würde, was sie bedeuteten. Aber Bertold wandte sich wortlos ab.
Da sagte sie mutig: »Es sind Bewerbungen. Ich will da weg.«
Aber nichts konnte das kalte Schweigen unterbrechen, das er ihr entgegensetzte.
*
Clemens Fabrizius stellte den Wagen in die Garage und lief dann durch das strömende Naß die paar Meter zu seinem Haus. Es war schade, daß es angefangen hatte zu regnen. Er hatte gehofft, die dunklen Wolken würden sich wieder verziehen und er könnte mit seinem Töchterchen noch etwas unternehmen, denn seine Tagesarbeit war für heute getan. Aber daraus wurde nun nichts. – Clemens wunderte sich ein wenig, daß Sandra ihm nicht entgegengelaufen kam. Meistens hörte sie doch schon seinen Wagen.
»Ich hatte Sandra erlaubt, mit Felix zu seiner Mutter zu gehen, Herr Doktor«, erklärte ihm Frau Scholl. »Als der starke Wind aufkam, konnten sie nicht mehr draußen im Garten spielen, und der Junge wollte ihr gern mal sein Zimmer zeigen. Sie sollte bald wiederkommen, weil Frau Herder doch zu tun hat. Aber sie werden sie jetzt bei dem Regen nicht fortlassen.«
Clemens machte sich frisch und wechselte seine Sachen. Er sah es nicht ungern, daß Sandra nun einen Spielgefährten hatte. Die beiden, so ungleich sie auch waren – der kräftige Bub und sein zartes kleines Mädchen – waren dicke Freunde geworden. Manchmal mußte Clemens insgeheim schmunzeln, wie Felix sich zurücknahm und geradezu behutsam mit dem Püppchen umging. Er hatte das beobachten können, als sie zweimal zusammen ins Grüne gefahren waren.
»Sie ergänzen sich«, hatte Beate Herder lächelnd bemerkt. »Felix wird sanfter und Ihre Sandra geht aus sich heraus, wenn sie zusammen sind.«
Er rief sie an, als er den Tee getrunken hatte, den die Haushälterin ihm hinstellte.
»Oh, Sie sind schon zu Hause, Herr Fabrizius«, sagte Beate, »und Sie vermissen sicher Ihr Töchterchen. Ich werde einen Schirm nehmen und sie bringen.« Sie lachte ein wenig. »Sandra hat den größten Spaß mit unserem Wellensittich«, fügte sie hinzu.
»Das kann ich mir denken. Vielleicht dürfte ich den auch einmal kennenlernen? Aber im Ernst, Frau Herder, ich möchte nicht, daß Sie bei dem Regen hinausgehen. Es gießt ja immer noch. Ich werde Sandra bei Ihnen abholen.«
Es war eine gute Gelegenheit, sie wiederzusehen. Sich mit Beate Herder zu unterhalten, lockerte die Anspannung, in der er sich oftmals befand. Ihre Nähe, ihre Bewegungen, ihre Stimme vermochten vorübergehend auszulöschen, was an seinen Nerven fraß: Das Warten auf Bianca, die sinnlose Mühle seiner Gedanken, die sich um seine Frau rankten…
Sie nahm ihm den tropfnassen Schirm ab, als er kam. »Jetzt sehen Sie doch auch einmal, wo
ich wohne«, lächelte sie ihm entgegen. Sandra war schon neben
ihr.
»Der Pipsi kann sagen: Komm her«, berichtete sie ihrem Vater mit glänzenden Augen. »Er kann noch mehr, aber nur, wenn er Lust hat. Vorhin hat Felix ihn mal aus dem Käfig gelassen, da hat er sich auf meinen Kopf gesetzt.« Sie prustete vor Lachen heraus.
»Und du hast gequiekt wie am Spieß«, behauptete Felix lachend.
»Nun, da hatten Sie ja keine Ruhe zum arbeiten«, wandte sich Clemens erheitert an Beate, »und dabei sind Sie doch, wie ich weiß, ganz schön im Druck. Werden Sie denn termingemäß fertig?«
»Zur Not lege ich eben mal eine Spätschicht ein«, meinte Beate ebenso. »Das ist das Schöne
an meinem Beruf, daß mir die Stunden nicht vorgeschrieben werden. – Möchten Sie eine Tasse
Tee mit mir trinken, Herr Fabrizius?«
Clemens verschwieg, daß er gerade Tee getrunken hatte. »Dann halte ich Sie ja auch noch auf«, meinte er. »Eigentlich wollte ich doch nur Sandra abholen.«
»Och nö, Papa, wir bleiben noch’n bißchen, es ist so schön hier.«
Da hatte seine Kleine allerdings recht. Diese Wohnung war entzückend und sehr persönlich eingerichtet. Die schrägen Wände störten nicht, im Gegenteil, sie schienen Geborgenheit, Nestwärme zu vermitteln. Wie das doch alles paßte zu dieser anmutigen jungen Frau.
