Sandra-Maria Erdmann

Let's Surf


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»Wir wollen gleich zum Leuchtturm rüberlaufen. Kommst du mit, Caro?«

      Ich schüttle den Kopf. »Da waren wir gefühlt tausendmal. Ich kenne den wirklich in- und auswendig.«

      »Macht doch nichts«, sagt Papa. »So ein kleiner Familienspaziergang tut uns allen gut.«

      Mein Stuhl schrappt über den Fliesenboden, als ich aufstehe. »Nein danke. Ohne mich. Ich würde gerne nachher zum Strand gehen, mein Geburtstagsgeschenk ausprobieren.« Ich schiele zu Papa, der ein Stück Baguette abreißt. »Darf ich aufstehen?«

      Maman will protestieren, aber Papa nickt.

      »Danke.«

      Drei Treppenstufen auf einmal nehmend renne ich ins Zimmer und werfe die Tür hinter mir zu. Die Nachricht. Ob sie von Flori ist? Kurz schließe ich die Augen und schicke ein Stoßgebet in den Himmel. Lass sie von Flori sein. Bitte. Bitte. Irgendwann muss er sich doch melden.

      Tief durchatmen. Mein Herz klopft wie wild, als ich den Messenger öffne. Aber es ist nur Merle.

      Merle: Guten Morgen, du Trauerweide. Deine Nase sieht krass schlimm aus. Hat sich eigentlich der Prinz schon gemeldet?

      Danke. Ich weiß selbst, dass meine Nase mittlerweile in den herrlichsten Blautönen leuchtet. Mit hängenden Schultern lege ich das Handy zur Seite. Und Merles Frage will ich nicht schon wieder mit NEIN beantworten. Also ignoriere ich sie. Vielleicht ist Flori noch nicht wach. Oder er hat sein Handy im Klo versenkt und kann meine Nachricht darum nicht abrufen. Ist doch möglich. Das hat Merle auch schon geschafft. Jetzt habe ich noch weniger Lust, irgendetwas zu unternehmen. Vom Leuchtturm mal ganz abgesehen.

      Ich werfe mich aufs Bett. Hier bleibe ich liegen, bis Flori sich bei mir meldet. Ich werde mich nicht bewegen, werde nicht aufstehen, nicht essen, nicht aufs Klo gehen. Als das Handy erneut vibriert, sitze ich sofort auf.

      Chris: Hey, Wasserflo! Heute ab 18 Uhr habe ich keine Schüler mehr. Willst du dein neues Board ausprobieren? Treffen uns am unteren Strandabschnitt.

      Wenigstens du meldest dich. Missmutig rolle ich mich in meine Decke ein. Wo war ich? Ach ja, ich wollte mich nicht mehr …

      »Caro?«

      »Was?«, knurre ich ins Kissen.

      »Maman und Papa gehen jetzt allein zum Leuchtturm und du sollst mit mir zum Strand, haben sie gesagt.«

      Bitte? Och nö! Nirgends kann man hier in Ruhe Trübsal blasen! Ich quäle mich aus dem Bett und trotte hinter Nico die Treppen hinunter.

      Im Gegensatz zum Morgen wuseln die Menschen jetzt die Standpromenade entlang. Sie tragen Sonnenschirme und Taschen, einige schleppen Schlauchboote. Das Meer umspielt die weißen Sprungtürme mit sanften Wellen und im Wasser tummeln sich Kinder in Neoprenanzügen. Die Sonne brennt heiß auf meinen Kopf, aber der Wind sorgt für Abkühlung. Ich folge Nico bis zum Strandclub. Zwei Kinder in gelben Ferien-Betreuungsshirts zwängen sich an uns vorbei und hüpfen die Treppe zum Strand hinab.

      »Hi, Caro.« Die Stimme gehört Jérôme. Er leitet den Strandclub in den Sommerferien. »Cool, dass ihr da seid. Nico, hast du Lust mitzumachen?« Jérôme reicht ihm ein hellblaues Leibchen. »Gleich startet ein Fußballturnier. Geh rüber zu Adrien, das ist der Junge dort in der orangefarbenen Badehose. Der teilt dich ins Team ein.«

