Georg Markus

Alles aus Neugier


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die Menschen damals so früh starben.

      Bis zum Jahre 1788 – in dem die ersten Bettelbriefe auftauchen – verbesserte sich Mozarts finanzielle Situation zusehends. Als gern gesehener Gast in adligen Häusern, durch Kompositionsaufträge, Klavierstunden und Konzertreisen konnte er sich weitere Einnahmen verschaffen, doch war er andererseits durch den Umgang mit Aristokraten auch verpflichtet, an erster Adresse zu wohnen und teure Kleider zu tragen. Seinem Nachlass ist zu entnehmen, dass er je einen weißen, blauen und roten Tuchrock mit Manchester-Weste, einen roten Tuchrock aus China-Seide, einen Rock aus Atlas-Seide, acht Gardehosen, Halsbinden und 18 Schnupftücher besaß.

      Das Entwürdigende an der Lage Mozarts – wie auch Schuberts oder Haydns – war, dass diese Genies von Gunst und Laune ihrer Mäzene abhingen, ja in vielen Fällen sogar gezwungen wurden, Lakaienuniform zu tragen.

      1790 hatte der Kompositionsauftrag für Così fan tutte zwar 900 Gulden gebracht, aber mit Datum 1. Oktober desselben Jahres findet sich eine »Schuld Verschreibung« in Höhe von 1000 Gulden, die Mozart sich vom Frankfurter Handelsmann Heinrich Lackenbucher geliehen hatte. 1790 war überhaupt sein schlechtestes Jahr, Österreich steckte in einer Krise, die Konzerte waren nicht gut besucht, Noten wurden kaum nachgedruckt, das alles ging Mozart auch psychisch nahe, vor allem, dass er für sein Darlehen von Lackenbucher sein gesamtes Mobiliar verpfänden musste.

      Eines der Hauptübel für Mozart und seine Zeitgenossen bestand darin, dass sie von Auftraggebern zwar entlohnt wurden, ihre Werke in der Folge aber ungeschützt waren. Jeder Veranstalter konnte geistiges Eigentum verwerten, ohne dafür bezahlen zu müssen. Mozarts Hochzeit des Figaro-Librettist Beaumarchais war der Erste, der für sich und andere Künstler Abhilfe zu schaffen verstand. Im Zuge der Französischen Revolution setzte er 1791 den Schutz geistigen Eigentums durch. Zu spät für Mozart, der im kalten Dezember dieses Jahres in seiner Wohnung in der Wiener Rauhensteingasse an »hitzigem Frieselfieber« verstarb.

      Aus »G’schichten aus Österreich, Zwischen gestern und heute« (1987)

      EIN BLICK IN DEN PANZERSCHRANK

       Wie ich das Geheimrezept der Sachertorte fand

      Kaum etwas wird in Österreich so geheim gehalten wie das Rezept der Sachertorte. Wie viel Schokolade, wie viel Kakao, wie viele Eidotter, wie viel Mehl sind vonnöten, um den weltberühmten Geschmack der Wienerischen Süßspeise zu erreichen? Franz Sacher hat die Torte im Jahr 1832 kreiert, mir gelang es im Jahr 2007 zum ersten Mal, das Rezept zu veröffentlichen. Dazwischen lagen 175 Jahre ungeduldigen Wartens.

      Manchmal muss man hartnäckig sein. Es war im Herbst 1989, da feierte die Frau Sacher ihren 100. Geburtstag. Man bat aus diesem Anlass zu einem kleinen Empfang nach Baden bei Wien, dem Stammsitz der alten Hoteliers- und Tortendynastie. Mein Interesse an dieser Veranstaltung galt weniger Smalltalk, Speis und Trank als der Geschichte der Familie Sacher, vor allem aber: dem Rezept der Sachertorte, das seit jeher in ähnlicher Weise geheim gehalten wird wie die Aufmarschpläne der Vereinigten Staaten von Amerika.

      Tatsächlich wollen Generationen von Hausfrauen und Konditoren wissen, wie viel Zucker, Eidotter und Marmelade die weltberühmte Süßspeise benötigt, um ihren unvergleichlichen Geschmack zu erreichen. Bisher vergeblich, weder die Familie Sacher noch die Familie Gürtler, in deren Besitz sich das Wiener Traditionshotel vis-à-vis der Staatsoper seit 1934 befindet, waren bereit, das Rezept aus der Hand zu geben. Und so hat noch nie irgendjemand außerhalb dieser beiden Familien und einiger weniger Mitarbeiter, die unmittelbar mit der Tortenproduktion befasst sind, Einblick in das weltweit bestgehütete Patissier-Geheimnis bekommen.

