mussten, damit auf seinen Ländereien alles reibungslos lief. Wenn er irgendetwas brauchte, schickte er seinen neuen Kammerdiener los. Marlow war auf dem ganzen Gelände unterwegs.
Georgina hingegen sprach von nichts anderem als von der bevorstehenden Saison in London. Miranda war zwar entschlossen, sich für sie zu freuen, und sie weigerte sich, der Eifersucht in ihrem Herzen Raum zu geben, aber sie sah dennoch keinen Grund, ihre Selbstbeherrschung mehr als nötig auf die Probe zu stellen.
Vom Korridor waren ein Rascheln und leise Schritte zu vernehmen. Miranda seufzte und nahm eine angemessenere Haltung ein.
Georgina trat mit einem gezierten Gähnen ins Zimmer. Die Rüschen ihres Tageskleides flatterten, als sie sich im Kreis drehte. „Gefällt es dir?“
Miranda zog eine Braue hoch. „Ist das eines deiner neuen Kleider?“
„Ja. Ist es nicht hübsch?“
„Oh ja. Aber es ist für London bestimmt.“ Miranda richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihren Teller und schob ein wenig Rührei auf die Gabel.
Georgina zuckte die Achseln. „Mutter ist schließlich nicht da. Außerdem kann dem Kleid doch nichts passieren. Ich werde das Haus bei diesem Wetter bestimmt nicht verlassen. Stattdessen werde ich wahrscheinlich den Vormittag damit verbringen, Klavier zu spielen und zu sticken.“
Georginas Begeisterung für die Aktivitäten, vor denen Miranda graute, entlockte ihr ein kurzes Lachen. Sie musste jedoch zugeben, dass ihre Schwester recht hatte. Es war sehr unwahrscheinlich, dass diesem Kleid irgendetwas passieren würde. Sie kam sich richtig pingelig vor, weil sie es überhaupt angesprochen hatte.
Der Butler trat ein, während Georgina Miranda gegenüber Platz nahm. Auf dem silbernen Teller in seiner Hand lag ein Stapel Briefe. „Die Post, Mylady.“
„Danke, Lambert.“ Miranda schob den Teller mit ihrem Toast zur Seite und begann, den Stapel durchzusehen. Sie hätte diese Aufgabe auch an Lambert übertragen können, aber sie hatte gern einen Überblick über das, was im Haus passierte. Als sie nach der Wiederheirat ihrer Mutter die Pflichten als Dame des Hauses übernommen hatte, hatte ihr diese Aufgabe das Selbstwertgefühl gegeben, das ihr so sehr fehlte.
Zwei Briefe waren an Georgina adressiert. Miranda schob sie ihr über den Tisch zu, obwohl sie wusste, dass die Briefe erst einmal keine Beachtung finden würden. Georgina erledigte ihre wenige Korrespondenz immer erst dann, wenn sie allein war. Hin und wieder hatte sich Miranda sogar gefragt, ob sie die Briefe ins Feuer warf, weil sie mit nichts belästigt werden wollte, was in ihrem Leben keine wichtige Rolle spielte.
Für Griffith war kein Brief dabei. Das war schon seit über einer Woche so. Irgendwie gelang es Marlow, die Post jedes Mal vor allen anderen in die Hände zu bekommen und alles, was für Griffith bestimmt war, aus dem Stapel zu entfernen.
War es normal, dass ein Kammerdiener sich so intensiv um jeden Aspekt im Leben seines Herrn kümmerte? Sie verdrängte diese Frage schnell wieder. Ihr war zwar langweilig, aber trotzdem wollte sie keine Gedanken an Griffiths Kammerdiener verschwenden.
Mit gerunzelter Stirn schaute sie wieder in den Regen hinaus. Vielleicht würde es am Nachmittag aufklaren und sie könnte einige Pächter besuchen. Mary Blythe erwartete in Kürze ein Kind.
In der Post befanden sich darüber hinaus eine Rechnung vom Schneider, eine Einladung zu einem Fest sowie eine Handvoll persönlicher Briefe von Freundinnen, die sie in London kennengelernt hatte. Wenn sie diese Briefe beantwortete, wäre sie den ganzen Vormittag beschäftigt.
Der letzte Brief trug keinen Absender und die Handschrift war ausgesprochen männlich. Sie runzelte verwirrt die Stirn. Der Brief war eindeutig an sie adressiert und nicht an Griffith. Vielleicht von einem Vetter?
