er den Kammerdiener hinter verschlossenen Türen für ein paar Minuten ablegte.
„Also gut, Griff.“ Es war ein gutes Gefühl, wieder in seine eigene Haut zu schlüpfen, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Ein gefährlich gutes Gefühl. „Es gibt auf deinem Landsitz jemanden, der Geheimnisse sammelt und sie den Franzosen zukommen lässt. Es steckt noch viel mehr dahinter, aber je weniger du weißt, desto besser ist es. Ich will nicht, dass du dich irgendjemandem gegenüber misstrauisch benimmst und er etwas von meiner Anwesenheit ahnt.“
„Auf meinem Land gibt es Spione?“
Ryland nickte.
„Und du hast vor, sie zu finden?“
Obwohl ihm die Richtung, die das Gespräch einschlug, nicht gefiel, nickte Ryland wieder.
Griffith lehnte sich an den Türrahmen und versperrte ihm den Weg aus dem Ankleidezimmer. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du in den vergangenen neun Jahren als Spion für das Kriegsministerium gearbeitet hast.“ Er schüttelte den Kopf. „Du bist wahrscheinlich ein richtig guter Spion. Dir entging schon früher nichts.“
Ryland winkte ab. „Über meine Vergangenheit können wir sprechen, wenn ich diese Mission erfolgreich beendet habe. Im Moment kann ich nur sagen, dass mir das Kriegsministerium eine Gelegenheit eröffnete, als ich dringend eine brauchte. Aber jetzt bin ich bereit, nach Hause zu kommen. Ich wollte diesen Auftrag eigentlich gar nicht übernehmen, aber dann haben wir herausgefunden, dass jemand von hier involviert ist. Das bringt uns wieder zu deiner ursprünglichen Frage zurück.“
„Du planst, einen Spion zu finden, indem du meine Kleidung bügelst und mein Kinn rasierst? Ich weiß immer noch nicht, ob ich mich dabei wohlfühle. Bist du sicher, dass du weißt, was du tust?“ Griffith strich mit der Hand über seinen Hals, als wolle er sich vergewissern, dass er auch wirklich unversehrt war, nachdem ihn Ryland am Morgen rasiert hatte.
„Wenn ich nicht fest davon überzeugt wäre, hätte ich dich nicht gebeten, mich als Kammerdiener einzustellen.“ Ryland zog eine Braue hoch. Er hatte bis vor zwei Tagen noch nie einen anderen Mann rasiert, aber sein Einfallsreichtum hatte ihm schon in schlimmeren Situationen weitergeholfen. „Gibt es noch etwas, was du wissen willst, bevor ich wieder in die Rolle von Marlow schlüpfe?“
„Was wollte meine Schwester?“
„Sie scheint einen Brief zu vermissen.“ Ryland wandte sich wieder der schmutzigen Kleidung zu, da er befürchtete, dass sein Freund mehr aus seiner Miene ablesen könnte, als ihm lieb war. Wusste Griffith, was in diesen blauen Briefen stand?
„Ein blauer Brief? Ich habe keine Ahnung, was sie ständig auf dieses Papier schreibt, aber sie lässt niemanden diese Briefe lesen.“
Ryland erstarrte, vermied es aber nach wie vor, Griffith anzusehen. „Du weißt nicht, was sie darauf schreibt?“
„Nein. Ich gebe zu, dass ich ein wenig neugierig bin, aber sie war nie bereit, mich in ihr Geheimnis einzuweihen.“ Griffith beugte sich zum Spiegel vor und begutachtete Rylands Krawattenknoten.
Ryland nutzte diese Gelegenheit, um die schmutzige Kleidung aus dem Zimmer zu bringen. Je früher er dieses Gespräch beendete, umso besser.
„Ryland“, sagte Griffith mit leiser Stimme. „Wie kommt sie auf die Idee, dass du wüsstest, wo ihr Brief ist?“
Er beschloss, dass er sich am besten verteidigen konnte, wenn er wieder in die Rolle des Kammerdieners schlüpfte, und drehte sich mit einer Verbeugung um. „Verzeiht, Durch–“
„Jetzt reicht es aber!“ Griffith zog Ryland mit einer Hand ins Ankleidezimmer zurück und knallte mit der anderen die Tür hinter sich zu.
Ryland zwang sich, langsam durch die Nase zu atmen, während er Griffiths durchbohrenden Blick erwiderte.
