die wohl auf das »Doppelleben« der Schauspielerin, hier der Kaiser, dort der Graf, zurückzuführen waren. »Wann wirst du sagen«, schreibt Wilczek an die Schratt, »ich will das nicht mehr, denn es verletzt und macht so unglücklich den armen Hans.«
Hans Graf Wilczek starb 1922 im Alter von 84 Jahren und ist in der Gruft der von ihm wiedererrichteten, ursprünglich mittelalterlichen Burg Kreuzenstein bei Wien bestattet.
Wie aber kam es mehr als 120 Jahre nach seinem »Gspusi« mit der Schratt zur Auffindung der brisanten Korrespondenz?
Die Briefe stammen aus dem Nachlass eines Autografensammlers, der sie nach dem Tod der Schratt im Jahre 1940 von ihrem Sohn Anton von Kiss – der oft in Geldnöten war – gekauft hat. Sie galten jedoch als verschollen, ehe sie im Juni 2008 im Wiener Dorotheum zur Versteigerung angeboten und vom Hofmobiliendepot erworben wurden.
Die Briefe sind nicht nur durch die Dreiecksgeschichte Kaiser–Schratt–Wilczek interessant, sondern auch, weil sie die Moralvorstellungen in der Spätzeit der Monarchie aufzeigen. Sie belegen nunmehr eindeutig, dass Wilczek der Liebhaber der Katharina Schratt war, während bis dahin lediglich bekannt war, dass er ihrem engeren Freundeskreis angehörte.
Dass die Eifersucht Franz Josephs im Falle Wilczek berechtigt war, ist somit geklärt. Doch auch des Kaisers Misstrauen bezüglich des Königs Ferdinand von Bulgarien hatte einen realen Hintergrund. »Der Bulgare«, wie der Kaiser ihn stets nannte, war Ferdinand von Sachsen-Coburg, seines Zeichens Fürst und später König beziehungsweise Zar von Bulgarien. Der temperamentvolle und geistreiche Aristokrat – er stammte aus dem Wiener Zweig des Hauses Coburg – war um acht Jahre jünger als die Schratt und ein Theaternarr, der keine Gelegenheit ausließ, um nach Wien zu reisen und hier die »Burg« zu besuchen. Und die Schratt.
Bei seiner Vorliebe für Schauspielerinnen dürfte sie nicht sein einziger Schwarm gewesen sein. Der Schauspieler Hugo Thimig notiert in seinem Tagebuch, »dass der König von Bulgarien in die Marberg verschossen ist, aber die Schratt darf’s nicht wissen«. Die spätere Hofschauspielerin Lili Marberg war damals gerade 20 Jahre alt, konnte der Schratt allerdings beim »Bulgaren« keine echte Konkurrentin werden – zu groß war die Zuneigung, die der König für seine »Kathi« empfand.
Ein weiterer Verehrer der Katharina Schratt: König Ferdinand I. von Bulgarien
»Ja, der König von Bulgarien hat die Tante wahnsinnig verehrt«, erinnerte sich die Schratt-Nichte Katharina Hryntschak. »Kaum war er in Wien, ist er schon zu ihr nach Hietzing gekommen – wobei er seine Kinder nicht selten mitgebracht hat.« Kaiser Franz Joseph reagierte immer verärgert, wenn es um die innige Beziehung der Schratt zu dem – auch ihm freundschaftlich verbundenen – König ging. Als er erfuhr, dass die Schratt im Juni 1890 zur gleichen Zeit in Karlsbad zur Kur weilte wie Ferdinand, reagierte er mit den Worten »Beneidenswerther Fürst!«.
Dass die Eifersucht auch in diesem Fall berechtigt war, lässt einer der wenigen erhalten gebliebenen Briefe, die Ferdinand an die Schratt richtete, zumindest erahnen: »Bin um 4 Uhr in Wien«, schreibt er am 27. Juni 1891, »und erwarte Deine Befehle; Kathi, ich bitte Dich, sei gut zu einem armen unglücklichen gebrochenen Menschen, lass mich bei Dir Kraft und Muth schöpfen und mein Herz bei Dir ausschütten!«
Die wohl letzte große Liebe ihres Lebens sollte im reiferen Alter auf die Schratt zukommen. Eineinhalb Jahre, nachdem ich von ihrer Affäre mit dem Grafen Wilczek erfahren hatte, wurde mir ein Brief der Schauspielerin an einen ihrer seinerzeit sehr prominenten Kollegen zugespielt.
