Claudius Stein

Spannungsfelder der Krisenintervention


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belastenden Situation und den Umgang mit dieser sind die Art und Effizienz der Bewältigungsstrategien, die verfügbaren Ressourcen und die spezifischen Abwehrmechanismen. Bewältigung und Abwehr beschreiben ähnliche und teilweise sogar identische Vorgänge. Während das Abwehrkonzept aus der Psychoanalyse stammt, wurde das Bewältigungskonzept in der Verhaltensmedizin entwickelt (vgl. Ermann 2007).

      Coping

      »Coping oder Bewältigung ist als das Bemühen zu verstehen, bereits bestehende oder zu erwartende Belastungen durch Krisen innerpsychisch (emotional/kognitiv) zu verarbeiten oder durch zielgerichtetes Handeln auszugleichen und zu meistern« (Heim 1993, S. 29).

      Bewältigungsmechanismen sind mehr oder weniger bewusst eingesetzte Denk-, Empfindungs- und Verhaltensstrategien. Die verschiedenen Strategien lassen sich zu drei typischen Bewältigungsstilen zusammenfassen (image Kasten 2.2): Verleugnung, aktive Auseinandersetzung und depressiver Rückzug (Ermann 2007). Coping ist kein einmaliger sondern ein prozesshafter Vorgang, mit dem ein Betroffener versucht, sein inneres Gleichgewicht trotz einer andauernden Belastung zu erhalten oder wiederherzustellen und dadurch den inneren und äußeren Druck zu reduzieren. Jedes Individuum verfügt über ein bestimmtes Repertoire an Bewältigungsstrategien, aus denen es in einer Krisensituation, die ihm am sinnvollsten erscheinenden auswählt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Auf dieses Ziel ausgerichtet werden die Bewältigungsversuche erprobt und auf ihren Erfolg hin bewertet. Demgemäß gibt es nicht primär schlechtes oder gutes Coping, sondern es handelt sich um den mehr oder weniger geglückten Versuch der Neuanpassung mittels der individuell verfügbaren Problemlösungsstrategien. So sind in einer Krise neben aktiven Veränderungsbemühungen durchaus auch Episoden von Rückzug und Verleugnung sinnvoll, da eine ständige bewusste Auseinandersetzung auch überfordernd sein kann.

      • Verleugnung

      • Sich ablenken

      • Aktive Auseinandersetzung – Zupacken

      • Schuldzuweisung an andere

      • Problemanalyse

      • Haltung bewahren

      • Gefühlsisolation, Nichtwahrnehmen von Gefühlen

      Unterschiedliche Krisen erfordern auch unterschiedliche Bewältigungsstrategien (image Kasten 2.3). Assimilierende Bewältigungsvorgänge sind aktive Veränderungsanstrengungen, bei denen das Ziel mehr oder weniger beibehalten wird. Bei den akkommodierenden Bewältigungsprozessen korrigiert das Individuum teils bewusst, teils unbewusst die ursprünglichen Ziele, ersetzt diese Ziele durch andere und passt sich einer als nicht veränderbar erlebten Realität an, wie dies bei de facto irreversiblen Verlusten sinnvoll ist (Rothermund und Brandstätter 1997).

      • Assimilierende Prozesse – aktive Veränderungsanstrengungen – Ziel wird beibehalten

      • Akkommodierende Prozesse – Korrektur der Ziele, Anpassung an nicht veränderbare Realität

      Fallbeispiel Luise (image Kap. 2.1)

      Luise muss lernen die Entscheidung ihrer Tochter zu akzeptieren und sich auf ein Leben ohne sie einzustellen. Dies erfordert zunächst akkommodierende Bewältigungsprozesse. Das bedeutet, Abschied zu nehmen und den Verlust zu betrauern (image Kap. 3.1.1).