Das Siegel war aus glattem Wachs. Sie konnte weder Wappen noch Initialen entdecken. Miranda schob einen Finger darunter, während sie als Antwort auf Georginas Redeschwall nickte und bestätigende Laute von sich gab. Ihre Schwester erzählte wieder einmal von der Saison in London und von ihrem geplanten Debüt in ein paar Monaten. Zu diesem Thema konnte Georgina lange angeregte Monologe führen. Es war also nicht nötig, dass sich Miranda an dem Gespräch beteiligte.
Sie nahm ihre Tasse, um an der heißen Schokolade zu nippen, während sie den Brief auf dem Tisch glatt strich. Ein kurzer Blick auf den Inhalt genügte und sie verschluckte sich und spuckte die heiße süße Flüssigkeit aus. Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Mund und versuchte, wieder Luft zu bekommen und ihre Haltung zurückzuerlangen. Dabei stieß sie jedoch mit der Hand versehentlich auf den Rand ihres Tellers, und die Eier, der Toast und die Marmelade flogen durch die Luft.
Ein lautes Kreischen begleitete Georginas eilige Flucht. Sie sprang von ihrem Stuhl auf, um ihr neues Kleid vor dem Frühstück ihrer Schwester in Sicherheit zu bringen. „So deutlich musstest du nicht gleich werden! Ich werde mir ja etwas anderes anziehen.“
Sie nahm ihre Briefe und verließ mit einem erbosten Murren über viel zu dominante ältere Geschwister den Frühstückssalon.
Miranda schenkte dem Ausbruch ihrer Schwester keine Beachtung. Irgendwann hätte sie Georgina heute sowieso verärgert. Im Moment gab es ein viel größeres Problem, das ihre Aufmerksamkeit erforderte.
Mit beiden Händen hielt sie den Brief hoch und las ihn noch einmal. Fassungslosigkeit, Schock und Entsetzen breiteten sich in ihr aus. Über dem Brief stand keine Anrede, aber es bestand kein Zweifel, dass dieser Brief für sie, und zwar nur für sie, bestimmt war.
Kennen wir uns?
Viele Grüße
Marshington
Unter seinem Namen befand sich ein zweiter Wachstropfen, in den sein Siegel deutlich hineingedrückt war.
Er hatte den Brief bekommen! Der Herzog von Marshington, dessen Aufenthaltsort der Gegenstand zahlloser Gerüchte und Spekulationen war, hielt sich offenbar nicht sehr weit von Riverton entfernt auf. Er hatte ihren Brief in nur einer Woche bekommen und beantwortet.
Sie vergrub das Gesicht in den Händen und zerknüllte das Blatt Papier. Sie konnte die Tinte immer noch riechen. Wie nah war er? Natürlich spielte sein Aufenthaltsort keine Rolle. Selbst wenn er an diesem Frühstückstisch säße, würde das an ihrem Problem nichts ändern. Was sollte sie machen?
Atmen. Einatmen. Ausatmen.
Sie stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und schob sich mit zitternden Beinen hoch.
Tief und langsam atmen. Nicht in Panik geraten. Vor allem nicht in Ohnmacht fallen.
Ein Diener trat ein und blieb abrupt stehen, als er die verstreuten Reste ihres Frühstücks sah. Er verzog verwirrt das Gesicht, bevor er rasch seine Selbstbeherrschung zurückerlangte und wieder seine ausdruckslose Miene aufsetzte. In der Dienstbotenküche gäbe es heute bestimmt ein interessantes Gesprächsthema.
„Es gab ein kleines Missgeschick …“ Miranda beendete ihren Satz nicht. Es gab keine Möglichkeit, sich würdevoll aus dieser Situation herauszuretten. Im gesamten Zimmer war Essen verstreut und es stammte unübersehbar von ihrem Teller.
„Eine Dame gibt den Dienstboten nie einen Anlass zu Klatsch.“
„Ach, was soll’s?“ Sie nahm den Stapel Briefe und floh aus dem Zimmer.
Sie richtete ihren Blick auf den Boden und starrte auf die Spitzen ihrer eleganten Schuhe, die bei jedem ihrer Schritte unter ihrem Saum hervorlugten. Die Treppe hinauf, den Korridor entlang, hastig in ein Gästezimmer flüchten, um einer Zofe aus dem Weg zu gehen, und dann endlich die angenehme, ungestörte Ruhe ihres Zimmers.
Dort angelangt, lehnte sie sich an die Tür und brauchte ein paar Sekunden, bis sie wieder zu Atem gekommen war.
„Ich bilde mir das alles nur ein! Ich habe ihm nie versehentlich einen Brief geschickt. Ich habe nie einen Brief von ihm bekommen.“ Sie schaute auf das zerknüllte Blatt Papier in ihrer Hand und stöhnte. „Warum mache ich mir etwas vor? Mein Leben ist ruiniert!“
Falls der Herzog von Marshington irgendwann beschloss,