Kristi Ann Hunter

Entführung ins Glück


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erschien ihm irgendwie falsch. So falsch, dass er das Zimmer fast wieder verlassen hätte. Es wäre nicht das erste Mal, dass die persönlichen Gefühle eines Agenten seine Arbeit behinderten. Entschlossen riss Ryland die Schranktür auf und durchsuchte jede Jackentasche, jeden Saum und jedes Handtäschchen.

      Seine Suche war nicht so gründlich, wie sie hätte sein sollen, aber sie genügte, um seine Schuldgefühle zu vertreiben. Er sank auf die Knie und warf einen kurzen Blick unters Bett. Als er darunter eine große, flache Truhe fand, war er überrascht.

      Die Gepäcktruhen wurden in einem anderen Teil des Schlosses verstaut. Warum befand sich diese eine Truhe dann hier?

      Sie war ungewöhnlich schwer, stellte er fest, als er sie herauszog. Und sie war zugesperrt.

      Mit hämmerndem Herzen nahm Ryland zwei Haarnadeln vom Frisiertisch und öffnete das Schloss. Das Letzte, was er erwartete, als er den Deckel anhob, war Papier.

      Briefe, um genau zu sein. Hunderte Briefe. Alle an den Herzog von Marshington adressiert.

      Sosehr es ihm auch in den Fingern kribbelte, er las sie nicht. Das, was er mit den letzten beiden Briefen machte, die sie geschrieben hatte, war schon schlimm genug.

      Aber eine Frage ließ ihn trotzdem nicht los. Er wühlte in der Truhe bis ganz nach unten und fand die ältesten Briefe, die auf einfaches weißes Papier geschrieben waren. Er öffnete einen, um das Datum zu lesen.

      1800. Diese Frau schrieb ihm seit 12 Jahren!

      Wie sollte er je dem Ideal des Mannes gerecht werden, den sie in ihrer Fantasie erschaffen hatte?

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      Miranda wartete bis zum letzten Augenblick, bevor sie nach unten zum Abendessen ging. Ihr war es erfolgreich gelungen, Griffith und Georgina seit dem Morgen aus dem Weg zu gehen. Aber es gab keine Möglichkeit, das Abendessen ausfallen zu lassen, es sei denn, sie entschuldigte sich und behauptete, dass sie krank wäre, was aber viele andere Probleme nach sich ziehen würde.

      Georgina rümpfte die Nase, als Miranda sich an ihren Platz setzte. Miranda befürchtete, dass ihre Schwester damit nicht auf den unangenehmen Geruch reagierte, der von der Zwiebelsuppe aufstieg. Sie hatte es bis jetzt vermieden, in den Spiegel zu schauen, da sie nicht wissen wollte, ob ihr Zusammenstoß mit Marlows Faust sichtbare Spuren hinterlassen hatte.

      „Was ist denn mit dir passiert?“

      Miranda seufzte. Die Frage ihrer Schwester veranlasste Griffith, sie genauer zu betrachten. „Was ist passiert? Du hast einen Bluterguss über der Nase.“

      Sie konnte ihm schlecht sagen, dass sie diesen Bluterguss seinem neuen Kammerdiener verdankte. Wahrscheinlich würde er dann sofort Mr Herbert aus dem Ruhestand zurückholen. „Ich war nur ein wenig ungeschickt. Das ist alles. Ich habe mich nicht einmal besonders kräftig gestoßen. Ich muss bloß genau die richtige Stelle getroffen haben.“

      Georgina kicherte hinter ihrer Serviette, während Griffith fragend die Augen zusammenkniff. „Was genau hat die richtige Stelle getroffen?“

      Er klang ruhig, sah aber misstrauisch aus. Sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen.

      „Das, ähm …“ Ihr Blick wanderte zu einem Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Darauf saß eine Frau mit einem Buch in der Hand auf einem Sofa. „Buch!“

      Seine Brauen schossen in die Höhe. Georgina hustete demonstrativ, um ihr Lachen zu verbergen.

      „Ein Buch?“, fragte er.

      „Ja!“ Miranda verlagerte ihr Gewicht und ließ ihrer Fantasie freien Lauf. „Ich habe im Bett gelesen und bin eingeschlafen. Dabei ist mir das Buch anscheinend auf die Nase gefallen.“

      Griffith aß einen Löffelvoll Suppe. „Was war das für ein Buch?“

      Er wollte wissen, welches Buch ihr auf die Nase gefallen war? Miranda schob sich ebenfalls einen Löffel voll Suppe in den Mund und wünschte, sie müsste länger kauen. Die Suppe verschaffte ihr nur wenig Zeit, um sich eine Antwort einfallen zu lassen. „Es war …“ Ein weiterer panischer Blick durchs Zimmer brachte keine neue Idee. „Shakespeare.“

      „Shakespeare?“

      „Ja.“

      Das Gespräch wurde unterbrochen, als die Suppe abgeräumt und der nächste Gang auf den Tisch gestellt wurde. Miranda wurde schon allein beim Anblick des Hauptgangs schlecht. Sie könnte Fleisch nie wieder mit den gleichen Augen sehen wie früher.