      Fallbeispiel Anita (image Kap. 2.2.1)

      Anita benötigt für ihre Krisenbewältigung beide Strategien: Sie muss den vorübergehenden Verlust des Mannes betrauern und muss sich mit dem Vertrauensbruch auseinandersetzen (akkommodierend). Sie muss aber auch das Leben mit ihrem Sohn neu organisieren und versuchen ihre finanziellen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Sie nimmt Kontakt mit dem Jugendamt auf, organisiert einen Hortplatz und nimmt das Angebot ihres Chefs an mehr Stunden zu arbeiten. Sie verhandelt mit der Bank über die Modalitäten zur Kreditrückzahlung (assimilierend).

      Abwehr

      »Jeder psychische Vorgang und jedes Verhalten, welches das Ziel erreicht, etwas Gefürchtetes oder Verpöntes in Schach zu halten, kann zur Abwehr herangezogen werden« (Mentzos 2005, S. 59).

      Abwehr ist von Coping zu unterscheiden. Gelegentlich bleibt die Abgrenzung wie beim Mechanismus der Verleugnung unscharf. Während Coping ein mehr oder weniger bewusster Prozess ist, stellt Abwehr einen überwiegend unbewussten Vorgang dar, der einsetzt, wenn ein Betroffener mit einem derzeit unlösbaren Konflikt konfrontiert ist, vor einer momentan unlösbaren Aufgabe steht oder überwältigende Erfahrungen macht. Abwehr stellt einen Versuch dar, die dadurch entstehende Angst und seelische Spannung zu vermeiden (Mentzos 2005). Sie führt nicht zu einer bewussten Lösung des Problems, sondern dazu, dass Erinnerungen, Phantasien, Impulse, Gefühle und Konflikte aus der bewussten Wahrnehmung und Reflexion ausgeschlossen werden. Abwehr und Coping sind lebenswichtige Funktionen des »Ich« (Ermann 2007) und nicht primär pathologisch. Abwehr kommt ständig vor und ist teilweise zur Erhaltung der Ökonomie des täglichen Lebens unverzichtbar (Mentzos 2005). Sie hat somit eine wichtige Schutzfunktion. Bestimmte Formen finden sich mit großer Regelmäßigkeit wieder, sie sind offenbar besonders effektiv. Man spricht von Abwehrmechanismen (image Kasten 2.4).

      • Verdrängung: Vergessen, d. h. Unbewusstmachen von Affekten, Absichten, Vorstellungen, Impulsen oder Wahrnehmungen

      • Reaktionsbildung: Ein verpönter Impuls wird durch sein Gegenteil ersetzt (»ich bin besonders freundlich zu jemandem, auf den ich eigentlich wütend bin«).

      • Intellektualisierung: Der unerwünschte Impuls wird aus dem emotionalen Bereich in den intellektuell theoretischen verschoben (»ich habe keine Suizidimpulse, aber das Thema interessiert mich theoretisch«).

      • Identifikation: Dies ist ein wichtiger Grundmechanismus der Entwicklung, der für die Aneignung von Eigenschaften und Modelllernen unerlässlich ist

      • Identifizierung mit dem Aggressor: Um unerträgliche Angst erträglicher zu machen, stellt sich das Opfer quasi auf die Seite des Angreifers, z. B. bei andauernder Gewalt in Beziehungen: das Opfer quält sich mit Selbstanklagen, demütigt und entwertet sich oder verletzt sich selbst und behandelt sich gleichsam so wie es der Täter tat oder noch tut.

      • Gefühlsabspaltung: Trennung von Erlebnis und begleitender emotionaler Tönung (jemand erzählt ganz nüchtern von einem schwerwiegenden Verlust ohne dass der Kummer spürbar wird)

      • Rationalisierung: Das durch ein abgewehrtes Motiv veranlasste Handeln wird im Nachhinein durch eine andersartige Begründung ersetzt oder umgedeutet (»ich konnte mit dem Chef nicht über meine Überforderung sprechen, weil so viel zu tun war – nicht weil ich Angst vor ihm habe«)

      • Regression: Einem Konflikt oder einem unlustvollen Impuls wird durch eine