Er hatte es kaum gedacht, als es über ihm dröhnte. Sein Kopf flog herum, sein Blick sog sich an den wintergrünen Lärchen fest, die zu einer breiten Faschine zusammengelegt worden waren und die hinter ihr aufgetürmten Steine gehalten hatte. Es war eine richtige Steinschütte, aber auch auf eine wahrhaft satanisch geschickte Art hergestellt. Mort Dillon hatte das Grün der Kronen an den Bäumen gelassen. Am Hang standen vereinzelt Lärchen zwischen den kargen Büschen, deren Wurzeln sich in die Felsspalte gekrallt hatten. Nun kamen andere von oben hinzu. Wenn alles unten lag, würde kein Mensch jemals feststellen können, daß die Dillons vom Windbruch umgeknickte Bäume zu Faschinenwänden zusammengesteckt hatten. Zertrümmertes Holz war zertrümmertes Holz.
Es gab keine Rettung mehr, Logan wußte es. Links war der Felsspalt von sechs bis zehn Schritt Breite. Die Tiefe ließ sich nur ahnen, sie mochte manchmal hundert, manchmal dreißig und an einigen Stellen auch sechzig Schritt betragen. In den Spalt waren schon Millionen Tonnen Gestein gesaust, ein paar tausend Tonnen würden hinzukommen und einen State Marshal für immer begraben.
Das war es – Logan sollte samt seinem Pferd spurlos verschwinden. Ehe man ihn suchte, konnten vier Tage vergehen. In den vier Tagen waren alle Spuren tot. Und wenn jemand später den kahlen Hang sah, so würde er nie versuchen unten im Felsspalt nach Logan zu suchen, das war einfach nicht zu machen.
Mein Gott, ich bin verloren, dachte Logan entsetzt. Keine Chance mehr. Dillon braucht keinen Schuß abzufeuern, er sieht nur zu, er sieht zu, er sieht – nichts mehr!
In diesem Augenblick begriff Bill Logan, daß der Staub den Dillons vollständig die Sicht nehmen mußte. Aber – was machte das noch aus – nichts!
Arrow stieg, drehte sich. Das Pferd hatte sicherlich oft genug Steinschläge erlebt, es schien nach einem Ausweg zu suchen. Plötzlich jagte es nach links, es preschte dem Abgrund entgegen!
Logan machte die schmale Stelle genauso aus, aber sie war immer noch sieben, acht Schritt breit. Das war für Arrow nicht zu schaffen, so weit konnte kein Pferd springen, das einen Reiter im Sattel hatte.
»Arrow, das ist zu weit!« keuchte Logan. Er sah das Geröll kommen. Zehn Sekunden noch, dann mußte es ihn erreicht haben. »Arrow, du schaffst es nicht!«
Der Hengst wirbelte herum, äugte unerschrocken der gewaltigen Masse herabkommender Steine entgegen und krümmte sich zusammen. Logan erriet, was Arrow tun wollte, er riß ihn zurück, sprang aus dem Sattel und sah die Ansammlung mächtiger Felsblöcke in etwa zwanzig Schritt Entfernung, zwischen denen ein paar Büsche wuchsen.
»Lauf, Arrow!« schrie er in das sich steigernde Tosen und Grollen hinein. »Lauf, spring allein. Ich bleibe hier. Spring hinüber und laufe weg. Lauf fort, hörst du, lauf, solange sie wegen des Staubes nichts von dir sehen können, jage davon, sonst knallen sie dich ab, lauf!«
Der Hengst stieg, bockte. Da holte Logan in wilder Verzweiflung aus und schlug ihn die Faust auf die Kruppe.
»Lauf weg, spring!«
Der Hengst stieß ein schrilles Wiehern aus, warf den Kopf hoch und raste endlich los. Der Fausthieb mußte ihm gesagt haben, daß es keine andere Chance gab, daß er davonzustürmen hatte. Jetzt jagte er dem herabdonnernden Geröll entgegen, das alles mitriß: kleine Bäume, Büsche, Felsblöcke. Das Geröll schob mit seinem ungeheuren Gewicht selbst große Blöcke vor sich her und brachte sie ins Rollen.
Die Welt geht unter, dachte Logan, als er zu den großen Blöcken am Rand des Abgrundes stürzte – so muß es sein, wenn die Welt untergeht und die Berge auf die Menschen fallen. Mein Gott, ich bin taub, ich höre nichts mehr – außer diesem entsetzlichen Grollen und Fauchen. Es wird dunkel, es wird stockfinstere Nacht, der Staub verdunkelt den Himmel. Sodom und Gomorrha!
