warf sein Großvater ein.
»Das ging da nur mit Telefonkarten, und außerdem wollte ich euch überraschen«, sagte er treuherzig.
»Das ist dir in der Tat gelungen«, bemerkte der Opa in seiner trockenen Art. »Na, Ingeborg«, wandte er sich an seine Schwiegertochter, »da wirst du ja einiges ausgestanden haben, bis der erlösende Anruf kam.«
»Ja, ich habe einiges ausgestanden, Vater«, flüsterte die junge Frau. Sie zog ihren Sohn an sich, der sogleich den Kopf an ihrem Arm rieb.
»Wohl nicht du allein«, sagte Henny bedeutsam. Ihrem mütterlichen Auge war es nicht entgangen, daß Bertold schmaler geworden war.
»Nun genug davon«, entschied ihr Mann. »Du bist doch sicher vom Geschäft aus losgefahren, Bertold. Dann bleibt ihr noch zum Abendessen und laßt euch mit der Heimfahrt Zeit…«
*
Mehr und mehr fühlte sich Clemens Fabrizius zu Beate Herder hingezogen. Es war nicht allein die Freundschaft der Kinder, die sie verband. Da schwang noch etwas anderes mit, wenn sie sich sahen.
An diesem Sonntagnachmittag hatte sie einen Ausflug in die hügelige, waldreiche Umgebung unternommen. Bis zur Kronenburg waren sie gefahren, die mit ihren mächtigen Mauern auf der Anhöhe stolz emporwuchs. Das Burgcafé lud zum Verweilen ein, Tische und Stühle standen draußen auf der Aussichtsterrasse. Unterhalb im Park gab es Wasserfontänen, das war ein silbrigglitzerndes Sprühen. Die Kinder waren dorthin gelaufen, sie vergnügten sich damit, Tropfen in den ausgestreckten Händen aufzufangen. Der kontaktfreudige Felix redete auch gleich mit anderen, die sich um die Wasserspiele scharten und sie bewunderten.
Nach einer Weile kam er mit Sandra an den Tisch zurück.
»Da waren Leute«, berichtete er, »die haben mich gefragt, ob wir Bruder und Schwester wären. Ich hab ja gesagt.« Er lachte verschmitzt.
»Na, von Ähnlichkeit kann aber zwischen euch nicht gerade die Rede sein«, lächelte Clemens. »Und seit wann schwindelst du denn?«
»Hm«, Felix machte eine Kopfbewegung, »wär doch ganz schön.«
»Ja, einen Bruder wie dich tät’ ich schon gern haben«, meinte auch Sandra. »Aber so bist du mein Freund, und das ist auch was. Nicht, Papa?«
»Und ob!« nickte dieser seinem Töchterchen zu. Dann traf sich sein Blick mit dem Beates, die ein wenig verträumt in sich hineinlächelte. Sie dachte, daß so eine Kinderliebe eigentlich etwas ganz Besonderes war. Eine Sandkastenliebe konnte manchmal bis zum Erwachsensein hineinreichen. Als sie gegen Abend wieder zu Hause angelangt waren, hielt Clemens Beates Hand einen Moment länger fest.
»Wollen wir später noch ein Glas Wein zusammen trinken, wenn die Kinder im Bett sind?«
»Ja, macht das man, Mama«, sagte Felix sofort, dem nichts entging. »Mich kannst du doch unbesorgt allein lassen.«
»Du weißt ja auch, wo deine Mama dann ist«, bemerkte Clemens.
»Und wenn nicht«, wie ein kleiner Angeber hob der Junge die Schultern, »ich bin doch kein Baby mehr.«
Nach dem Abendessen zog sich Beate noch um. Felix, schon im Schlafanzug, beobachtete sie dabei, wie sie sich hübsch machte.
»Find ich gut, Mami, daß du das Blumenkleid angezogen hast«, meinte er. Nach einer kurzen Pause fuhr er nachdenklich fort: »Ist doch eigentlich schade, daß Sandras Vater schon eine Frau hat. Auch wenn sie nie da ist, irgendwo gibt’s die ja doch noch.«
»Warum ist das schade, Felix?« Beate steckte sich den zweiten Ohrclip an das andere Ohr. »Sie ist Sandras Mutter, und man kann ihr und Herrn Fabrizius nur wünschen, daß sie bald wiederkommt.«
»Wenn sie nicht wiederkommt, könntest du ihn doch heiraten, Mama«, schlug Felix in aller Unschuld vor. »Dann hätte Sandra eine Mutter, die immer da ist, und ich…« Er stockte und strich über die Lehne des Sessels, in dem er im Schneidersitz saß.
»Und du?« fragte Beate. Leise Röte war in ihre Wangen gestiegen.
