Susan Anne Mason

Ein Wagnis aus Liebe


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liebevoll eine Hand auf den Arm. „Das Einzige, was meine Freude über die neue Arbeitsstelle ein klein wenig trübt, ist, dass ich die guten Teezeiten mit Ihnen vermissen werde. Ich habe mich bei Ihnen wirklich wohlgefühlt.“

      Am nächsten Tag würde Grace ihre Stelle als Kindermädchen bei den Eastons antreten. Sie konnte es immer noch nicht ganz glauben, dass sie sich für sie entschieden hatten, obwohl sie kaum Erfahrungen vorweisen konnte. Es kam überraschend, gab ihr aber zugleich das Gefühl, auf dem Weg zu sein, den Gott für sie bestimmt hatte.

      Solange die Eastons nie davon erfuhren, auf welche Weise Grace mit dem kleinen Christian verbunden war, konnte ihre Arbeit als Kindermädchen für alle zum Segen werden. Und es war die Chance, am Leben ihres Neffen teilzuhaben. Sie war zwar nicht sein Vormund, aber dennoch in gewisser Weise für sein Wohl verantwortlich. So machte sie wenigstens ihr Versprechen Rose gegenüber wahr und Graces Schwester konnte in Frieden ruhen.

      Der einzige Nachteil dieser Entwicklung war, dass es Mutter nicht allzu glücklich machen würde. Schließlich bedeutete es, dass Grace für unbestimmte Zeit in Kanada bleiben und Christian nicht nach England bringen würde. Doch das war zweitrangig, Christian hatte Priorität. Sie hoffte, dass ihre Mutter das verstehen würde.

      Mrs Chamberlain war derweil ins Zimmer getreten und nahm ein Bild von Graces Kommode. Es zeigte Rose am Tag ihrer Abreise aus England. „Oh, meine Liebe. Dass Sie jetzt gehen, fühlt sich so an, als würde ich Rose zum zweiten Mal verlieren. Sie war wie eine Tochter für mich. Und der kleine Christian ist sogar in diesem Haus geboren worden“, schluchzte sie und kramte nach einem Taschentuch.

      „Aber Sie verlieren mich ja nicht“, versuchte Grace sie aufzumuntern und nahm ihr vorsichtig das Bild aus den Händen. „Ich bin nur eine Straßenbahnfahrt entfernt und komme Sie gern besuchen, wann immer ich kann.“ Zärtlich strich Grace mit einem Finger über den Bilderrahmen, bevor sie diesen Schatz in ihrem Gepäck verstaute. Dort musste er wohl vorerst versteckt bleiben.

      „Was ist mit den Sonntagen?“, fragte Mrs C. „Werden Sie unsere Gottesdienste besuchen? Ich weiß, dass Sie auch Pastor Burke fehlen werden.“

      „Wenn ich einen Gottesdienst besuchen kann, komme ich natürlich zu Ihnen“, erwiderte sie. Die kleine Kirche würde sie sicherlich vermissen, inzwischen fühlte sie sich wie ihr Zuhause an.

      Grace umarmte ihre Vermieterin. „Was hätte ich nur ohne Sie getan, Mrs C.? Ich danke Gott immer wieder dafür, dass er mich zu Ihnen geführt hat.“

      „Auch die schwierigen Situationen kann Gott in etwas Gutes verwandeln“, erwiderte Mrs C. Mut machend. Grace seufzte und packte weiterhin ihre Sachen zusammen, während Mrs C. wie ein aufgescheuchtes Reh durch den Raum sprang. „Ist es nicht besser, wenn Sie sich morgen früh auf den Weg machen?“

      „Ich würde lieber heute Abend schon dort ankommen, damit ich morgen ausgeruht bin. Außerdem erwartet die Familie mich“, erklärte Grace und verstaute ihre gefaltete Bluse in der Tasche.

      „Das leuchtet ein. Würden Sie sich denn wenigstens von Pastor Burke bringen lassen? Ich halte es für keine gute Idee, wenn Sie zu so später Stunde allein mit der Straßenbahn fahren.“

      Grace lachte. „Aber Mrs C., es ist nicht einmal sieben Uhr. Es gibt absolut keinen Grund zur Sorge.“

      „Und was ist mit Ihrer schweren Tasche?“, stellte Mrs C. mit hochgezogenen Augenbrauen fest. „Wo war das Haus noch gleich?“

      „Auf der Spadina Road“, antwortete Grace beiläufig und gab sich weiterhin mit dem Leerräumen des Kleiderschranks beschäftigt. So versuchte sie Mrs C.s Blick zu entkommen.

