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Mami Staffel 4 – Familienroman


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      »Und wo soll ich so schnell einen Ersatz für dich hernehmen?« brauste der Zahnarzt auf.

      »Anja hat sich sehr gut eingearbeitet«, sagte Ingeborg wie vorher. »Es wird gehen, bis du jemand gefunden hast.«

      »Wie gelassen du bist.« Jetzt war es an ihm, sie nachdenklich anzusehen. Dieser Mund mit den vollen Lippen hatte so heiß geküßt. »Eigentlich finde ich es schade, daß es dich für mich nicht mehr geben soll, Ingeborg.«

      Seine Stimme hatte plötzlich wieder dieses dunkle Timbre, das ihr so süß und verwirrend ins Ohr gegangen war. Heute ließ es sie kalt.

      »Auch dafür wirst du bald einen Ersatz finden«, waren ihre letzten Worte, bevor sie die Praxis verließ.

      *

      Wieder einmal war das Frühstück nahezu schweigend verlaufen.

      »Warum ißt du dein Brot nicht?« fragte Ingeborg ihren Sohn.

      »Mag nicht«, kam es verdrossen zurück. »Ich brauch auch kein Pausenbrot.«

      »Dann nimm wenigstens einen Apfel mit. Aber bring ihn nicht wieder mit heim«, ermahnte ihn seine Mutter.

      Mit mürrischer Miene stopfte Uli den Apfel in seine Schultasche.

      »Du könntest auch ein etwas freundlicheres Gesicht machen«, warf ihm sein Vater vor.

      »Ich guck nur so wie ihr!« stieß der Junge trotzig hervor. Danach herrschte erneut Schweigen in der Sitzecke der Küche. Uli bückte sich nach seinen Schuhen und zog sie an.

      »Mußt du heute nicht zum Dienst?« wandte sich Bertold schließlich an seine Frau. Um diese Zeit brach sie doch sonst immer auf.

      »Doch, aber ich habe es nicht mehr so weit«, antwortete Ingeborg. »Ich fange heute in der Königstraße bei Dr. Harmsen an.«

      Verblüfft legte Bertold den Kopf zurück. »Und das sagst du mir erst jetzt?«

      »Ich dachte, es interessiert dich nicht weiter…«

      Uli hatte aufgehorcht. »Mir hast du es auch nicht gesagt, Mama, daß du jetzt woanders arbeitest!« rief er hitzig aus. »Früher hast du mir immer alles erzählt.« Bitterer Vorwurf klang aus seinen Worten.

      »Es ist nur halbtags, Schatz. Nachmittags werde ich nun immer zu Hause sein. Freust du dich?« Ingeborg versuchte ein Lächeln.

      »Weiß noch nicht«, blockte Uli. »Ich muß jetzt los. Tschüs.« Mit seinem Ranzen auf dem Rücken lief er aus der Wohnung. Küßchen war nicht mehr drin, auch wenn die Mama Schatz zu ihm sagte. Aber hinter seinen Augen brannte es, als er die Straße entlangtrabte. Es war nicht weit bis zur Grundschule, und bald traf er auch auf Klassenkameraden. Da nahm er sich zusammen. Keiner sollte ihn weinen sehen.

      Bertold sagte zu seiner Frau: »Hast du es dir nun doch überlegt, daß du nur noch halbtags arbeiten willst?«

      »Ja. Ich will keine Mutter nach Feierabend mehr sein.«

      Das war alles. Bertold fuhr ins Geschäft, Ingeborg räumte noch etwas auf und begab sich dann zu ihrem neuen Arbeitsplatz.

      Am Nachmittag desselben Tages sagte Uli: »Ich geh zu Peter Schularbeiten machen.« Er sah seine Mutter dabei nicht an.

      »Ist gut, Uli«, nickte Ingeborg. Der Junge wohnte ein paar Straßen weiter, sie kannte auch Frau Ibsen von Elternabenden her.

      Er trödelte dann noch eine ganze Weile in seinem Zimmer herum, bevor er wirklich ging, die Schultasche über die Schulter gehängt. An der Tür drehte er sich noch einmal um.

      »Auf Wiedersehen, Mama«, sagte er mit stillem Gesicht.

      Zwei, drei Stunden vergingen. Ingeborg wunderte sich etwas, daß er so lange ausblieb. Als sie frischgewaschene Jeans und T-Shirts in sein Zimmer brachte, sah sie auf seinem Kopfkissen ein Blatt aus einem Schulheft liegen. Da stand in seiner steilen Kinderschrift. Ich komme erst zurück, wenn Ihr euch wieder liebhabt. Euer Sohn Ulrich.

