicht zuletzt weltoffenes Amerika ein, das umso größeren Respekt verdient, als es seit einiger Zeit Tag für Tag in einen Morast primitiver Tweets ‚getrumpelt‘ wird.

      Literaturverzeichnnis

       Primärliteratur:

      Emerson, Ralph Waldo: „Hymn: Sung at the Completion of the Concord Monument“. Collected Poems and Translations. Hgg. Harold Bloom und Paul Kane. New York 1994, S. 125.

      Thoreau, Henry David: Walden. Hg. J. Lyndon Shanley. Princeton 1971.

      — : Journal. Bisher 8 Bände. Hgg. Elizabeth Hall Witherell (u.a.). Princeton 1981.

       Deutsche Übersetzungen:

      Walden, oder Leben in den Wäldern. Übers. Emma Emmerich und Tatjana Fischer. Zürich 2004.

      Walden: Ein Leben mit der Natur. Übers. Erika Ziha. München 1999.

      Walden, oder Leben in den Wäldern. Übers. Anneliese Dangel. Köln 2009.

       Sekundärliteratur:

      Coetzee, J.M.: „What is a Classic? A Lecture“ (1991). Stranger Shores: Essays 1986–1999. London 2002, 1–19.

      Donath, Anne: Wer wandert, braucht nur, was er tragen kann: Bericht über ein einfaches Leben. München 2006.

      Eliot, T.S.: „From Poe to Valéry“ (1948). The Recognition of Edgar Allan Poe. Hg. Eric W. Carlson. Ann Arbor 1970, 205–219.

      — : „What is a Classic?“ (1944). Selected Prose of T.S. Eliot. Hg. Frank Kermode. London 1975, 115–131.

      Engler, Balz: „What is a Classic?“ Poetry and Community. Tübingen 1990, 42–57.

      James, Henry: The American Scene (1907). Collected Travel Writings: Great Britain and America. Hg. Richard Howard. New York 1993, 351–736.

      Kermode, Frank: The Classic. London 1975.

      Löffler, Philipp (Hg): Reading the Canon: Literary History in the 21st Century. Heidelberg: 2017.

      Lowell, James Russell: „Thoreau“ (1865). The Writings of James Russell Lowell. Riverside Edition. Boston 1890, 1: 361–381.

      Mukherjee, Ankhi: What is a Classic? Postcolonial Rewriting and Invention of the Canon. Stanford. Redwood City CA 2014.

      Pavese, Cesare: „The Literary Whaler“ (1960). The Recognition of Herman Melville. Hg. Hershel Parker. Ann Arbor 1970, 194–203.

      Sainte-Beuve, Charles Augustin: „Qu’est-ce qu’un classique?“ Causeries du lundi, 21.10.1850, 38–54. (http://www.tierslivre.net/litt/lundi/classique).

      Schulz, Dieter: Henry David Thoreau: Wege eines amerikanischen Schriftstellers. Heidelberg 2017.

      Schulz, Kathryn: „Pond Scum: Henry David Thoreau’s Moral Myopia“. The New Yorker (19.10.2015). (http://www.newyorker.com/magazine/2015/10/19/pond-scum).

      Twain, Mark: A Tramp Abroad, Following the Equator, Other Travels. Hg. Roy Blount, Jr. New York 2010.

      Walden 2015ff. Gruner+Jahr Verlagsgruppe. (http://www.waldenmagazin.de/download/Walden_Factsheet_2015.pdf).

      Walden 2017. (http://www.gujmedia.de/print/portfolio/walden/leserschaft/).

      Walden, a Game. (https://www.waldengame.com/).

      Zapf, Hubert: Literatur als kulturelle Ökologie: Zur kulturellen Funktion imaginativer Texte an Beispielen des amerikanischen Romans. Tübingen 2002.

      — : Literature as Cultural Ecology: Sustainable Texts. London 2016.

      ‚Effi Briests arme Schwestern‘

      Theodor Fontane: Cécile, Irrungen, Wirrungen, Stine

      Hans Vilmar Geppert

       für Gunther Gottlieb

      Ein Text, ein ‚textum‘, das ist, wie der lateinische Name sagt, zunächst einmal ein ‚Gewebe‘, ein Gewebe wie Tweed beispielsweise, ein Gewebe aus vielen feinen, verschiedenfarbigen Fäden. Ein solcher ‚Text‘ käme der Erzählkunst Theodor Fontanes in der Tat recht nahe. Wenn man ein unifarbenes Kleidungsstück, einen dunkelblauen Pullover beispielsweise oder eine rostrote Krawatte gegen eine Tweed-Jacke hält – alles natürlich aus Schottland, das Fontane bekanntlich sehr liebte –, dann werden in dem vielfarbigen Gewebe blaue oder rote Muster sichtbar, die man ohne diesen Kontext vielleicht übersehen hätte. Lässt sich so vielleicht auch Literatur neu lesen?

      Denn wenn Fontane in vielen Farben angelegte ‚Gewebe‘ aus feinen Fäden erzählt, dann hat der so gut wie zeitgleich um ihn her dominierende europäische Naturalismus eines Zola, Ibsen, Arno Holz, Hardy, Gissing oder Giovanni Verga oft etwas farbig Kräftiges, Drastisches und bewusst Provozierendes, ja Plakatives. Man setzte auf „Totalanschauungen“.1 Das war Fontanes Sache nicht. Aber hält man solche kräftigeren, eindeutiger geprägten und farbig expliziten ’Kon-Texte‘ gegen ein Textkorpus wie das Fontanes, so wie eben einen blauen Pullover gegen eine grau-beige-blaue Tweedjacke, es können Spuren und Fäden feiner Muster sichtbar werden, die gleichwohl klar konturiert hervortreten. Hier setzt mein Vortrag an. Denn so schließen sich vielleicht solche feinen, oft jedoch sehr deutlichen und kontrastreichen Spuren zu einem kohärenten Muster zusammen,2 das vielleicht, wenn ich so sagen darf, ‚Effi Briests arme Schwestern‘ wie ein Suchbild in den drei Erzählungen Cécile, Irrungen, Wirrungen und Stine sichtbar machen könnte. Denn was diese drei, ihrer Entstehung nach ineinander verschachtelten Texte verbindet, das ist, so meine heutige These, Fontanes ganz spezifische Auseinandersetzung mit dem Europäischen Naturalismus.

      Fontane begann 1881 damit, die Erzählung Stine zu konzipieren und nieder zu schreiben. Doch ein Jahr später 1882 brach er diese Arbeit ab und begann die an Irrungen, Wirrungen. Auch hier machte er zwei Jahre später halt, um zwischen 1884 und 1887 Cécile kontinuierlich auszuarbeiten und abzuschließen. Wieder ein Jahr später schloss er 1888 Irrungen, Wirrungen ab, und noch einmal zwei Jahre danach lag schließlich 1890 Stine vor.3 Die drei nacheinander erschienenen Erzählungen rahmen einander also ihrer Entstehung nach ein. Die letzte