Jürgen war sehr überrascht gewesen, sie zu sehen, also hatte sie ihm nicht verraten, daß sie sich um diese Stellung beworben und sie auch bekommen hatte. Daß Simone sich selbst gut einzuschätzen wußte, hatte er aus den Bewerbungsunterlagen ersehen, aber er hielt mehr von praktischen Erfahrungen und traute sich eine gute Menschenkenntnis zu. Sollte diese bei Julie so versagt haben, wenn er Fionas Worten Glauben schenken wollte? Hatte sie das nicht aus purer Bosheit gesagt? Aber hatte er nicht selbst auch Zweifel gehegt, als er während Julies Krankheit zum Nachdenken kam? War ihre demütige Anhänglichkeit nicht aus der Angst geboren, daß er mancher Wahrheit auf die Schliche kommen könnte?
Warum quälte er sich jetzt mit Zweifeln, es war doch alles bereits Vergangenheit, und er war sicher, daß Julie ihm während ihrer Ehe niemals untreu war. Und doch konnte er es nicht verhindern, daß die Saat des Zweifels, die Fiona gelegt hatte, aufging und wie Nadelstiche in ihm bohrten.
Bobby kam ihm nicht so wie sonst entgegengelaufen, sondern eher zögernd und abwartend.
»Jana ist hier«, sagte er, jetzt wohl Fragen seines Vaters erwartend.
»Das freut mich, jetzt wirst du ja zufrieden sein«, erwiderte David.
»Ich bin so froh, Papi, und Granny freut sich auch. Ich kann soviel lernen von Jana, sie weiß sehr viel. Du wirst staunen.«
»Da bin ich wirklich gespannt, aber jetzt möchte ich sie auch kennenlernen und erst Granny begrüßen.«
Jana hielt sich dezent zurück, aber es gefiel ihr, wie liebevoll sich Mutter und Sohn umarmten. Auf dem Friedhof hatte sie dem Mann keine Beachtung geschenkt, weil sie durch das Kind so irritiert gewesen war, jetzt kam sie nicht umhin, ihn als eine sehr beeindruckende Erscheinung wahrzunehmen. Eine imponierende Persönlichkeit war David Liborius.
»Das ist mein Papi, gefällt er dir, Jana?« fragte Bobby nicht gerade leise, worauf Jana errötete.
»Jana hat uns gebeten, sie nicht mit Frau Haemlin anzureden«, sagte Agnete gedämpft zu ihrem Sohn. »Wir sprechen noch darüber.«
Jana konnte das nicht verstehen, denn Bobby redete lebhaft auf sie ein. Sie wollte auch gar nicht hören, was Mutter und Sohn sprachen. David begrüßte sie sehr höflich und fragte, ob ihr die neue Tätigkeit gefalle und sie von Bobby nicht zu sehr beansprucht würde.
»Er ist sehr lieb«, sagte sie, gegen ihre Verlegenheit ankämpfend.
»Sie sollten schon auf Ihre Freizeit pochen«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. »Bobby muß sich daran gewöhnen, daß er nicht über Sie verfügen kann.«
»Ich habe ja sonst keine Verpflichtungen und kann ihn auch mitnehmen, wenn ich etwas für mich zu erledigen habe. Es ist für ihn auch eine Abwechslung, neue Erfahrungen zu sammeln.«
»Ich darf nämlich morgen mal mit zu Janas Wohnung gehen und ihre Freundin kennenlernen.«
»Wenn Sie es erlauben, Herr Liborius«, sagte Jana hastig.
»Janas Freundin ist nämlich in unserer Firma die Neue, Papi.«
Ein durchdringender Blick traf Jana.
»Frau Roswald ist Ihre Freundin?«
»Ich hatte keine Ahnung, daß sie nach München wechseln wollte. Sie wohnt jetzt bei mir.«
»Ja, solche Zufälle gibt es«, warf Agnete ein.
»Sie ist Ihretwegen nach München gekommen?« fragte David mit einer Betonung, die Jana stutzig machte.
»Nein, nicht meinetwegen. Wir kennen uns zwar schon sehr lange, aber oft waren wir nicht zusammen. Bei ihr ging es wohl um eine andere Beziehung, aber darüber hat sie nicht geredet.«
»Und diese andere Beziehung scheint Jürgen zu sein«, sagte er zu seiner Mutter. »Jedenfalls waren beide überrascht, sich in der Firma zu treffen, aber wohl ebenso erfreut. Was sagen Sie nun, Jana?«
»Nichts mehr, ich kann nur staunen. Sie hat nie einen Mann erwähnt und war wohl auch nicht sicher, wie sich das entwickeln würde.«
»Das ist doch endlich mal etwas Erfreuliches für Jürgen«, sagte Agnete.