Der Regen trommelte gegen die Scheiben, flutete über die Geranien auf dem Balkon. Beate sah es positiv: »Die Natur braucht den Regen, und meine Pflanzen freuen sich auch.«
Sie tranken Tee, sie unterhielten sich, und Clemens wußte wieder, was das Wort »Gemütlichkeit« bedeutete. Die Tür zu Felix’ Zimmer stand offen, da amüsierten sich die Kinder, Pipsi spektakelte, ihm gefiel das, wenn lebhafte Stimmen um ihn waren.
So war nun doch fast eine Stunde wie im Flug vergangen, als Clemens endlich sein Töchterchen bei der Hand nahm und sie sich verabschiedeten.
Es regnete jetzt nur noch leise. Sandra trippelte unter dem großen Schirm neben ihrem Papa her. »Ich würde gern öfter bei Tante Beate sein, Papa«, sagte sie vor sich hin, denn so durfte sie Frau Herder schon nennen. »Sie ist lieb.«
Da waren sie auch schon angelangt in ihrem großen, schönen und perfekten Haus. Allzu perfekt, mußte Clemens jetzt denken, als er es mit Sandra betrat. Da lag kein Buch herum, da standen die seidenen Kissen ordentlich aufgereiht auf den damastbezogenen Polstermöbeln. Frau Scholl sorgte dafür, daß peinliche Ordnung herrschte.
An diesem Abend gingen Clemens’ Gedanken einmal nicht zu der eigenen, sondern zu der Frau in der Nachbarschaft, Beate Herder. Er überlegte, wieso sie, schön, jung und intelligent, offensichtlich allein war. Sicher, sie hatte schon früh einen schweren Verlust erlitten, aber deshalb konnte sie doch nicht in aller Zukunft nur für ihren Sohn leben.
Er stellte sich vor, wie es sein müßte, eine Frau zu haben, die ihm nicht nur zu einem kleinen Teil gehörte. Kein Star, dem die Musikwelt zu Füßen lag, sondern eine sehr weibliche, liebende Frau…
Es waren gefährliche Gedanken, die er von sich weisen mußte, wollte er nicht den Boden unter den Füßen verlieren…
*
Der letzte Patient war gegangen.
»Ich möchte Sie noch einen Augenblick sprechen, Frau Basler«, sagte Dr. Torsten Fendrich mit undurchdringlicher Miene. »Kommen Sie bitte.«
»Da ist dicke Luft«, tuschelte Anja ihrer Kollegin zu, während sie den weißen Kittel in den Schrank hängte.
»Ich glaube eher, daß es aus ist.« Beatrix griff zum Lippenstift. »Sie hat es doch neuerdings immer eilig, nach Hause zu kommen.«
Ingeborg wußte genau, weshalb er sie zurückhielt. Sie war gewappnet.
»Was soll das?« sagte er unbeherrscht, wenn auch mit gedämpfter Stimme, weil die Mädchen noch da waren. »Da legst du mir einfach die Kündigung auf den Tisch. Ich dachte, ich sehe nicht recht!«
»Damit mußtest du doch eigentlich früher oder später rechnen.«
»Wieso, warum?« unterbrach sie Fendrich. »Wir haben eine Affäre gehabt, die du beenden wolltest, als es Ärger zu Hause gab. Ich muß das akzeptieren. Deshalb kann unsere Zusammenarbeit aber doch weitergehen.«
Ingeborgs Mundwinkel kräuselten sich. Wie geschickt er das hinbog! Er war es gewesen, der keinen Ärger haben wollte. Sie hatte sich doch eine ganz andere Reaktion von ihm erhofft.
Groß war ihr Blick auf ihn gerichtet.
Wäre sie wirklich bereit gewesen, ihre Ehe für diesen Mann aufzugeben, dem Liebesschwüre so leicht über die Lippen gekommen waren, die sie für bare Münze genommen hatte?
Draußen klappte eine Tür. Anja und Beatrix waren gegangen.
»Was siehst du mich so an?« fragte er unwirsch. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen und du mir auch nicht.«
»Nein«, sagte Ingeborg langsam, »nur ich, ich – « Mit einer Handbewegung schnitt sie sich selbst das Wort ab. »Lassen wir das. Für mich steht es jedenfalls fest, daß ich hier aufhören werde.«
»Willst