»Einen Vater«, vollendete Felix. »Ich meine ja nur, weil er dich immer so nett anguckt und wir uns überhaupt alle so gut leiden mögen.«
Beate atmete langsam und vorsichtig. Es war das erste Mal, daß ihr Sohn den Wunsch nach einem Vater andeutete. Einmal mußte das ja kommen. Spätestens dann, wenn er in die Schule kam, und bis dahin war es nicht mehr weit.
»Herr Fabrizius freut sich, daß seine kleine Sandra in dir einen Spielkameraden gefunden hat, das ist alles. Daß wir einander auch sympathisch sind, sollte dich aber doch nicht zu solchen kühnen Phantasien verleiten, mein Felix«, sprach sie sanft. »Das ist eine Familie, dort drüben in dem Haus, und die darf nicht auseinanderbrechen.«
»Hm, wenn du meinst, Mama…«, kam es zögernd.
Beate brachte ihr Bübchen noch zu Bett. Als sie sich über ihn beugte, um ihm den Gutenachtkuß zu geben, schlang er die Arme um ihren Hals und zog ihren Kopf zu sich herab. »Es ist ja auch ganz genug, daß wir zusammen sind, du und ich«, flüsterte er. »Wir haben es doch schön, nicht, Mami?«
»Ja, wir haben es schön.« Aber daß er es betonte, was ihm bisher so selbstverständlich war, gab Beate schon zu denken.
Es war kurz vor neun, als sie hinüberging in das Haus der Fabrizius’.
»Danke, daß Sie einem einsamen Mann noch ein bißchen Gesellschaft leisten«, empfing sie der Hausherr. Er hatte eine Flasche Wein auf den Tisch gestellt. Die Tür zur Terrasse stand offen, der Duft von Rosen wehte herein.
Kaum hatten sie sich in den breiten Sesseln niedergelassen, da spazierte auf bloßen Füßchen und im langen Nachthemd Sandra herein.
»Ja, ich denke, du schläfst schon längst, Püppchen«, sagte ihr Papa überrascht. »Was macht du denn noch auf?«
Ein schelmisches Lächeln huschte über das kleine Gesicht. »Ich hab’ gehört, wie du gekommen bist, Tante Beate. Kommst du mit rauf und sagst mir auch noch gute Nacht? Dann schlafe ich auch bestimmt ganz schnell ein.«
»Du kannst mir meinen Gast doch nicht einfach entführen«, scherzte der Vater. Aber dann nickte er Beate zu, die etwas verlegen geworden war. »Tun Sie ihr doch bitte den Gefallen…«
Das Kind hatte schon Beates Hand ergriffen und zog sie mit sich fort. So viele Spielsachen, mußte Beate denken, als sie sich flüchtig in Sandras Zimmer umsah, und eine lange Reihe teurer Puppen, wie aus dem Schaufenster, aber keine Mutter, die ihr ein Gutenachtküßchen gibt.
Sie gab es der Kleinen, die sich zurechtkuschelte und sie dankbar ansah. »Erzählst du mir auch noch eine Geschichte? Felix hat gesagt, du könntest schöne Geschichten erzählen. Manchmal hat er mir die auch schon wiedererzählt. Bitte erzähl mir eine neue, die auch Felix noch nicht kennt.«
Beate tat es. Das war die Geschichte von einem Raben, der ein armes, winziges Mäuschen in sein Gefieder nahm und mit ihm empor und weit hinausflog, damit es auch einmal etwas von der Welt sähe. Als die beiden glücklich in einem Baum gelandet waren, schlief Sandra mit einem hellen Lächeln ein.
»Es hat ein bißchen länger gedauert«, sagte Beate heiter, als sie wieder in ihrem Sessel Platz nahm. »Sandra wollte noch eine Geschichte hören. Aber jetzt schläft sie.«
»Wie sehr dieses Kind doch die Mutter vermißt«, murmelte der Hausherr vor sich hin. »Aber trinken wir erst einmal einen Schluck. Auf Ihr Wohl, Frau Herder!« Er hob ihr sein Glas entgegen, und sie tat ihm Bescheid.
»Die Tournée müßte doch nun eigentlich bald zu Ende sein«, meinte Beate, während sie ihr Glas zurücksetzte.
»Meine Frau hat verlängert, des großen Erfolges wegen. Ich weiß nicht einmal genau, wo sie jetzt ist. Vielleicht in Südfrankreich, wo sie sich ein Haus kaufen wollte.«
»Aber Sie haben doch hier dieses schöne Haus«, entfuhr es Beate. Doch hätte sie die Worte gern zurückgenommen, denn was ging sie das an.
»Meine