es tatsächlich. Schnell wende ich den Blick ab, übergehe das leise Ziehen in meiner Brust.
Sylvie lässt sich neben mir auf die Decke fallen und streckt die langen Beine im Sand aus. »Der Typ ist der totale Reinfall«, mault sie und verdreht dabei die Augen. »Hätte ich gewusst, dass der so eine Spaßbremse ist, hätte ich mich gestern schon an seinen Freund rangeschmissen.« Theatralisch wirft sie den Kopf in den Nacken und schiebt eine blonde Locke über die Schulter. »Hugo ist zwar nicht besonders hübsch mit seinen Hasenzähnen und der großen Nase, aber wenigstens lustiger als sein seltsamer Freund.«
»Was hat er denn gemacht?« Es hilft nichts, ich muss noch mal gucken. Die Kappe sitzt mittlerweile wieder auf dem Kopf. Er steht am Rand des Spielfelds, die Arme in die schmalen Hüften gestemmt. Ich erwische mich, wie ich ihm auf den Hintern starre und wende schnell den Blick ab. Aber diese Badehosenfarbe lädt praktisch dazu ein.
Sylvie zieht eine Schnute. »Wir haben uns alle gestern Abend auf dem Campingplatz zur Disco im großen Zelt verabredet. Hugo, Manon, Adrien, Sebastian … kennst du den noch aus dem letzten Jahr? Ähm, wer war noch dabei … ach, egal. Und jetzt rate, wer nicht gekommen ist.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Na, er! Manon hat natürlich den ganzen Abend mit Hugo abgehangen und ich saß allein am Rand, weil Sebastian eine Freundin mitgebracht hatte, mit der er die ganze Zeit rumgeknutscht hat. Mal ehrlich, macht man das?«
Mitfühlend lege ich eine Hand auf ihren Arm. »Auf gar keinen Fall, so ein Arsch! Der hat dich gar nicht verdient. Aber schau dich um, hier laufen genug hübsche Typen rum, die dich niemals versetzen würden, wenn sie Augen im Kopf haben.« Schnell werfe ich einen Blick Richtung Ferienclub. Die blauen Leibchen spielen gegen eine rote Mannschaft.
Sylvie legt ihren Kopf an meine Schulter und seufzt. »Du bist süß. Aber der Typ sieht so heiß aus und ich will nicht glauben, dass er ein Arsch ist. Was hast du gleich noch vor?«
»Ich warte, bis Nico mit Fußballspielen fertig ist und danach fängt meine Surfstunde an. Tut mir leid.« Außerdem will ich nicht länger als nötig hier herumsitzen, weil mich der Badehosen-Typ extrem ablenkt und ich unter diesen Voraussetzungen nicht ausgiebig genug an Flori denken kann.
8. Kapitel
Eine halbe Stunde vor meiner mit Chris verabredeten Zeit laufe ich mit dem Brett unterm Arm ins Wasser. Der Neoprenanzug saugt sich voll, klebt wie eine zweite Haut an meinem Körper. Nur auf die eisige Luftblase im Rücken könnte ich verzichten.
Es ist so ein beruhigendes Gefühl, auf dem Brett übers Wasser zu gleiten, der warme Sommerwind in den nassen Haaren, die Gischt, die an den Füßen kitzelt. Ich presse das Board dicht an meinen Körper, stoße mich im Wasser ab und tauche unter den Wellen hindurch.
Fürs Training bin ich zu früh dran, aber ich konnte nicht länger abwarten. Chris steht bis zum Bauchnabel im Meer und zeigt einer Gruppe Surfschülern geduldig, wie der Take-Off*, das freie Stehen auf dem Brett, bewerkstelligt werden kann. So wie mir einst. Mit drei Jahren habe ich schwimmen gelernt, mit fünf zum ersten Mal allein auf einem Surfbrett gestanden. Chris hat mich mitgenommen, in einen Neoprenanzug gequetscht und aufs Brett gestellt. Er sagt, ich sei ein Naturtalent. Trotz aller Bedenken hat Maman mich immer mit Chris trainieren lassen.
Ich winke ihm zu, bevor mich die Welle erfasst und unter Wasser drückt. Das Salz brennt in den Augen. Chris wirft den Kopf in den Nacken und lacht. Der lacht mich doch nicht etwa aus? Na warte! Ich paddle zurück. Die nächste Welle rollt von hinten an, scheint gut zu werden, nahezu perfekt. Einen Moment liege ich flach auf dem Board, lasse mich von der Wassermacht tragen, bekomme Schwung, bevor ich mich aufrichte und die Welle für ein Manöver nutze. Zwei Drehungen später werde ich vom Brett gerissen und ans Ufer gespült.