      Georgina grinste. „Ich habe Shakespeare schon immer geliebt. Welches Stück hast du denn gelesen?“

      Es sollte ein Gesetz geben, das lästige jüngere Schwestern verbot. Georgina wäre nicht in der Lage, auch nur drei Stücke von Shakespeare aufzuzählen, selbst dann nicht, wenn ihr Leben davon abhinge. „,Was ihr wollt‘.“

      Wie kam sie denn gerade auf diesen Titel? Ach, ja! Dieses Buch hatte Marlow neulich nachts in der Bibliothek gelesen. Es war also eine passende Antwort.

      Griffith starrte sie an. „,Was ihr wollt‘?“

      „Ähm, ja. Aber ich bin noch nicht weit gekommen. Ich kann also nicht viel darüber sagen.“

      Miranda machte sich allmählich Sorgen um ihren älteren Bruder. Er sah aus, als denke er angestrengt nach und versuche, sich an etwas zu erinnern, das ihm einfach nicht einfallen wollte.

      Mit einem Kopfschütteln und einem knappen Lächeln entgegnete er schließlich: „Dann sollten wir wohl über etwas anderes sprechen.“

      Miranda schob sich ein Stück Fleisch in den Mund. Das würde ein sehr langes Abendessen werden!

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      Griffiths Bett war wirklich sehr bequem. Wenn er in sein Londoner Haus zurückkehrte, wollte Ryland versuchen, auch eine solche Matratze zu finden. Natürlich konnte es auch einfach an den schäbigen Unterkünften liegen, in denen er jahrelang übernachtet hatte, dass ihm diese Matratze so bequem erschien.

      Auf das große Walnussbett könnte er allerdings verzichten. Es war seit Generationen im Besitz der Familie und Griffith bezeichnete es häufig als hässlich. Aber da die letzten sechs Herzöge darin geschlafen hatten und sein Freund viel Wert auf Traditionen legte, führte kein Weg daran vorbei.

      Ryland zuckte die Achseln und lehnte sich gemütlich gegen die Kissen. Was sollte er nur mit Mirandas Brief machen? Er musste ihr natürlich antworten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie merkte, dass der falsche Brief noch auf ihrem Schreibtisch lag. Wer einen solchen Brief bekam wie den, den er gerade in der Hand hielt, antwortete irgendwie darauf. Es war einfach zu absurd! Er hatte beschlossen, dass sie erst nach einer Woche eine Antwort vom Herzog von Marshington bekommen würde. Ihm blieben also ein paar Tage Zeit, um sich etwas zu überlegen.

      Er warf einen Blick auf die Uhr. Wahrscheinlich dauerte es noch eine Stunde, bis Griffith seine Dienste benötigte.

      Was für eine lächerliche Tarnung! Seine Freundschaft mit Griffith machte es ihm sehr schwer, seine Tarnung aufrechtzuerhalten. Früher hatte er immer in seine Rolle schlüpfen und für längere Phasen seine wahre Identität vergessen können. Das war bei dieser Mission unmöglich. Manchmal hatte er das Gefühl, als wären er und Griffith wieder in Eton, damals, bevor das Leben sie in völlig verschiedene Richtungen geführt hatte.

      Hinzu kam, dass er mit dieser Mission nur sehr schleppend vorankam. Er hatte jedes Zimmer im Haus abgesucht und den Kreis der Verdächtigen eingeengt. Innerhalb einer Woche sollte ihm das Kriegsministerium alles schicken, was man dort über die Leute auf seiner Liste wusste. Etwas ließ ihm keine Ruhe. Irgendetwas stimmte nicht, aber er wusste nicht, was es war.

      Und das gefiel ihm nicht.

      Er war zu dem Ergebnis gelangt, dass mindestens ein höhergestellter Dienstbote involviert sein musste. Jemand hatte im Aufenthaltsraum der höheren Dienstboten einen Brief ins Feuer geworfen. Eine Ecke des Briefes war nicht verbrannt. Und auch wenn Ryland gern gewusst hätte, was darin gestanden hatte, hatte er noch genug entziffern können, um zu wissen, dass