Einen Augenblick erfaßte ihn die Panik, er begann zu schreien. Dann halfen ihm seine Schreie über die furchtbaren Sekunden der Angst hinweg. Plötzlich konnte er wieder klar denken. Drüben kam jetzt Arrow wie ein wirklicher Pfeil angeschossen, er raste in einem Höllentempo dem Abgrund entgegen und sprang ab. Das Pferd flog mit einem Riesensatz über den Abgrund hinweg, aber seine Hinterhacken schlugen Funken aus der jenseitigen Kante.
Mit mir, dachte Logan, wäre es niemals nach drüben gekommen, wir wären beide in die Tiefe gestürzt. Lauf fort, Arrow, lauf weg! Logans Puls raste, kalter Schweiß brach ihm aus allen Poren, als er auf den größten Felsblock kletterte und sich hinwarf. Er ahnte, daß die Geröllmassen sich bis zur Höhe des Blockes auftürmen würden und packte die Zweige eines Busches, die den Block überragten.
Vielleicht, dachte er, vielleicht bleibt der Block liegen, vielleicht quetscht das Geröll den Busch fest, so daß ich die Zweige halten kann. Vielleicht – vielleicht! Und wenn nicht? Großer Gott, es wird stockfinstere Nacht! Das ist das Geröll!
Durch den Block ging ein Klopfen. Es war, als hämmerte man mit Zehnpfündern gegen den Fels.
Ein Krachen wurde laut, das nicht enden wollte. Der Block begann zu zittern, der Staub nahm Logan jede Sicht. Die Trommelfelle drohten zu platzen. Dann wackelte der Block. Es war, als rüttelte ihn ein Riese mit Urkräften.
Jetzt, jetzt rutscht er, er rutscht!
Logan dachte und spürte es – der Block glitt los. Links ein infernalisches Krachen, dann ein dröhnendes Gepolter. Schattenhaft ein Riesenblock, der an Logan vorbeiwackelte und über die Kante in den Abgrund stürzte. Mein Gott, gleich, gleich war es aus, Logan lag schon mit seinem Block auf der Kante. Jetzt…
Was schlug ihn, was traf ihn wie mit Peitschenhieben, was zerrte an seinem Rücken? Da – ein Schatten – Zweige, Lärchenzweige, eine Baumkrone! Und unter ihm der jähe Ruck, der Block neigte sich, fiel, stürzte!
Logans Hände krallten sich in das Grün der Baumkrone, sein Körper hing an den Armen und schwebte über dem Abgrund.
Aus, dachte Logan, als ihn der Schlag wie ein an einer Feder hängendes Gewicht in die Höhe warf, aus, vorbei, ich werde abstürzen, ich drehe mich, werde herumgewirbelt… festhalten, Bill, halte die Zweige fest. Du fällst, du fällst!
Dröhnendes Gepolter von Holz, ein Krachen, Gesplitter – ein Hieb wie von einem flachgehaltenen Schwert über den Rücken. Dann flog er hoch, war gefallen und schoß in die Höhe, fiel sogleich wieder und spürte Schläge. Es mußten Steine sein, die ihn trafen. Hände über den Kopf! Den Kopf decken, nur nicht erschlagen werden, lieber die Zweige loslassen. Etwas knallte ihm auf die Arme, als er sie über den Kopf riß. Und dann kam der Hieb, erwischte ihn voll am Hinterkopf.
Logan saß im Eingang zur Hölle. Der Satan stand davor und lachte. Er sah sich um und glotze Logan an.
»Da bist du ja, Logan«, sagte der Satan höhnisch. »Komm, komm, in den Kessel mit dir!«
Der Satan war Mort Dillon!
Das war das letzte, was der Marshal Bill Logan sah.
»Ich werde verrückt!« lallte Charly. »Das ist doch nicht wahr – alles weg, alles fort? Kein Baum, kein Strauch, nackter Fels – ich kann’s nicht begreifen!«
Er kauerte am Rand des Abgrundes und glotzte den Hang an. Das war nicht zu fassen – es gab kein Geröll mehr, keinen Felsblock, keinen Baum – nur ein paar Stümpfe, bleiche, abgerissene Wurzeln. Geisterfinger in der Mondnacht!
»Hähähä! Hähähä!«
Das Lachen gellte durch die Nacht, ein höllisches Gelächter!
Einer lag auf den Knien und starrte in die düstere Tiefe, hatte das Maul weit aufgesperrt und lachte – lachte – lachte wie ein Irrer, bis er beinahe auch nach unten gefallen wäre.
»Verflucht!« sagte Mort Dillon dann erschrocken. Beinahe – beinahe! Das wäre was, wenn ich den besucht hätte, was, Charly? Ich lach mich tot, da unten – he, Logan – Logan, liegst du da auch gut und warm? Hähähä!«
Er ist verrückt, dachte Charly, er ist wahnsinnig geworden wie unser Vater. Ich weiß noch, wie der zuerst lachte, bis er schrie und davonrannte. Er schrie, die Ratten wären hinter ihm her, sie wollten ihn fressen. Er schlug