zusammengekniffen. Ich kontrolliere den Gesichtsausdruck mit der Selfie-Funktion meines Handys. Naja. Ein Anfang.
Manon bringt den Ball ins Spiel. Sylvie nimmt an, befördert ihn direkt ins gegnerische Feld. Oh man, wie blöd. Die Chance nutzt jetzt der Blonde, springt hoch, fängt den Ball in der Luft ab und schmettert ihn zurück auf Sylvie. Kreischend reißt sie die Arme hoch, lenkt den Ball ins ... aua, verdammt ... doch nicht auf mich! Verflixt, meine Nase. Meine Nase!
Rot läuft mir das Blut zwischen den Fingern hindurch und tropft in den Sand.
»Désolé.« Sylvie schlägt sich die Hand vor den Mund und fällt vor mir in den Sand. »Oh Caro, das tut mir so leid!« Hinter ihr taucht der Dunkelhaarige auf, dann sehe ich einen blonden Kopf und Manons rundes Gesicht.
»Das wollte ich nicht, mon amie«, jammert sie und umarmt mich hektisch.
Das Blut tropft auf meine nackten Oberschenkel.
»Ich brauche ein Taschentuch«, murmle ich. Mit dem Handrücken wische ich die rotbraunen Flecke über meine helle Haut. Die Frau auf dem Strandlaken neben uns reicht mir ein Stück Küchenpapier. Blitzartig färben es die Blutstropfen dunkelrot. Besser die Augen schließen.
»Warte, ich hole dir ein Kühlpack«, höre ich eine dunkle Jungenstimme und sehe den Kerl mit der Hundefrisur aus dem Augenwinkel im Slalom um die Strandbesucher herumrennen. Ich brauche sowas nicht, will ich ihm hinterherrufen, aber Sylvie drückt meinen Kopf wieder hinunter, bevor ich überhaupt zu Wort komme. »Unten lassen!«
Ich gehorche, während Sylvie unaufhörlich auf mich einredet und mir über den Kopf streichelt. Ich ziehe ihn weg, bin doch kein kleines Kind mehr. Kann ich jetzt wieder hochgucken? Als ich es versuche, drückt Sylvie mich wieder hinunter. Mit geschlossenen Augen zähle ich bis zwanzig.
»Hier, das wird dir helfen.« Im selben Moment spüre ich ein Kühlpack im Nacken. In der neonorangefarbenen Badehose stecken zwei braune Beine mit kräftigen Waden.
»Danke.« Schnell die Augen schließen. Hundefrisur und braune Beine - dieses Bild wird mich für immer verfolgen.
»Kannst es nachher im Strandclub abgeben«, sagt er.
Ich nicke und blinzle Sylvie von der Seite an. »Du kannst echt immer noch nicht Volleyball spielen.«
»Nicht so viel reden, Süße. Warte lieber, bis die Blutung aufgehört hat.«
Vorsichtig hebe ich den Kopf. Das Kühlpack rutscht mir den Rücken hinunter. »Und? Schlimm?«
Sylvie reißt die Augen auf, schürzt die Lippen, schüttelt dann aber den Kopf. »Könnte schlimmer aussehen.«
»Braucht ihr hier noch Hilfe?«, fragt die dunkle Jungenstimme, die zu den braunen Beinen in den orangefarbenen Shorts gehört.
»Nein. Geht schon mal weiterspielen. Wir kommen gleich nach«, antwortet Sylvie.
Die beiden Typen ziehen ab. Irre ich mich, oder hat sich der Dunkelhaarige gerade umgedreht und mir mitfühlend zugelächelt? Quatsch! Unter dem Schlag hat wahrscheinlich auch mein Urteilsvermögen gelitten.
»Die Nase ist jedenfalls gerade«, bemerkt Manon trocken.
»Vielen Dank für diese aufmunternden Worte.« Ich halte meine Hand auf. »Hast du noch ein Tuch?«
Sylvie legt das heruntergefallene Kühlpack zurück in meinen Nacken und schüttelt den Kopf. »Warum sitzt du hier eigentlich still und heimlich, statt zu uns rüberzukommen?« Dabei heben sich ihre geschwungenen Augenbrauen vorwurfsvoll.
Sie ist wirklich genau wie Merle! Ich muss schmunzeln. »Ich habe eure Volleyball-Künste beobachtet. Aber da ist noch viel Luft nach oben.«
Sie nimmt mich in den Arm. »Geht es denn? Hoffentlich wird das nicht blau. Wäre echt blöd ...« Ihr Blick wandert zu den beiden neonorangefarbenen Badehosen-Typen, die wieder auf dem Spielfeld stehen und sich den Ball gegenseitig zuspielen.