»Du! Du! Lieb, fürchterlich lieb hab ich Dich!« Diese Worte schrieb die Schratt in jenen Tagen, da sie vom Kaiser fast täglich besucht wurde. Aber sie waren nicht an ihn gerichtet, sondern an den Schauspieler Viktor Kutschera. Der Brief wurde am Silvesterabend des Jahres 1903 verfasst – und sein Inhalt lässt kein Missverständnis zu: »Heute in den letzten Stunden des alten Jahres danke ich dem lieben Gott«, schreibt die Schratt an Kutschera, »dass er uns zusammengeführt hat – und morgen in der Kirche bete und bitte ich, dass wir immer beisammen bleiben dürfen.«
Viktor Kutscheras Enkel, der in Wien lebende Bankdirektor i. R. Carl-Ludwig Kutschera, hat mir das fünf Seiten lange Schreiben der Schratt anvertraut. »In meiner Familie«, sagt er, »war die Beziehung meines Großvaters zu Katharina Schratt bekannt, aber wir haben die Details bisher für uns behalten, weil wir das für sehr privat hielten. Nun bin ich 80 Jahre alt und habe mir überlegt, dass es bei dieser Beziehung doch nicht nur um das Privatleben der Frau Schratt geht, sondern auch um ein Stück österreichischer Geschichte, und daher stelle ich Ihnen den Brief zur Veröffentlichung zur Verfügung.«
Katharina Schratt und Viktor Kutschera standen 1903, als der verfängliche Brief geschrieben wurde, gemeinsam auf der Bühne des Wiener Volkstheaters. Sie als Maria Theresia in Franz von Schönthans gleichnamigem Lustspiel und er als ihr Ehemann, Franz Stephan von Lothringen.
Katharina Schratt und Viktor Kutschera kannten einander schon länger, waren gemeinsam am Burgtheater aufgetreten, doch weiß man nicht, ob es in früheren Zeiten zu einer Beziehung gekommen ist. Klarerweise war die Schratt auch jetzt nicht nur dem Kaiser untreu, sondern auch ihrem Mann, der nach wie vor im Ausland weilte. Und auch Viktor Kutschera war verheiratet und hatte zwei Kinder.
Wie sehr die Schratt den gut aussehenden Viktor Kutschera liebte, kann man sich ausmalen, wenn man auf Seite vier des Briefes über ihre Träumereien von einer gemeinsamen Zukunft erfährt: »Weißt Du, was ich am liebsten thun würde?«, fragt sie den Geliebten und liefert gleich die Antwort: »Alles, was mir gehört, Geld, Schmuck (sogar meine alten Sachen), Alles Deiner Frau schenken – sie soll nach Hietzing ziehen, soll auch Alles mitnehmen, was ihr gehört (Dich aber nicht) und ich komm zu Dir, das wäre das Richtige und Beste. – Die Vorstellung sagen wir gleich ab, aber keine andere annehmen. Ich sorg und arbeit dann nur für Dich. Bleib immer zu Haus und wart bis Du kommst.«
Der Schauspieler Viktor Kutschera sollte nach dem Wunsch der Schratt seine Frau verlassen.
Katharina Schratt, damals 50 Jahre alt, gibt sich wie eine Pubertierende, während der um zehn Jahre jüngere Viktor Kutschera etwas nüchterner zu agieren scheint. »Ich glaube, dass er in die Affäre mit der Schratt geschlittert ist«, vermutet sein Enkel heute, »aber er hätte niemals seine Frau und seine Kinder verlassen. Auch weiß man, dass die Schratt nicht sein einziger Seitensprung war. Er war ein sehr begehrter Mann.«
Viktor Kutschera, der Sohn eines Eisenbahningenieurs, der gemeinsam mit Carl Ritter von Ghega die Semmeringbahn erbaut hatte, war 1863 in Wien zur Welt gekommen und absolvierte wie damals üblich seine ersten Auftritte in der Provinz. Wieder in Wien, war er als jugendlicher Liebhaber und gefeierter Charakterschauspieler jahrzehntelang Star und Publikumsmagnet am Deutschen Volkstheater, in das er nach dreijährigem Zwischenspiel am Burgtheater zurückkehrte.
Der damals 73-jährige Kaiser erwartete in dieser Zeit jeden Tag den Besuch der »gnädigen Frau« oder ließ sich zu ihrer Villa fahren: in jene Villa in der Gloriettegasse, die sie von Franz Joseph als Geschenk erhalten hatte – und die sie jetzt Viktor Kutscheras Ehefrau überlassen wollte.
Die Affäre mit Viktor Kutschera fällt in eine für alle Beteiligten schwere Zeit. Der Kaiser hatte die schlimmsten Schicksalsschläge seines Lebens hinter sich: den Selbstmord seines Sohnes Rudolf in Mayerling und die Ermordung seiner Frau Elisabeth in Genf. Umso einsamer und depressiver zeigte er sich und umso wichtiger war ihm die Gesellschaft der geliebten Frau Schratt, mit der es gerade jetzt immer wieder zu Auseinandersetzungen kam, während der sie den Kaiser zu verlassen drohte. »Wie beneide ich die glücklichen Menschen, welche Sie sehen dürfen«, schreibt Franz Joseph, »während mir nur die Sehnsucht bleibt.«
Außerdem war der Premiere des Maria Theresia-Stücks, in der sie mit Viktor Kutschera am Volkstheater auftrat, ein riesiger Skandal gefolgt, weil man es als taktlos empfand, dass die Freundin des Kaisers eine Kaiserin spielte. Karl Kraus bezeichnete die Aufführung in der Zeitschrift Die Fackel