Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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so­bald sie dort ein­drin­gen – Mäd­chen ohne Geist, un­ter de­nen der bie­de­re Chry­sa­le sich eine Frau ge­sucht hät­te; mit ei­nem Wort: die Bour­geoi­sie, de­ren be­wun­derns­wer­tes­te Re­prä­sen­tan­ten die Ma­ti­fats wa­ren, die Dro­gis­ten aus der Rue des Lom­bards, de­ren Fir­ma seit sech­zig Jah­ren die Lie­fe­run­gen für die Ro­sen­kö­ni­gin hat­te.

      Frau Ma­ti­fat, die einen wür­de­vol­len Ein­druck ma­chen woll­te, tanz­te mit ei­nem Tur­ban auf dem Haar, in ei­nem schwe­ren pon­ceau­far­be­nen, gold­durch­wirk­ten Klei­de, ei­ner Toi­let­te, die zu ih­rem stol­zen Ge­sichts­aus­druck, ih­rer rö­mi­schen Nase und ih­rem leuch­ten­den kar­moi­sin­ro­ten Teint paß­te. Herr Ma­ti­fat, der bei den Re­vuen der Na­tio­nal­gar­de so groß­ar­tig auf­trat, wo man auf fünf­zig Schritt sei­nen rund­li­chen Bauch wahr­nahm, auf dem sei­ne Uhr­ket­te und ein Hau­fen Ber­lo­cken glänz­ten, wur­de von die­ser Ka­tha­ri­na II. des Kon­tors be­herrscht. Klein und dick, auf­ge­putzt wie zum Mas­ken­ball, mit ei­nem Hemd­kra­gen, der bis über den Hin­ter­kopf reich­te, fiel er durch sei­ne Baß­stim­me und den Reich­tum sei­nes Wort­schat­zes auf. Nie­mals sag­te er Cor­neil­le, son­dern stets: der er­ha­be­ne Cor­neil­le! Ra­ci­ne war der sanf­te Ra­ci­ne. Vol­taire! Oh! Vol­taire war auf je­dem Ge­biet der zwei­te, mehr geist­reich als ge­ni­al, aber doch ein Mann von Ge­nie! Rous­seau ein ver­dun­kel­ter Geist, ein Mann voll Ehr­geiz, der sich schließ­lich er­hängt hat. Er er­zähl­te un­be­hol­fen die be­kann­ten An­ek­do­ten von Pi­ron, der bei der Bour­geoi­sie als ein Wun­der gilt. Ma­ti­fat be­saß eine Lei­den­schaft für Schau­spie­ler und eine leich­te Nei­gung zum Obs­zö­nen. Es hieß so­gar, daß er sich, nach dem Vor­bil­de des bie­dern Ca­dot und des rei­chen Ca­mu­sot, eine Mätres­se hiel­te. Wenn Frau Ma­ti­fat ihn mit der Er­zäh­lung ei­ner An­ek­do­te be­gin­nen hör­te, so be­eil­te sie sich, ihn zu un­ter­bre­chen, und schrie ihm zu: »Über­le­ge dir erst, was du sa­gen willst, Di­cker!« Sie nann­te ihn un­ge­niert ih­ren Di­cken. Die­se um­fang­rei­che Dro­gen­kö­ni­gin ließ selbst Fräu­lein von Fon­taine ihre ari­sto­kra­ti­sche Zu­rück­hal­tung auf­ge­ben. Denn das stol­ze Mäd­chen konn­te ein La­chen nicht un­ter­drücken, als sie jene zu Ma­ti­fat sa­gen hör­te: »Stür­ze dich nicht so auf das Eis, Di­cker, das schickt sich nicht!«