»Warum?«
Sie lacht auf. »Ach klar, ich habe ja ganz vergessen, dass du dich nur für dein Surfbrett interessierst. Ich würde mich mit einer blauen Nase nicht unter die Leute trauen.«
Manon, die bisher nur still neben mir gesessen hat, stupst mich an und zeigt auf ihre Zwillingsschwester. »Sie geht sogar geschminkt ins Bett, damit sich der Kerl in ihrem Traum nicht erschreckt.«
Manon hält mir eine Faust entgegen, die ich grinsend abchecke. »Geht aber wieder. Wird schon nicht so schlimm aussehen. Außerdem brauchst du dann keine Angst vor Konkurrenz zu haben.« Ich nicke in Richtung der beiden Badehosen-Jungs.
Sylvie drückt mich. »Dann verzeihst du mir?«
»Natürlich. Aber ich muss mir das Blut aus dem Gesicht waschen. Kommst du kontrollieren, ob hinterher alles weg ist?«
Sylvie zieht mich hoch und tänzelt voraus.
Die Sprungtürme stehen bis zur Hälfte im Wasser. Die Flut rollt mit kräftigen Wellen an und Kids mit Luftmatratzen und Body-Boards* lassen sich von ihnen ans Ufer tragen. Eigentlich die perfekte Zeit zum Surfen. Am unteren, unbewachten Strandabschnitt biegen sich zwei Fahnen im Wind, die den Surfschülern anzeigen, in welchem Bereich sie sich im Wasser aufhalten dürfen. Von hier aus kann ich nicht erkennen, ob Chris unter dem Strohhut steckt oder einer der anderen Surflehrer der Schule.
Ich tauche die Hände ins Wasser, schaufle es mir ins Gesicht und wische die rote klebrige Masse aus Mund und Nase. Blutgeschmack ist widerlich und ich unterdrücke den Würgereiz. »Wie sieht es aus?«
Sylvie hebt einen Daumen. »Mit ein bisschen Make-up sieht man bestimmt nichts. Hast du Lust eine Runde mitzuspielen?«
Kopfschüttelnd trockne ich die nassen Hände an den Shorts ab. »Ich wollte gleich mal rüber zur Surfschule, vielleicht ist mein Onkel da und hat Zeit für 'ne Runde. Nimmst du in diesem Jahr auch Stunden?«
Sylvie deutet auf die Jungs in den neonorangefarbenen Badehosen. »Vielleicht bekomme ich ja Privatunterricht von den beiden Hübschen da drüben.«
Ich schaue hinüber. Dieses Mal irre ich mich nicht: Der dunkelhaarige Badehosen-Typ hat mir tatsächlich zugelächelt.
5. Kapitel
Eine breite Betontreppe führt hinab ans Wasser. Mittlerweile hat die Flut die Hälfte des Strandes verschluckt. Ich setze mich auf die Steine an der Kaimauer, male mit meinen neonorangefarbenen Zehen Herzchen in den feuchten Sand. In wenigen Stunden wird auch dieser Teil von den Wassermassen überspült sein und die Herzen mitnehmen. Der Wind trägt die Worte »dernière vague« bis zu meinem Sitzplatz und kündigt den Surfschülern die letzte Welle an. Chris steht bis zur Hüfte in den Fluten und ich muss schmunzeln. Den Strohhut, den er trägt, habe ich ihm vor zwei Jahren geschenkt, nachdem seiner bei einer Kajaktour vom Wind aufs offene Meer gepustet wurde. Ich winke ihm und er schickt mir eine Kusshand zurück. Ihm gehört die Surfschule hier am Strand. Kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag hat er das Abi abgebrochen und Deutschland den Rücken gekehrt. Bei einem Kumpel hier in Perros hat er Obdach gefunden und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, bevor er später dann mit seinem Freund Bruno eine eigene Surfschule und eine kleine Pension eröffnet hat. Maman nennt ihn einen Aussteiger, einen Träumer, der den Blick für die Realität verloren hat. Aber wie es scheint, macht es ihn glücklich, hier am Ende der Welt anderen Leuten das Surfen beizubringen. Mittlerweile beschäftigen Bruno und er in den Sommermonaten drei andere Surflehrer und sind ständig ausgebucht. Maman motzt nach wie vor über ihn, obwohl sie diejenige gewesen ist, die meinen ersten Surfstunden zugestimmt hat. Wahrscheinlich ist sie sich selbst nicht sicher, ob sie sauer oder stolz auf ihren kleinen Bruder sein soll. Vielleicht sollte sie ihm das einfach mal sagen, statt über Jahre hinweg wie ein kleines Kind zu schmollen.
Chris kommt winkend auf mich zugelaufen, schiebt den Strohhut aus dem braungebrannten Gesicht. »Salut, Caro, ich umarme dich besser nicht, sonst bist du gleich klitschnass. Seit wann seid ihr hier?«
»Heute Mittag.«
Er deutet auf