      „Oh, Grace. Bitte sagen Sie mir nicht, dass Sie für die Eastons arbeiten werden.“

      Bei diesen Worten hielt Grace inne. Sie hätte wissen müssen, dass ihre Gastgeberin eins und eins zusammenzählen würde. Nun musste sie es ihr doch sagen. „So ist es. Ich bin Christians neues Kindermädchen“, erwiderte sie mit fester Stimme.

      Schwerfällig ließ Mrs Chamberlain sich auf das Bett fallen, sodass die alten Federn der Matratze unter ihrem Gewicht quietschten. „Um Gottes willen. Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist.“

      „Warum nicht? Ich glaube, sie ist perfekt. Ich werde meinen Neffen kennenlernen und mich selbst um ihn kümmern. So kann ich sicherstellen, dass es ihm gut geht.“

      „Aber Sie hintergehen die Eastons. Oder haben Sie ihnen gesagt, wer Sie sind?“, fragte Mrs C. mit einem so durchdringenden Blick, der Grace an Ort und Stelle festnagelte.

      „Wie sollte ich? Sie würden mich nicht einmal hereinlassen, wenn sie wüssten, dass ich eine Abernathy bin.“

      „Eines versichere ich Ihnen: Das wird nichts als Herzschmerz mit sich bringen“, erwiderte Mrs Chamberlain mit einem Kopfschütteln.

      Dieser Kommentar tat weh. Sie klang wie Graces Mutter, die ihre Tochter wieder einmal für eine überstürzte Entscheidung schalt. Verzweifelt suchte Grace nach einem Weg, wie sie Mrs C. von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugen konnte und ihr Schuldgefühl über den Betrug verringern würde. Aber sie fand kein stichfestes Argument.

      „Was erhoffen Sie sich dadurch, Grace? Wahrscheinlich werden Sie den Kleinen ganz bald schon sehr lieb gewinnen und dann wird es Ihnen das Herz brechen, ihn eines Tages verlassen zu müssen“, sprach Mrs C. weiter.

      „Vermutlich haben Sie recht“, gab Grace sich geschlagen, lief im Raum auf und ab und blieb dann am Fenster stehen, wo sie auf die Straße starrte. „Und doch glaube ich, dass diese Möglichkeit von Gott kommt. Das ist, was er und auch was Rose sich von mir wünschen würden. Ich konnte diese Chance nicht einfach ziehen lassen, das hätte ich mein Leben lang bereut.“ Dann drehte sie sich zu ihrer Vermieterin und sagte entschieden: „In meinem letzten Brief an Rose habe ich ihr versprochen, mich um Christian zu kümmern, sollte ihr irgendetwas zustoßen. So kann ich wenigstens mein Wort halten.“

      Mrs Chamberlain seufzte besorgt. „Nun gut, soeben haben sich meine abendlichen Gebete um zehn Minuten verlängert“, erklärte sie mit einem kleinen Lächeln. „Auch wenn ich nicht Ihrer Meinung sein sollte, weiß ich, dass Sie nur das Beste im Sinn haben. Also können Sie mit meiner Unterstützung rechnen.“

      „Oh, vielen, vielen Dank, Mrs C., das bedeutet mir wirklich viel“, sagte Grace erleichtert und spürte, wie in ihr Tränen aufstiegen. Schnell schluckte sie sie herunter, umarmte die liebe Frau und nahm entschlossen ihren Koffer vom Bett. „Also gut. Ich gehe jetzt besser los, bevor es dunkel wird.“

      „Viel Erfolg, Liebes. Und lassen Sie sich nicht unterkriegen.“

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      „Miss Virginia, da ist Besuch für Sie“, gab Mrs Green von der offenen Tür in den Salon bekannt.

      „Wer ist es denn?“, fragte Virginia, als sie von ihrem Buch hochschaute.

      „Mr Fleming, Miss“, erwiderte die Hausdame und ein Hauch von Missmut flog über ihr Gesicht, bevor sie ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte.

      Virginia unterdrückte ein Seufzen. Gab es denn niemanden, der Basil mochte? Ja, es stimmte, manchmal war er ziemlich theatralisch. Andere Male wirkte er einfach plump, dann wieder erinnerte er an eine menschengroße Puppe. Und manchmal war er auch nervig, aber im Prinzip war Basil ein Guter.

      „Lassen Sie ihn ruhig herein. Und bitten Sie Mrs Hopkins, einen Kaffee für ihn aufzusetzen.“ Basil schwor, dass niemand so guten Kaffee kochte wie Mrs Hopkins.

      „Natürlich, Miss.“

      Virginia schüttelte ihren Rock auf, setzte sich aufrecht hin und schlug die Beine anmutig übereinander. So, wie es sich für eine feine Dame gehörte.

      „Guten Abend, meine Liebe. Wie geht es dir heute?“, verbeugte sich Basil über ihrer vorgestreckten Hand.

      „Sehr gut, vielen Dank. Was führt dich her?“

      „Das hier“, sagte er