Bobby hatte angestrengt überlegt, aber nun meldete er sich auch zu Wort. »Jürgen kennt deine Freundin, Jana«, sagte er aufgeregt, »deine Freundin ist seine Freundin?«
»Ich kann dazu gar nichts sagen.« Das klang fast entschuldigend.
»Können wir jetzt essen, Mama? Ich sehne mich nach Klärchens Kochkunst.«
»Dabei ist die Französische Küche weltberühmt«, meinte Agnete.
»Aber Klärchens ist besser. Sie bleiben doch, Jana?«
Jana wunderte sich, daß er sie so selbstverständlich mit Jana anredete, und Agnete wunderte sich auch. Irgendwie kam er ihr verändert vor.
»Wie ich Jürgen kenne, wird Ihre Freundin heute bestimmt nicht auf Sie warten, also können Sie ruhig mit uns essen«, sagte David.
»Eigentlich wäre es am besten, wenn Jana bei uns wohnen würde, Papi«, sagte Bobby.
»Du darfst nicht zu egoistisch sein, Bobby. Sie möchte sicher auch mal etwas unternehmen, abends allein sein oder auch bei Freunden.«
»Aber Jana hat doch nur Simone, und wenn sie Jürgens Freundin ist, wird sie bestimmt immer mit ihm zusammensein.«
»Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, läßt er nicht locker«, sagte David, »aber es bleibt ganz Ihnen überlassen, wieviel Zeit Sie bei uns verbringen wollen.«
»Das habe ich ihr auch schon gesagt«, nickte Agnete. »Wir sind uns im Prinzip einig.«
»Und ich freue mich, wenn alle zufrieden sind. Es wird sich ja wohl mal eine Gelegenheit bieten, daß wir uns unter vier Augen unterhalten können, Jana.«
Sie errötete wieder und ärgerte sich fürchterlich darüber, aber Agnete fand, daß sie so besonders reizend aussah.
*
Bei den Nordens wurde an diesem Abend mal wieder über die Haemlins geredet. Gerüchte schwirrten herum, daß Herta Haemlin in der Nervenklinik bleiben mußte und über den Tod ihres Mannes wurden auch die wildesten Vermutungen angestellt.
Natürlich hatte Fee sich bei ihrem Mann zuerst nach Jana erkundigt und er sagte, daß sich für sie im Hause Liborius alles sehr positiv entwickelte.
»Das ist ja erfreulich, dann kommt Jana endlich zur Ruhe«, meinte Fee.
»Allerdings habe ich von Dr. Heinrich erfahren, daß Haemlin kein Testament gemacht hat und Jana somit erbberechtigt ist. Wenn Frau Haemlin auch stirbt, ist sie sogar die Alleinerbin. Sollte Frau Haemlin entmündigt werden, kann Jana mitbestimmen, wer den Nachlaß verwalten soll.«
»Wenn Frau Haemlin das noch mitkriegt, ist nicht auszudenken, was sie gegen Jana unternehmen wird.«
»Darüber brauchen wir gar nicht nachzudenken. Ihr Zustand ist äußerst ernst.«
»Und was haben sie nun von ihrem Geld?«
»Sie konnten sehr viel Alkohol und Delikatessen kaufen«, sagte Daniel sarkastisch. »Das waren die Sargnägel.«
»Jana wird von diesem Erbe nichts haben wollen«, meinte Fee.
»Aber es könnte damit viel Gutes getan werden. Das war wohl auch ihr erster Gedanke, als Heinrich mit ihr gesprochen hat. Natürlich ist es ihr schon suspekt, daß sie auf diese Weise mitbestimmen soll.«
»Es ist doch gut, daß kein Testament vorhanden ist, Daniel. Wer weiß, wo das Geld gelandet wäre.«
»Sie dachten, sie würden ewig leben, weil sie ja alles kaufen konnten, aber das Leben ist nun mal nicht käuflich.«
Sie hatten jetzt wieder ein bißchen mehr Zeit füreinander. Die Grippewelle war abgeklungen, die Kinder waren auch wieder ganz gesund, nur Fee hatte noch mit Schnupfen und Husten zu kämpfen, aber sie setzte mehr auf Hausmittel und