      Auch ich war zunächst chancenlos. Über die Familie Gürtler probierte ich’s erst gar nicht, die hatte das allergeringste Interesse, das Geheimnis der Sachertorte zu lüften, stellt doch der Verkauf der edlen Süßspeise einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Geschäftstätigkeit dar, wobei das Mysterium um das Rezept längst zur bewährten Marketingstrategie gehört.

      Aber auch Frau Carla Sacher hatte an ihrem 100. Geburtstag anderes zu tun, als sich mit mir über die Zubereitung jener Torte zu unterhalten, die Franz Sacher, der Großvater ihres Mannes, 1832 kreiert hatte. Und ihre bei der Feier anwesende Enkelin Irène Schuler-Sacher lehnte höflich, aber bestimmt ab: »Nein, wir belassen es dabei, das Rezept bleibt im Safe!«

      Meine Hartnäckigkeit zog sich in diesem Fall fast zwei Jahrzehnte hin. Frau Carla Sacher ist wenige Monate nach ihrem 100. Geburtstag gestorben. Doch ihre Enkelin sah ich in den darauffolgenden Jahren immer wieder durch Zufall, da oder dort, ohne je darauf zu vergessen, »das Rezept« anzusprechen.

      Das Jahr 2007 sollte ein doppelt ereignisreiches Sacher-Jahr werden, wurde doch einerseits die gleichnamige Torte 175 Jahre alt, andererseits gedachte man auch des 100. Todestages ihres Schöpfers Franz Sacher. Jetzt oder nie, dachte ich. Und bat Frau Irène Schuler-Sacher um ein Treffen, das dann im damals nach wie vor familieneigenen Hotel Sacher in Baden stattfand.

      Das nunmehrige Oberhaupt der Familie war durchaus meiner Meinung, dass man das Sacher’sche Jubiläumsjahr nicht sang- und klanglos vorüberziehen lassen sollte. Doch es gäbe nur einen Weg, so erklärte ich, die Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren: das Rezept!

      Immerhin gestand Irène Schuler-Sacher, dass es die Backanleitung in zweifacher Ausführung gäbe – einmal im Sacher in Wien und einmal in Baden – in beiden Fällen hinter dicken Panzertüren versperrt. »Meine Großmutter hat das Rezept 1980 für mich niedergeschrieben«, erzählte Irène und zeigte mir vorerst einen Brief, der dem Rezept beilag:

      »Meiner lieben Enkeltochter Irène zur Erinnerung an ihre Omi Sacher. Anbei das Rezept der Sachertorte, wie ich es von der Köchin Marie Lahner gelernt habe.« Marie Lahner war bis zum Tod des Torten-Erfinders Franz Sacher in dessen Diensten und mit der Anfertigung der weltberühmten Torte betraut. Carla war es ab dem Zeitpunkt, da sie im September 1911 in die Sacher-Dynastie eingeheiratet hatte, gestattet, ihr bei der Zubereitung zuzusehen und zu assistieren.

      Nun bedurfte es nur noch kleinerer diplomatischer Finessen meinerseits, um Frau Schuler-Sacher zur Öffnung ihres Safes und damit zur Herausgabe des Rezepts zu bewegen. »Es wäre doch wirklich … Nach so langer Zeit … Ihre Großmutter hätte sicher nichts dagegen … Und Franz Sacher schon gar nicht …« – ich ließ kein Argument aus, das beim Zustandekommen des »Projekts Sachertorte« behilflich sein konnte.

      Und dann geschah das Wunder. »Also gut«, sagte meine charmante Gastgeberin. Sie erhob sich, entriegelte den großen Metallschrank, entnahm ihm das Schriftstück – und händigte es mir aus.

      Und hier ist es, handgeschrieben von Frau Carla Sacher:

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      Als ich das Rezept in Händen hielt und gelesen hatte, lieferte mir Frau Schuler-Sacher noch eine Erklärung: »Meine Großmutter hat diese Zeilen im Alter von 91 Jahren niedergeschrieben, weil unser Familiensafe nach dem Krieg von russischen Besatzungssoldaten geplündert und dabei Franz Sachers Rezept vernichtet wurde. Meine Großmutter hielt sich ganz genau an die Angaben, die ihr von der langjährigen Köchin des Sachertorten-Erfinders überliefert worden waren. Damit es nicht verloren geht.«

      Frau Schuler-Sacher überreichte mir das Rezept für »zwei grosse Torten« und sagte mir zu, es publizieren zu dürfen. Zum ersten Mal nach 175 Jahren!

      Franz Sacher war gerade 16 Jahre alt, als er die Torte 1832 erfand. Seine Ururenkelin Irène Schuler-Sacher kennt natürlich deren Entstehungsgeschichte ganz genau: »Franz Sacher war Kocheleve beim Staatskanzler Fürst Metternich. Als eines Tages die Fürstin mit dem Großteil des Personals inklusive Chefkoch zur Kur in Karlsbad weilte, rief er den einzigen in Wien verbliebenen