Kristi Ann Hunter

Entführung ins Glück


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brachte sie ihre Gefühle schon auf diese Weise zum Ausdruck? Waren die Briefe nur an ihn adressiert?

      Wenn ja, wo waren die anderen? Er stellte fest, dass ihn der Wunsch, mehr über die Frau zu erfahren, die ihre Gefühle auf diese Weise zu Papier brachte, sehr von seiner eigentlichen Aufgabe ablenkte.

      Und gewöhnlich ließ er sich nie ablenken.

      „Geht es Ihnen schon wieder besser?“

      Miranda fuhr zusammen. Sie verzog kurz das Gesicht. Das war das einzige Zeichen, das verriet, wie wenig sie sich freute, ihn zu sehen. „Mir geht es wieder bestens, danke.“

      „Ich habe Seiner Durchlaucht nichts von Ihrem … ähm … Zusammenbruch gesagt.“

      Sie nickte, richtete aber ihren Blick wieder hinaus in den Regen. „Danke.“

      Er sollte gehen. Allein durch seine Anwesenheit in diesem Raum übertrat er bereits die Grenzen der Schicklichkeit. Sie hielt ihn für einen Kammerdiener. Wenn er mehr sagte, wenn er weiterbohrte oder auch nur noch länger im Zimmer bliebe, würde er in ihren Augen seine Grenzen deutlich übertreten.

      „Ich habe das Gefühl, dass ich mich bei Ihnen entschuldigen muss, Mylady.“ Das war gut. Frauen liebten es, wenn man sich entschuldigte.

      Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig. Sie haben nur Ihre Arbeit gemacht.“

      Rylands Augen weiteten sich. Das war unglaublich großzügig von ihr, wenn man bedachte, dass er den Brief ja hatte öffnen müssen, um zu sehen, an wen sie geschrieben hatte. Hatte sie das etwa vergessen?

      „Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihrer letzten Stelle war.“ Sie wandte sich um, und der Ärger stand ihr jetzt deutlich ins Gesicht geschrieben. „Aber hier öffnet man keine persönliche Korrespondenz, selbst wenn es mit den besten Absichten geschieht.“

      Er verbeugte sich. „Ich verstehe, Mylady.“

      Ihre Augen hatten die gleiche Farbe wie die von Griffith. Seltsam, dass dieselbe Augenfarbe im Gesicht einer schönen Frau ganz anders aussah als im Gesicht eines Mannes. Er musste aus diesem Zimmer verschwinden. Schnell.

      „Haben Sie ihn gelesen?“

      Ryland blieb stehen und drehte sich langsam zu ihr um. Zum ersten Mal senkte er den Blick. Er richtete seine Augen auf die Samtschleife an ihrem Ärmel. Samtärmel waren ungefährlich. „Verzeihung, Mylady?“

      „Der Brief. Haben Sie ihn gelesen? Ich weiß, dass Sie ihn aufgemacht haben.“

      „Ich …“ Was sollte er tun? Lügen und das Zimmer verlassen? Oder die Wahrheit sagen und ihr vielleicht helfen, die vielen unbeantworteten Fragen zu klären, die in der Nacht aus ihr herausgesprudelt waren? „Zum Teil, Mylady. Ich bitte Sie vielmals um Vergebung.“

      Sie schwieg eine Weile. Die Stille hielt so lange an, dass er sich zunehmend unwohl fühlte. Wenn sie zu Griffith ging und seine Kündigung verlangte, hätte er ein ernstes Problem.

      „Haben Sie jemandem erzählt, was in dem Brief steht?“

      „Nein!“ Das Wort kam vehementer aus seinem Mund, als er beabsichtigt hatte. Der aristokratische Herzog, den er in den vergangenen zehn Jahren zurückgedrängt hatte, brach in diesem kurzen Moment der Entrüstung aus ihm heraus.

      Miranda nickte nur.

      Sie sah traurig aus.

      Das war gefährlich. Er wusste viel über Miranda. Schon vor seinen Nachforschungen hatte er durch die Geschichten, die Griffith über seine Familie erzählt hatte, einiges über sie erfahren.

      Als er jetzt der Frau gegenüberstand, zu der sich das Mädchen von damals entwickelt hatte, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Er wollte neben ihr auf dem blau-weiß gestreiften Sofa sitzen und mit ihr über die Probleme sprechen, die sie in ihrem Brief beschrieben hatte.

      Aber das konnte er nicht. Nicht als Marlow. Ihm kam eine Idee. Es war verrückt und angesichts seiner Mission sogar gefährlich.

      Aber er konnte sie auf keinen Fall allein lassen, da er sah, dass sie den Tränen nahe war. Er musste etwas tun, um ihren Schmerz zu vertreiben. „Darf ich etwas sagen, Mylady?“

      Sie nickte resigniert.

