in das Rot-Grün die Stadt Bern hineinmanövriert hat, scheint es keinen Ausweg zu geben.
Die langjährige Regierungskoalition ist Gefangene des eigenen Erfolgs. Natürlich drängt sich die Frage auf, ob ein politischer Machtwechsel frischen Wind in die Stadt bringen würde. Das Problem ist, dass schon nur die Frage hypothetischen Charakter hat. Das rot-grüne Lager wird kaum je noch herausgefordert und kommt so leicht zu Mehrheiten, dass es häufiger über die eigene Nonchalance stolpert als über den praktisch inexistenten politischen Gegner. Gleichzeitig bewirtschaften Kritiker aus der Agglomeration und dem Restkanton stur das Zerrbild einer Stadt, die weltfremde und gewerbefeindliche Prioritäten setzt.
Diese hartnäckige Berner Blockade ist eine ungünstige Voraussetzung für eine Stadt, die im wirtschaftlich fragilen Kanton Bern Leaderin sein will (und sein muss). Und die vor schwierigen strategischen Herausforderungen steht, die breit getragene Lösungen erfordern. Beispielsweise bedroht die Digitalisierung das pittoreske «Einkaufszentrum» Altstadt, in dem ein Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Franken erwirtschaftet wird. Das ungezähmte Verkehrswachstum erfordert regional abgestimmte Lösungen und keine ideologischen Debatten. Komplex ist auch der sich zuspitzende Konflikt zwischen dem Zwang zu verdichtetem Siedlungsbau und der Notwendigkeit, angesichts der Klimaerwärmung für die Kühlung in den städtischen Hitzeinseln Belüftungskorridore und Verdunstungsflächen zu schaffen.
Stadt des versicherten Glücks
Bern sei «eine fantastische Stadt, aber da liegt noch mehr drin», sagte die grüne Gemeinderätin Franziska Teuscher im Jahr 2017, als die Regierung ihre Legislaturziele mit dem Label «Stadt der Beteiligung» präsentierte. Teuscher brachte damit zum Ausdruck, dass sie den rot-grünen Weg der Stadtentwicklung noch für längst nicht abgeschlossen hält.
Im idealisierten rot-grünen Bern ist Lebensqualität eine nach oben offene Kategorie, die ungefähr so funktioniert: Der wachsenden Bevölkerung werden reihenweise Grünflächen und Begegnungszonen übergeben, ausgestattet mit energieeffizienter Beleuchtung. Man trifft sich an runden Tischen zur Partizipation, vielsprachig übersetzt, damit niemand benachteiligt wird. Rundherum leben engagierte, sensible Menschen, die sich beteiligen am nachbarschaftlichen Alltag, die den Abfall in farbigen Säcken trennen und zu Fuss zur Sammelstelle bringen, ihren Kompost pflegen, ihr Auto teilen, aufgehobene Quartierparkplätze möblieren, für die Mittagspause das Mehrweggeschirr mitnehmen und über Nacht den WLAN-Router ausschalten.
Bern will Velohauptstadt sein, will Sporthauptstadt sein, Blumenstadt, hat das Energiestadtlabel Gold. Bern ist Fair-Trade-Town und tritt dem Rainbow-Cities-Network bei, das die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Intersex- und Transmenschen fördert. In besonders ekstatischen Momenten geht die Verklärung der Lebensqualität so weit, dass selbst das sommerliche Kultschwimmen in der bebadbaren Aare, wie sie der Bundes-Corona-Delegierte Daniel Koch im Frühsommer 2020 bezeichnete, als rot-grüne Errungenschaft gefeiert wird. Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, so drückte es Stadtpräsident Alec von Graffenried einmal aus, «sollen sicher sein, nicht zu den Verlierern zu gehören». Bern als Kaskoversichererin des persönlichen Glücks?
Dass noch jemand davon träumt, den virtuos bewirtschafteten rot-grünen Planenten für einen Trip nach Casablanca zu verlassen: unvorstellbar.
Die sich nach der Coronakrise ankündigende Rezession, der weiterwachsende Rückstand Berns auf die nationalen Wirtschaftszentren Genf und Zürich, das ungebremste Pendler- und Verkehrswachstum in der Agglomeration, die schwierige Finanzlage der Stadt und vieler Regionsgemeinden: Dem Grossraum Bern stehen Herausforderungen bevor, für die es hilfreich ist, ein nüchternes Bild der Verdienste und Irrwege der rot-grünen Stadt zu haben. Ein Bild, das weder den linken Teufel an der Wand zeigt, noch rot-grüner Erfolgsromantik huldigt.
Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten. Es erzählt Berns jüngste politische Geschichte, in der es auch darum geht, wie Menschen Macht erringen. Was sie mit der Macht machen. Und was die Macht mit ihnen macht.