      Es ist schwie­ri­ger, den Un­ter­schied, der die vor­neh­me Ge­sell­schaft von der Bour­geoi­sie trennt, klar zu ma­chen, als es der Bour­geoi­sie wird, ihn zu ver­wi­schen. Die Frau­en, de­nen ihre Toi­let­ten un­be­quem wa­ren, fühl­ten sich im Sonn­tags­staat und tru­gen eine nai­ve Freu­de zur Schau, die be­wies, daß in ih­rem be­schäf­tig­ten Le­ben ein Ball eine Sel­ten­heit war; wäh­rend die drei Da­men, von de­nen jede eine be­son­de­re Sphä­re der gu­ten Ge­sell­schaft re­prä­sen­tier­te, sich ge­nau so be­nah­men, wie sie es am nächs­ten Tag wie­der tun wür­den; sie sa­hen nicht aus, als ob sie sich be­son­ders für den Abend ge­klei­det hät­ten, sie spie­gel­ten sich nicht in der un­ge­wohn­ten Pracht ih­res Schmucks, sie wa­ren nicht be­un­ru­higt dar­über, was sie für einen Ein­druck mach­ten – wenn sie vor ih­rem Spie­gel die letz­te Hand an ihre Ball­toi­let­te ge­legt hat­ten, so war eben al­les er­le­digt; ihr Ge­sichts­aus­druck zeig­te nichts Au­ßer­ge­wöhn­li­ches, sie tanz­ten gra­zi­ös und mit je­nem Sich­ge­hen­las­sen, das un­be­kann­te Ge­nies ei­ni­gen an­ti­ken Sta­tu­en zu ver­lei­hen wuß­ten. Im Ge­gen­satz hier­zu be­hiel­ten die an­dern, die den Stem­pel der Ar­beit an sich tru­gen, ihr vul­gä­res Be­neh­men bei und zeig­ten zu sehr, wie gut sie sich amü­sier­ten; sie be­zeug­ten un­ge­niert ihre Neu­gier­de, und ihre Un­ter­hal­tung voll­zog sich nicht mit je­nem leich­ten Flüs­tern, das den Ball­ge­sprä­chen einen un­nach­ahm­li­chen Reiz gibt; es fehl­te ih­nen vor al­lem jene selbst­ge­wis­se Hal­tung, hin­ter der die Iro­nie ver­steckt ist, und je­nes si­che­re Auf­tre­ten, an dem die Leu­te zu er­ken­nen sind, die die vol­le Herr­schaft über sich sel­ber ha­ben. So ho­ben sich Frau Ra­bour­din, Frau Ju­les und Fräu­lein von Fon­taine, die sich ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Ver­gnü­gen von die­sem Par­füm­händ­ler­ball ver­spro­chen hat­ten, durch ihre läs­si­ge Gra­zie, durch den aus­er­le­se­nen Ge­schmack ih­rer Toi­let­ten und durch ihr Ge­ba­ren von der ge­sam­ten Bour­geoi­sie eben­so ab, wie drei ers­te Kräf­te der Oper von der schwe­ren Rei­te­rei der Sta­tis­ten. Sie wur­den mit großen nei­di­schen Au­gen an­ge­staunt. Frau Ro­guin, Kon­stan­ze und Cäsa­ri­ne bil­de­ten so­zu­sa­gen das Band, das die Kauf­manns­welt mit die­sen drei Ty­pen der weib­li­chen Ari­sto­kra­tie ver­knüpf­te. Wie bei al­len Bäl­len kam auch hier, wo die Strö­me von Licht, die fröh­li­che Stim­mung, die Mu­sik und die Tanz­lust eine ge­wis­se Trun­ken­heit er­zeug­ten, der Mo­ment, der die­se Nuan­cen in dem all­ge­mei­nen Cre­scen­do ver­schwin­den ließ. Als der Ball all­zu lär­mend wur­de, woll­te sich Fräu­lein von Fon­taine zu­rück­zie­hen; wäh­rend sie sich aber nach dem Arm des ver­eh­rungs­wür­di­gen Ven­déers um­sah, stürz­te Bi­rot­teau mit Frau und Toch­ter her­zu, um zu ver­hin­dern, daß die ge­sam­te Ari­sto­kra­tie die Ge­sell­schaft ver­ließ.

      »Ich bin er­staunt,« sag­te die un­ver­schäm­te jun­ge Dame zu dem Par­füm­händ­ler, »was für ein dis­kre­tes Par­füm von gu­tem Ge­schmack in Ih­rer Woh­nung vor­herrscht; ich ma­che Ih­nen dar­über mein Kom­pli­ment.«

      Bi­rot­teau war so be­rauscht von den all­sei­ti­gen Be­glück­wün­schun­gen, daß er sie gar nicht ver­stand; aber sei­ne Frau er­rö­te­te und wuß­te nicht, was sie er­wi­dern soll­te.

      »Das ist ein va­ter­län­di­sches Fest, das Ih­nen Ehre macht«, sag­te Ca­mu­sot zu ihm.

      »Ich habe sel­ten einen so schö­nen Ball be­sucht«, sag­te Herr von la Bil­lar­diè­re, den eine of­fi­zi­el­le Lüge nicht ge­nier­te.

      Bi­rot­teau hielt alle die­se Kom­pli­men­te für ernst ge­meint.

      »Was für ein rei­zen­des Bild! Und die­ses gute Or­che­s­ter! Wer­den Sie uns oft sol­che Bäl­le ge­ben?« sag­te Frau Le­bas zu ihm.

      »Was für eine ent­zücken­de Woh­nung! Ha­ben Sie das nach Ihrem Ge­schmack so an­ge­ord­net?« frag­te ihn Frau Des­ma­rets.

      Bi­rot­teau er­laub­te sich eine Lüge und ließ sie in dem Glau­ben, daß er es so an­ge­ge­ben habe. Cäsa­ri­ne, die zu al­len Kon­ter­tän­zen en­ga­giert war, konn­te er­ken­nen, wie­viel Zart­ge­fühl An­selm be­saß. »Wenn ich nur auf mein Ver­lan­gen hö­ren woll­te,« sag­te er lei­se zu ihr, als sie von Tisch auf­stan­den, »so wür­de ich Sie bit­ten, mir die Gunst ei­nes Kon­ter­tan­zes zu ge­wäh­ren; aber die­ses Glück wür­de un­se­rer bei­der­sei­ti­gen Ei­gen­lie­be zu teu­er zu ste­hen kom­men.«

      Cäsa­ri­ne je­doch, die fand, daß die Män­ner mit ge­sun­den Bei­nen sich ohne An­mut be­weg­ten, woll­te den Ball mit Po­pi­not er­öff­nen. Po­pi­not, von sei­ner Tan­te er­mu­tigt, die ihm ge­sagt hat­te, er sol­le nur mu­tig re­den, wag­te es, wäh­rend des Tan­zes mit dem rei­zen­den Mäd­chen von sei­ner Lie­be zu spre­chen, aber mit ver­steck­ten Wen­dun­gen, wie sie schüch­ter­ne Lie­ben­de zu ge­brau­chen pfle­gen.

      »Mei­ne Zu­kunft hängt von Ih­nen ab, Fräu­lein Cäsa­ri­ne.«

      »Wie das?«

      »Es gibt für mich nur eine Hoff­nung, die mich be­fä­higt, mein Ziel zu er­rei­chen.«

      »So hof­fen Sie.«