die aufrichtig gerührt war angesichts der beiden Links-aussen-Jungspunde mit wilder Frisur, die sich für ihren eingemitteten, brav frisierten Otto starkmachten. «Das empfand ich als Aufbruchstimmung. Wir wollten den Wandel, und zwar gemeinsam, unterstützten uns gegenseitig und bestellten nicht bloss unser eigenes Parteigärtchen», sagt Kropf.
Als am 6. Dezember 1992 die Wahl von Therese Frösch bekannt wurde, ging im Restaurant Militärgarten im Breitenrain, im Stammlokal der Linken, die Stimmung durch die Decke. Und das bürgerliche Bern fiel aus allen Wolken. Wie ein Kulturschock ereilte die Stadt die Nachricht, dass das neue Regierungsmitglied Therese Frösch mit der grünen Stadträtin Ursula Hirt in einer Wohngemeinschaft lebte und nun plötzlich an den Schalthebeln der Macht sass.
Der Schock nach der Frauenmehrheit
Das Berner Establishment erschütterten heftige Nachbeben. Sechs Wochen nach der Wende trat der vom zuvor unbekannten und unberechenbaren Gipsermeister Josef Kunz portierte bisherige CVP-Finanzdirektor Josef Bossart gegen Klaus Baumgartner im zweiten Wahlgang ums Stadtpräsidium an und verlor. Bossart trat mit sofortiger Wirkung zurück – vor allem auch, weil ihn der Gemeinderat auf die Fürsorge- und Gesundheitsdirektion versetzen wollte, was er als Beleidigung empfand. Für die nötige Bossart-Ersatzwahl stellte die SVP zuerst den kaum bekannten Verwaltungsjuristen Daniel von Känel auf, einen engen Vertrauten von SVP-Regierungsrat Ueli Augsburger. Peter Abelin, Leiter der Stadtredaktion der «Berner Zeitung», wies von Känel diverse Ungereimtheiten nach, etwa dass er für einen grossen Soloauftritt von EWR-Gegner Christoph Blocher in Bern Geldgeber gesucht hatte, indem er suggerierte, es handle sich um eine kontradiktorische Veranstaltung. Die Kandidatur von Känel erledigte sich innert weniger Tage.
Das machte den Weg frei für seine Parteikollegin, die Oberbottiger Bäuerin und Stadträtin Ursula Begert. Ihr Ehemann, Urs Begert, war 1986 Stadtratspräsident und später SVP-Grossrat. Ursula Begert stand im eigenen Lager von Beginn weg unter dem Verdacht der Linkslastigkeit. Gewählt wurde sie gegen einen EDU-Kandidaten problemlos.
So stand die Regierung der Stadt Bern da, als wäre ein Sturm der Revolution über sie gezogen. Therese Frösch, Joy Matter, Ursula Begert und die Freisinnige Theres Giger posierten in der Frühlingssonne für die Fotografen im Garten des Erlacherhofs. Für die drei krawattierten Gemeinderäte Klaus Baumgartner, Alfred Neukomm und Kurt Wasserfallen interessierte sich niemand. The City of Berne machte mit diesem Bild des Frauenaufbruchs weltweit Schlagzeilen. Erstmals in der Schweiz wies eine Exekutive eine Frauenmehrheit auf, und die «Berner Zeitung» stellte entgeistert die Frage, ob es jetzt eine Männerquote brauche – zumal auch der Stadtrat mit einem Frauenanteil von 42,5 Prozent einen Schweizer Rekordwert erreichte. Der junge Politologe Adrian Vatter, später Professor an der Universität Bern, prognostizierte den Beginn eines anhaltenden Frauentrends. Und «Bund»-Redaktor Walter Däpp, der Bruder von RGM-Berater Heinz, titelte: «Der Mann als Mass aller Dinge? – Das war einmal!»
«Wir dachten keine Sekunde, dass gerade eine historische Wende stattgefunden hatte, sondern nur, dass erst einmal vier schwierige Jahre vor uns standen», sagt RGM-Co-Architekt Peter Sigerist im Rückblick. Augenblicke nur, nachdem Jürg Biancone am 6. Dezember im Erlacherhof den Namen Therese Frösch abgelesen hatte, entfuhren im hinteren Teil des Saals einer Person zwei Wörter: «Ou nei!» Kurt Wasserfallen, umringt von seiner Familie und eben für die FDP in den Gemeinderat gewählt, schien bereits im Moment seines persönlichen Erfolgserlebnisses zu ahnen, dass die RGM-Wende für das eben noch bürgerliche Bern mehr als ein Betriebsunfall war.
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