      Ingebort wurde blaß. Was sollte das denn heißen?

      Sie ging ans Telefon, um bei den Ibsens anzurufen. Der achtjährige Peter war am Apparat.

      »Nein, der Uli war nicht hier«, antwortete er auf ihre Frage. »Wollte er denn kommen?«

      »Ja, er sagte, ihr wolltet Schularbeiten zusammen machen«, erwiderte Ingeborg erregt.

      »Nö, wir haben doch gar nicht viel auf. Das ist aber komisch.« Er machte eine kleine Pause, währenddessen Ingeborg wirre Gedanken durch den Kopf taumelten. »Frau Herder? Der Uli ist überhaupt so komisch in letzter Zeit. Er paßt in der Klasse überhaupt nicht mehr auf.« Als es wiederum still blieb in der Leitung, sagte er: »Wollen Sie mit meiner Mutter sprechen? Ich kann sie rufen.«

      »Nein, das ist nicht nötig. Danke, Peter.« Damit hängte Ingeborg ein. Sie legte die Hand gegen die Stirn, hinter der es hämmerte. Dann rief sie Beate an. Es konnte ja sein, daß er zu ihr gefahren war.

      Aber da war er auch nicht. Sie wählte noch zwei andere Nummern an, es waren nur Strohhalme, an die sie sich klammerte. Die Antworten waren ebenso bestürzt verneinend wie die vorherigen.

      Dann kam ihr Mann aus dem Geschäft. Wortlos hielt ihm Ingeborg das Blatt hin.

      Seine Miene erstarrte. »Das

      gibt’s doch nicht!« stieß er hervor. »Wo soll er denn hin sein?«

      Mit blasser Stimme berichtete sie, wo sie bereits angerufen hatte. Ratlos sahen sie sich an. Es war das erste Mal seit langer Zeit, daß sie sich offen in die Augen sahen. Nichts anderes stand darin als die bange Sorge um den Sohn.

      »Wie kann er uns das antun«, murmelte Bertold, »einfach weglaufen…«

      »Wir haben ihm wohl viel angetan«, sagte Ingeborg schwer. »Wir hätten es vor ihm verbergen müssen, daß zwischen uns nichts mehr so ist, wie es einmal war. Das hat ihm seine heile Welt zerstört.«

      »Was sollen wir denn jetzt machen?« Mit einer fahrigen Geste strich er sich über das Haar. »Ich glaube, ich fahre mal los.«

      »Wohin willst du fahren?«

      »Die Umgebung absuchen. Vielleicht finde ich ihn irgendwo. Vielleicht sitzt er im Stadtpark auf einer Bank. Weit kann er doch nicht sein«, kam es abgerissen über seine Lippen.

      »Ich komme mit«, sagte Ingeborg.

      »Nein, du bleibst hier.« Er griff schon nach seinen Schlüsseln, die in der Diele lagen. »Es könnte doch sein…«

      In diesem Augenblick läutete das Telefon. Bertold riß den Hörer empor. In den nächsten Sekunden entspannte sich sein Gesicht.

      »Er ist bei euch?« hörte Ingeborg ihn ausrufen. »Dann ist es ja gut… Ja, natürlich haben wir uns schon Sorgen gemacht… Ja, Mutter, ja. Es gibt gewisse Probleme bei uns. Behaltet Uli erst mal da. Mit der Schule, das regle ich schon… Ich kann es mir denken. Ich werde es euch erklären, wenn ich komme, morgen, oder übermorgen. Ich rufe euch an.«

      Mit einem tiefen Aufseufzer hängte Bertold ein. »Ist er doch tatsächlich mit dem Zug zu den Großeltern gefahren«, sagte er kopfschüttelnd. Dabei huschte ein schwaches Lächeln um seine Lippen. Ein schlaues Kerlchen war er ja doch. »Hatte er den überhaupt das Geld für die Fahrt?«

      Ingeborg hatte ihre Hände gegen die Brust gepreßt. Wenigstens war er in Sicherheit. »Uli spart doch immer etwas von seinem Taschengeld. Für die hundert Kilometer wird es gereicht haben.«

      Es mußte erst diesen Schock gegeben haben, damit sie wieder miteinander reden konnten.

      »Du hast gesagt«, begann Bertold, als sie am Abend beieinandersaßen und der Fernseher ausnahmsweise abgeschaltet blieb, »wir hätten Uli viel angetan. Wer hat denn seine heile Welt zerstört? Ich doch nicht.«

      »Ich weiß es ja, daß alle Schuld bei mir liegt. Nur, daß du nie mehr das Wort an mich gerichtet und mich mit kalter Verachtung gestraft hast,