Chris steht mit verschränkten Armen am Ufer. »Für deinen ersten Versuch auf dem Shortboard gar nicht schlecht. Hast einen guten Lehrer, was?«
»Den besten würde ich sagen.«
Er knufft mich in den Arm. »Sobald du zum Snap* ansetzt, musst du dein Gewicht auf das hintere Bein verlagern, dann schaffst du eine radikalere Drehung.«
Ich nicke. Ja, genau das habe ich versucht!
»Sag mal, kannst du ... also, ich wollte gern für ... meine Freundin ein Bild von mir beim Surfen machen.« Hoffentlich merkt er mir die Lüge nicht an.
»Ich habe eine bessere Idee.« Chris zeigt grinsend Richtung Strand. »Siehst du dort hinten den Jungen mit der Kamera?«
Das ist jetzt nicht sein Ernst? Mit der Hand schirme ich meine Augen vor der Sonne ab. »Wo? Wen meinst du?«
»Da drüben, an den Wellenbrechern. Orangefarbene Badehose.«
Noch so einer. Meine Protestfarbe ist die Trendfarbe des Sommers? Ich kneife die Augen zusammen, sehe ihn auf den Steinen sitzen. Ich schiele auf meine neonorangefarbenen Fußnägel. »Du meinst, DER soll ein Foto von mir beim Surfen machen? Auf keinen Fall!«
»Warum nicht? Dann hätte ich von meiner Vorzeigeschülerin«, er knufft mir in den Arm, »gleich ein paar perfekte Werbebilder für die Homepage. Sieht doch blöd aus, wenn immer nur die Anfänger auf den Bildern zu sehen sind.« Chris zwinkert mir zu.
»Mir reicht ein Handybild für ... sonst kann ich es nicht verschicken und ... ich hab‘s versprochen.«
»Mit ner Handykamera kannst du das gar nicht einfangen.«
»Ich habe eine supertolle Kamera an meinem Handy. Die fängt alles ein.«
»Jetzt mach dich mal locker, Chérie.« Chris steckt zwei Finger in den Mund und pfeift. »Adrien macht Bilder und Videos für meine Homepage. Der hat es voll drauf, glaub mir.« Er winkt den Jungen heran. »Komm mal eben rüber!«
Das wird ja immer schlimmer. »Aber ich kenne ihn nicht ... und dann bin ich immer etwas ...« Blockiert? Schockiert? Völlig von der Rolle? Am liebsten würde ich mich verkriechen. Er kann doch nicht irgendjemanden damit beauftragen, mich beim Surfen zu fotografieren. Das sollte Chris machen. Ohne Fragen. Ohne Hintergedanken und einfach nur mit meiner Handykamera. Wenn jetzt dieser jemand ein Foto macht, wie bekomme ich das aufs Handy, um es an Flori zu schicken? »Hör mal Chris: So kompliziert wollte ich das nicht. Ich will einfach ein Bild, schnell mit dem Handy aufgenommen, damit ich es verschicken kann.«
»Ach Quatsch!« Er wiegelt ab, begrüßt den Jungen mit Handschlag. »Salut, Adrien, das ist meine Nichte Caro.«
Oh nein, das ist ja wieder dieser Typ! Derselbe, der mir gestern das Kühlpack gebracht und Nico heute Nachmittag beim Strandfußball betreut hat. Wie peinlich! Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er nicht viel älter, aber fast zwei Köpfe größer ist als ich, mit schwarzen wilden Locken, die ihm vom Kopf abstehen. Dazu trägt er diese neonfarbene Badehose, darüber ein graues Shirt mit dem Shaka-Handgruß. Ich versuche, meine Füße im Sand einzugraben. Hoffentlich achtet er nicht auf meine orangefarbenen Fußnägel.
Der Junge betrachtet mich, zeigt auf seine Nase. »Ach, du bist das. Wie geht es dir? Sieht ganz schön übel aus.«
»Ihr kennt euch?« Chris schielt von ihm zu mir.
»Unfreiwillig. Der Volleyball kam aus seinem Spielfeld.« Ich zeige auf meine Nase.
»Sachen gibt’s. Sag mal, kannst du ein paar Bilder von ihr beim Surfen machen?«
Adrien tippt auf die Kamera und nickt. »Kein Problem. Ich habe das große Objektiv dabei.«
Hallo? Fragt mich mal jemand, ob ich das überhaupt will! Vor allem mit einer blau geschwollenen Nase! Mit großem Objektiv sieht man doch alles!
»Das ist mir jetzt echt zu blöd!«, schnauze ich meinen Onkel auf Deutsch an und stampfe Richtung Meer. Dann eben kein Bild. Besser keins, als eins mit blauer Nase, und dann auch noch von einem Kerl fotografiert, der maßgeblich an meiner Nase beteiligt war. Dem ich dazu völlig ungeniert auf den Hintern gestarrt habe! Daran sind allein diese Badeshorts schuld. Warum müssen sie die gleiche Farbe wie meine Fußnägel haben? Und überhaupt, wie soll