Griffith bohrte den Finger in Rylands Schulter. „Ab sofort gilt eine neue Regel: In diesen Räumlichkeiten bist du nicht Marlow. Mir ist bewusst, dass es überall sonst im Haus neugierige Augen und Ohren geben könnte, aber hier drinnen sind wir allein. Nur du und ich, so unangenehm dir das auch sein mag.“
Mehrere Sekunden vergingen, in denen sich Ryland und Griffith unerbittlich anschauten und die Entschlossenheit des anderen abwogen. Griffiths Blick war wie ein grüner Stein, durch die Jahre der Verantwortung und Reife abgehärtet. Der alte Freund aus ihrer gemeinsamen Schulzeit war erwachsen geworden.
„Also gut“, resignierte Ryland. Schließlich wollte er bleiben.
Griffith nickte, wirkte aber ein wenig überrascht, dass es so leicht gewesen war, Ryland zum Einknicken zu bewegen. Was Griffith nicht wusste und was er nicht einmal ansatzweise verstehen konnte: Ryland hatte fast vergessen, er selbst zu sein. Das war einer der Gründe, warum er das Leben eines Agenten hinter sich lassen wollte.
Griffith lehnte sich an den Waschtisch und schaute Ryland mit seinen ernsten grünen Augen durchbohrend an. „Also, warum glaubt Miranda, dass du dieses Blatt Papier hättest? Hast du etwa auch meine Familie in Verdacht?“
Ryland sank auf den Stuhl, auf dem er normalerweise Griffiths Kleidung bereitlegte. Er streckte die Beine aus und schlug die Füße an den Knöcheln übereinander. Das erweckte hoffentlich den Anschein von Lässigkeit. Vielleicht genügte das, um Griffith glauben zu lassen, dass er innerlich ganz ruhig war. „Ich habe zunächst einmal jeden in Verdacht, Griff, auch dich. Aber ich bin mit deiner Familie schon fertig. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass die Verräter unter den Dienstboten zu finden sind.“
„Und der Brief?“
„Sie hat ihn gestern Nacht in der Bibliothek geschrieben.“
Griffith kniff die Augen zusammen. „Du hast gestern Nacht in der Bibliothek Stiefel poliert.“
„Ja …“
Griffith rieb mit dem Finger über seinen Daumen, eine alte Angewohnheit, die Ryland sofort wiedererkannte. Sein Freund war aufgeregt. Es würde nicht lange dauern, bis er seine nervöse Energie nicht mehr nur auf seine Finger beschränkte. Ryland lehnte sich zurück, um diesen Auftritt zu genießen. Es war auf sonderbare Weise unterhaltsam zuzuschauen, wie dieser große Mann in dem kleinen Ankleideraum auf und ab ging. Er kam nur drei Schritte weit, bevor er sich umdrehen und in die andere Richtung gehen musste.
„Ihr wart zusammen in der Bibliothek? Allein? Nachts? Das gefällt mir nicht, Marsh. Als ich in diese Sache eingewilligt habe, habe ich nicht an meine Schwestern gedacht.“
Mit einem tiefen Seufzen rieb sich Ryland die Nasenwurzel. Er sollte die Sache klären, ohne dass Griffith ihm alles aus der Nase ziehen musste. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass es oft besser war, den Mund zu halten, aber Griffith war für ihn wie ein Bruder und hatte etwas Besseres verdient.
„Griff, für die anderen bin ich bloß ein Dienstbote. Sie konnte nicht schlafen und kam nach unten. Ich habe ihr Tee gekocht. Als ich aus der Küche zurückkam, schrieb sie den Brief. Sie hat ihren Tee getrunken und ist wieder zu Bett gegangen. Wenn es irgendein anderer Dienstbote gewesen wäre, würdest du dir doch auch nichts dabei denken.“
Griffith seufzte. „Das stimmt.“
Ryland erhob sich und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. „Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest. Ich muss wieder in meine Rolle als Kammerdiener schlüpfen.“
Er hob die schmutzige Kleidung auf und verließ das Zimmer, bevor Griffith ihm noch mehr Fragen stellen konnte. Der blaue Brief brannte auf dem Weg durch den Korridor fast ein Loch in seine Jackentasche.
Es juckte ihm in den Fingern, mehr zu erfahren. Neugier war die größte Gabe und gleichzeitig die tödlichste Schwäche eines Spions. Er konnte diesen Brief nicht ignorieren. Er musste mehr erfahren. Die Frage war nur, wie er das anstellen wollte.
6
Er fand sie im oberen Salon, wo sie am Fenster stand und zusah, wie dicke Regentropfen an der Scheibe hinabrollten.
Den ganzen Nachmittag hatte Ryland sich davon abzuhalten versucht, sie zu suchen.