Bern wird bunt
Wie linke Männer Berns politische Wende strategisch einfädeln, die Frauen zuerst aussen vor lassen, in der Stadt aber plötzlich doch eine Frauenmehrheit regiert
Die Feindbilder, die Bern in den Achtzigern und Anfang der neunziger Jahre spalteten, sie waren boshaft, aggressiv, unversöhnlich. «Macht aus Albisetti Hackfleisch und Spaghetti», stand an Berns Sandsteinfassaden gesprayt. Die aufbegehrende Jugend meinte den freisinnigen städtischen Polizeidirektor Marco Albisetti. Er war Mitglied der bürgerlichen Regierung, die in Bern seit 1984 regierte und ein Bild der Überforderung abgab, weil sie keinen Weg fand, mit neuen Lebens- und Protestformen umzugehen. Albisetti, ein distinguierter Jurist mit Tessiner Wurzeln, wurde zur beliebten Zielscheibe während des kulturellen Zusammenstosses, der Bern tief erschütterte.
Im Frühjahr 1987, ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, rief die Anti-Atom-Bewegung zu einer nationalen Kundgebung nach Bern und forderte erstmals, Atomkraftwerke in der Schweiz stillzulegen. Tausende standen im Demo-Zug, der sich auf einer teilweise unbewilligten Route durch die Marktgasse bewegte, als die Stadtpolizei mit Tränengas und Gummischrot einschritt. «Mühleberg stilllegen, Albisetti endlagern», hiess nach dieser Eskalation die wütende Losung. Ein halbes Jahr später musste die bürgerliche Stadtregierung die Besetzung der Reitschule hinnehmen. Als symbolischen Akt befestigten die Besetzer an einer Wand einen Hampelmann aus Holz namens Albiseppli, mit dem sie den Polizeidirektor verhöhnten.
Später wurde Albisetti mit Farbe beworfen, und nach der polizeilichen Räumung des Hüttendorfs Zaffaraya nur zwei Wochen nach der Reitschulbesetzung erhielt er definitiv das Etikett als Verhinderer einer fortschrittlichen Stadt. Bei einer spontanen Donnerstag-Demonstration in der Innenstadt zur Störung des Abendverkaufs vor Weihnachten 1987 kam es zu Handgreiflichkeiten. Albisetti befand sich zum traditionellen Suurchabis-Essen – dem Jahresschlussanlass des Stadtrats – im Restaurant Zunfthaus zur Webern, und als draussen die Demonstrierenden johlten, stellte sich der Polizeidirektor auf der Strasse der Diskussion. Hitzige Protestler versuchten darauf, ihn in den nahegelegenen Brunnen zu tauchen, wie sich der Berner Autor Matto Kämpf, der als Zeitzeuge dabei war, in einem Text erinnerte.
1988 schaffte die bürgerliche Regierung, inklusive Marco Albisetti, zwar die Wiederwahl. Aber die folgende Legislatur bestätigte das Bild einer blockierten, grauen Stadt, in der sich die politischen Lager in unverhohlener Feindseligkeit gegenüberstanden: die neoliberalen Kultur- und Sozialabbauer rechts gegen die linken Feministinnen, Ökofantasten und Verkehrsbremser. In dieser Konstellation taumelte die Stadt Bern, zu allem Überfluss auch noch auf finanziellem Schleuderkurs, dem 6. Dezember 1992 entgegen.
Bern gegen Blocher
An diesem Abstimmungs- und Wahlsonntag hatte eine legendäre und loyale Figur der Stadtberner Verwaltung ihren grossen Auftritt. Jürg Biancone übte seinen Job als Vizestadtschreiber seit 1981 mit seltenem Understatement aus. Egal, ob er einer Gemeinderatssitzung beiwohnte, an Wahltagen Gemeinderäten die brutale Nachricht ihrer Abwahl überbrachte, als Gesandter der Stadtregierung die Reitschule aufsuchte oder hinunter ins Gaswerkareal fuhr, um den Bewohnern des Hüttendorfs Zaffaraya die neusten Regierungsbeschlüsse persönlich zu überbringen: Der gewiefte Troubleshooter tat alles mit derselben Unaufgeregtheit.
Am Abend des 6. Dezembers trat er im Erdgeschoss des Erlacherhofs, des Stadtberner Regierungspalais aus dem 18. Jahrhundert an der Junkerngasse, ans Mikrofon, räusperte sich, griff sich kurz an die Brille. Nichts an seiner Körpersprache deutete darauf hin, dass er, verantwortlich für das korrekte Auszählen der Stimmen, gleich ein für die Stadt Bern historisches Resultat vermelden würde. Wenige Stunden zuvor hatten die Schweizer Stimmberechtigten den Beitritt der Schweiz zum EWR abgelehnt und damit der rechtsbürgerlichen SVP von Christoph Blocher den ersten ganz grossen nationalen Sieg beschert. Biancones warmer Bass verkündete nun die weltanschauliche Antithese zu Blochers neoliberaler SVP, zur bürgerlichen Schweiz, zum konservativen Kanton Bern: Die behäbige Bundesstadt, zuvor acht Jahre lang von einem soliden bürgerlichen Block regiert, erhielt neu eine linke Mehrheit in Regierung und Parlament, letztere