erklärt.«
»Vergiß es«, flüsterte Ingeborg.
»Wie soll ich das jemals vergessen«, sagte Bertold wie zu sich selbst.
Flehend sah Ingeborg ihren Mann an. »Ich glaubte doch nur, es wäre Liebe. Dieses Wort wird so leicht mißbraucht. Er –«, sie stockte, »Torsten Fendrich nannte es eine Affäre, und mehr war es auch nicht. Kann nicht jeder Mensch einmal in die Irre gehen?«
»Wie wäre dir denn zumute gewesen, wenn ich in die Irre gegangen wäre, wie du es so blumig ausdrückst«, hielt er ihr entgegen. »Hättest du es so ohne weiteres abgeschüttelt, wie du es anscheinend von mir erwartest?«
Sie senkte die Lider. »Nein, sicher nicht. Ich verlange das ja auch gar nicht von dir. Aber wenn ich dir schwöre, daß es vorbei ist, daß jedes Gefühl für diesen Mann in mir erkaltet ist, daß ich ihn nie mehr wiedersehen werde – und selbst wenn wir uns einmal zufällig auf der Straße begegneten, mein Herz keinen rascheren Schlag tun würde – könntest du nicht versuchen, mir zu verzeihen?«
Bertold hatte sich abgewandt. »Es wird Zeit brauchen, Ingeborg«, sagte er rauh. »Für Uli will ich mich dazu durchringen.«
Ingeborg hob den Kopf. Sie suchte seinen Blick. »Nicht nur für unseren Sohn«, bat sie, »auch für uns, Bertold.«
Schweigend sah er sie an. Dann nickte er. »Das gehört wohl dazu, wenn Uli wieder froh werden soll.«
Bertold schlief in dieser Nacht wieder im Ehebett. Noch gab es keine Berührung, keine Zärtlichkeit. Aber sie hatten endlich wieder geredet. Das war schon viel.
*
Henny Basler war aus allen Wolken gefallen, als ihr Enkelsohn plötzlich vor ihrer Tür gestanden hatte.
»Jungchen!« rief sie aus. »Wo kommst du denn auf einmal her?«
»Mit dem Zug, Oma. Kann ich reinkommen?«
»Ja, ja, natürlich«, sagte sie verwirrt. »Aber du willst doch nicht sagen, daß du allein gekommen bist?«
»Doch. Weil ich’s nämlich daheim nicht mehr augehalten habe.« Er streifte den Schulranzen vom Rücken und deutete darauf. »Da hab ich ’n paar Sachen drin, noch ’n Hemd und so. Ich möchte bei euch bleiben. Ihr werdet mich schon nicht fortschicken.«
Frau Henny verschlug es die Sprache. Ihr Mann kam aus der offenstehenden Tür des Wohnzimmers. »Tag, Uli.« Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und sah ernst auf ihn hinab. »Was habe ich da gehört? Bist du etwa ausgerissen?«
»Ja«, sagte sein Enkel trotzig. »Aber ich hab’ einen Zettel hingelegt. Nur, wohin ich bin, das hab’ ich nicht draufgeschrieben.«
»Um Himmels willen«, brachte seine Oma bestürzt hervor. »Da müssen wir doch sofort anrufen, sonst kommen deine Eltern ja um vor Sorge.«
»Nein, bitte nicht!« Uli hängte sich an ihren Arm, umklammerte ihn. »Sie denken doch mal erst, ich wäre bei meinem Schulfreund. Und wenn sie es merken, daß ich fort bin, dann sollen sie mal erst einen ordentlichen Schrecken kriegen!« Er verkniff die Lippen.
»Was redest du denn da, Kind?« erregte sich die Großmutter.
»Laß mal, Henny«, mischte sich ihr Mann ein. Er führte Uli ins Zimmer und ließ ihn sich hinsetzen. »Erzähl uns der Reihe nach, was passiert ist, Uli.«
»Das weiß ich doch eben nicht, Opa. Mir sagt ja keiner was. Tante Ingeborg, das ist Mamas Freundin, sagt, meine Eltern hätten ein Problem, und ich sollte geduldig sein, das würde schon wieder. Aber es wird eher immer schlimmer.« In seinem Gesicht zuckte es.
»Was denn, Uli, was wird immer schlimmer?« Großvater Herbert setzte sich zu ihm. »Streiten sie, zanken sie sich, gibt es böse Worte?«
Heftig schüttelte Uli den Kopf. »Überhaupt nicht. Ein Streit, der ging ja wieder vorbei. Aber sie reden überhaupt nichts zusammen. Höchstens mal mit mir drei Worte. Sonst bin ich Luft für sie. Und Mama ist für Papa auch Luft.«
»Aber, aber, das gibt’s doch nicht!« Ungläubig sah Henny Basler auf den Jungen, der solche Dinge erzählte. Soviel sie wußte, war die Ehe ihres Sohnes durchaus in Ordnung. Wenn sie gelegentlich zu Besuch kamen, verliefen die Stunden immer recht harmonisch.