      „Ich weiß, dass ich nur ein Kammerdiener bin.“ Und ein Herzog, aber das tut im Moment nichts zur Sache. „Ich weiß nicht viel über die Gepflogenheiten der Gesellschaft.“ Das war nicht wirklich gelogen. Wenn sich ein Mann zehn Jahre vor seiner Familie verbarg und geheimen Missionen nachging, verlor er den Kontakt zur Gesellschaft. „Aber ein Mann, der Lady Georginas Gesellschaft der Ihren vorzieht, schaut nur auf das Äußere.“

      Ihre Lippen verzogen sich zu einem trockenen Lächeln und ihre Augen richteten sich auf die abgetretenen Bodendielen.

      Du bist wirklich ein Idiot, Ryland! Du hast dieser Frau soeben gesagt, dass ihre Schwester schöner ist als sie.

      „Damit will ich sagen, dass ein solcher Mann nur ein oberflächliches Gespräch und oberflächliche gesellschaftliche Nettigkeiten sucht.“ Er räusperte sich. Jetzt war es auch schon egal. Jetzt konnte er auch gleich alle Vorsicht in den Wind schlagen, selbst wenn er damit seine Tarnung als Kammerdiener gefährdete. Nach diesem Gespräch wäre er wirklich gezwungen, ihr so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. „Sie sehen mehr als nur passabel aus.“

      Sie hob den Blick und schaute ihn mit großen Augen an. Um ihre Lippen spielte das gleiche trockene Lächeln, das er schon einen Moment zuvor bemerkt hatte. „Sie haben nicht den ganzen Brief gelesen, sagten Sie?“

      Mehrmals sogar. Bis ich einige Teile sogar auswendig konnte, denn ich frage mich, warum diese Geständnisse ausgerechnet an mich gerichtet sind. „Ich habe nur einen kurzen Blick darauf geworfen, Mylady.“

      Sie nickte und drehte sich wieder zum Fenster herum. „Danke für Ihre Worte, Marlow. Vielleicht werde ich eines Tages einen Mann meines Standes kennenlernen, der das auch so sieht.“

      Ryland fragte sich, wie ein Dienstbote auf eine solche Bemerkung reagieren würde. Eigentlich sollte er beleidigt sein, weil sie Marlows Meinung wegen seiner niedrigen Stellung abtat, aber die Wahrheit war doch: Jede andere Reaktion hätte einen Dienstboten in eine sehr schwierige Situation gebracht. Ihre Reaktion entsprach den gesellschaftlichen Gepflogenheiten.

      Er verließ das Zimmer und schalt sich, weil er sie überhaupt angesprochen hatte. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Nur Gottes Gnade hatte ihn davor bewahrt, dass seine Tarnung aufflog. Er hielt kurz inne und nahm sich einen Moment Zeit, um Gott um Weisheit und Schutz zu bitten. Dass er die vergangenen zehn Jahre überlebt hatte und unversehrt geblieben war, grenzte an ein Wunder. Und jetzt brauchte er ein weiteres.

      

      In der darauffolgenden Woche regnete es weiter. An dem einen Tag fielen dicke, große Tropfen träge aus den Wolken, an einem anderen goss es wie aus Kübeln. Selbst wenn es einmal gerade nicht regnete, hingen graue Wolken am Himmel. Oft machte ein feiner Nieselregen einen Spaziergang im Garten zu einem sehr unangenehmen Unterfangen.

      Miranda saß am Frühstückstisch und schaute zu, wie die Regentropfen an der Scheibe hinabliefen. Sie stocherte geistesabwesend in den Rühreiern auf ihrem Teller. Ihre Schultern hingen nach unten, ihr Rücken war gebeugt und sie hatte den Mund zu einem Schmollen verzogen. Obwohl ihre Mutter mehrere Stunden entfernt wohnte, konnte sie den Vortrag über die richtige Körperhaltung einer Dame regelrecht hören. Sie ignorierte diese Ermahnung. Sie hatte den Regen so satt.

      Mit einem Seufzer schob sie ihren Teller beiseite und lehnte sich an die kunstvoll verzierte Rückenlehne. Solange es nicht aufhörte zu regnen, war sie ans Haus gefesselt. Sie schrieb Briefe und vertrieb sich die Zeit mit Sticken und Klavierspielen. Sie musste diese Monotonie irgendwie durchbrechen. Ihre Geschwister boten auch keine Abwechslung. Das Aufregendste, was sie in dieser Woche getan hatte, war es, Griffiths neuem Kammerdiener aus dem Weg zu gehen. Was überhaupt nicht schwer gewesen war, doch das überraschte sie nicht.

      Griffith hatte viel Arbeit für den Mann. Der Regen änderte nichts an den