»Gibt es wohl!« stieß Uli hervor. »Sonst hätte ich mir doch nicht einen Zug genommen und den ganzen Weg zu euch gemacht. Ich hab’ gedacht, nur bei euch kann ich mich verstecken, bis meine Eltern wieder okay sind.«
»Also, von verstecken kann natürlich keine Rede sein, Uli«, erklärte der Großvater energisch. »Wissen müssen sie es schon. Oder willst du, daß sie die Polizei benachrichtigen?«
Seine Frau war bereits am Telefon und wählte die Nummer des Sohnes. Als sie nach dem kurzen Gespräch einhängte, zuckte sie auf den fragenden Blick ihres Mannes hin die Achseln. »Das war nicht sehr aufschlußreich«, bemerkte sie. »Es gäbe gewisse Probleme…«
»Sag ich ja«, warf Uli ein. »Und wenn ich jetzt noch geschimpft krieg, wo ich nichts für die Probleme kann, dann fänd ich das unheimlich ungerecht.« Schnaufend zog er die Luft durch die Nase.
»Ich glaube nicht, daß deine Eltern mit dir schimpfen werden, Uli«, sagte der Opa, »obwohl dein Davonlaufen bestimmt nicht richtig war. Kleinen Jungen kann eine Menge passieren, wenn sie allein unterwegs sind. Aber das alles wollen wir jetzt mal beiseitelassen. Du wirst Hunger haben, und wir haben auch noch nicht Abendbrot gegessen. Dann fragen wir doch die Oma, was ihre Küche zu bieten hat.«
Sie bedrängten Uli nicht mehr mit Fragen, sie lenkten ihn ab und spielten »Mensch ärgere dich nicht« mit ihm. Danach stellte die Oma das Gästebett im kleinen Zimmer auf und deckte ihr Bübchen zu.
»Glaubst du, daß noch mal alles gut werden könnte bei uns, Omi?« wisperte er, den Kopf in das Kissen gedrückt.
»Das glaube ich aber ganz bestimmt«, versicherte sie, wobei sie alle Überzeugungskraft in ihre Stimme legte.
Als sie dann mit ihrem Mann allein saß, gingen beider Gedanken die gleichen Wege.
»Was mag da bloß sein«, überlegte Henny Basler laut. »Tiefgreifende Differenzen hat es doch zwischen Bertold und Inge nie gegeben.«
Ihr Mann wiegte den Kopf. »Das denken wir. Aber schaut man dahinter? Man sieht sich alle paar Wochen einmal für einige Stunden, dazu an Feiertagen und Geburtstagen, und da freut man sich nur des Zusammenseins.«
»Aber ich hätte das schon gespürt, wenn es zwischen den beiden nicht mehr stimmte«, meinte Henny grübelnd.
»Vielleicht ist Bertold fremdgegangen«, sagte sein Vater trocken.
Aber da fuhr seine Frau steil in die Höhe. »Bertold doch nicht! Unser Sohn ist bestimmt der solideste Ehemann, den man sich denken kann. Wie kannst du nur so etwas annehmen«, entrüstete sie sich.
»Ist ja gut, reg dich nicht auf, Henny«, beschwichtigte er sie. »Wir werden es schon erfahren, was da passiert ist – oder auch nicht«, fügte er bei sich hinzu.
Sie kamen beide, Bertold und Ingeborg, am übernächsten Tag, der ein Samstag war. Und sie demonstrierten Einigkeit!
»Wir haben eine Krise gehabt«, sagte Bertold. »Das kommt in jeder Ehe mal vor.« Er sah auf sein Söhnchen. »Deshalb mußtest du nicht gleich davonlaufen, Uli.«
»Gleich hab ich das ja auch nicht getan«, verteidigte sich der Junge. »Ich hab ganz lange gewartet, und erst, als es nicht mehr besser wurde, bin ich mit dem Zug weg zu Oma und Opa.« Unsicher sah er von einem zum anderen. »Habt ihr einen ordentlichen Schreck gekriegt?« wollte er wissen.
»Das kann man wohl sagen«, bestätigte sein Vater. »So etwas machst du nie wieder, hörst du?« Mit Strenge blickte er auf ihn nieder.
»Wenn ihr wieder okay seid, brauch ich das ja auch nicht. Mir war schon ein bißchen komisch, wie ich da allein in den Zug eingestiegen bin«, bekannte er und nickte dazu, »wo wir doch sonst immer nur