      Mein Blick folgt Jérômes ausgestrecktem Arm. Unauffällig beobachte ich den großen Kerl in dieser krass-grellen Badehosenfarbe. Mit einer Kinderschaufel markiert er im Sand die Maße des Fußballfeldes. Ist es der Typ von gestern? Die Farbe der Hose stimmt, die Haare hat er unter einer Kappe versteckt. Ich betrachte meine Fußnägel und muss grinsen. Neonorange scheint die Farbe des Sommers zu sein. Und blau, wenn ich an meine Nase denke. »Bevor du mich fragst ...«, sage ich zu Jérôme, klopfe auf die Strandtasche und nicke Richtung Ferienclub, »ich glaube, dafür bin ich langsam zu alt.«

      »Kein Problem, das verstehe ich.«

      Jérôme folgt Nico zu den anderen Kindern und ich breite mein Handtuch ganz in der Nähe der Wellenbrecher aus. Kaum eine Stunde später vibriert das Handy neben meinem Kopf. Ich muss eingeschlafen sein, denn das leise Brummen lässt mich aufschrecken.

      Flori!

      Ich setze mich sofort auf. Er hat zurückgeschrieben. Mein Herz klopft lauter, als der Wind in den Ohren rauscht.

      Flori: Mega, dass du dich trotzdem meldest. Cooles Teil. Wäre schön, dich darauf in Action zu sehen… 1F603_breitgrinsend

      Ahhh. Am liebsten möchte ich laut schreien. Heiß schießt mir die Röte ins Gesicht. Flori. Wie süß. Er hat zurückgeschrieben. Er ist nicht sauer oder sowas. Und er möchte was? Ich lese seine Nachricht noch einmal. Und noch einmal. Er will mich surfen sehen?

      Merle. Das muss ich ihr sofort zurückschreiben.

      Ich: Du glaubst nicht, was passiert ist? 2764_Herz

      Merle: Sag bloß, er hat sich endlich gemeldet? 1F603_breitgrinsend

      Ich: Er will mich surfen sehen. 1F30A_Surfen2764_Herz

      Merle: Dann los! Rauf auf das Ding und lass dich dabei fotografieren.

      Genau. Rauf auf das Ding. Aber wer fotografiert mich? Ich könnte Chris fragen. Der macht das bestimmt. Oh mein Gott! Er hat sich gemeldet.

      Ich: Merle, was soll ich ihm zurückschreiben????

      Merle: KP. Vielleicht, dass du noch auf die perfekte Welle wartest???

      Ich: 1F44D_Daumenhoch

      Das perfekte Bild auf der perfekten Welle für den perfektesten Jungen, den ich kenne. Vor Aufregung kann ich nicht länger liegen bleiben. Ich laufe ins Wasser, halte kurz inne. Es ist verdammt kalt im Ärmelkanal. Höchstens achtzehn Grad im Sommer. Von den Wintertemperaturen rede ich gar nicht erst. Aber das Wasser kühlt meine heißen Wangen auf Normaltemperatur herunter und ordnet die Synapsen in meinem Hirn. Ich schwimme bis zu den letzten Bojien, die den bewachten Badebereich eingrenzen. Es tut so gut, nach monatelangem Chlorwasser-Training endlich im Meerwasser zu schwimmen. Der leichte Geruch nach Algen, das Salz auf den Lippen und die kühle Brise würde ich am liebsten nie wieder gegen das stinkige Schwimmbadwasser eintauschen. Aber wie sollte ich sonst in der meerwasserfeien Zone trainieren?

      Nach dem Bad lese ich Floris Nachricht zum zehnten Mal. Ruhe bewahren! Nur nicht durchdrehen! Flori hat zwar geschrieben, aber ich muss ja nicht sofort reagieren. Das macht man so, wenn man total in jemanden verliebt ist und nicht aufdringlich erscheinen will. Oder Angst davor hat, verarscht zu werden. Also ablenken. Aber wie?

      Die Wellen-App verspricht eine glatte, saubere Flut mit Halbmeter Dünung*. Leider erst ab achtzehn Uhr. Dann beginnt mein Training mit Chris. Aber was mache ich bis dahin? Vielleicht doch durchdrehen?

      »Huhu«, dringt Sylvies Stimme an mein Ohr. Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände, dreht es in die Sonne. »Wie geht es deiner Nase? Oh Süße, das tut mir so leid wegen gestern. Warum hast du auch da so blöd rumgesessen? Du hättest mitspielen sollen, dann wäre das nicht passiert.«

      Ich entziehe ihr mein Gesicht. »Geht schon. Ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Tut auch gar nicht weh.« Gut, das ist gelogen, aber ich will ihr kein schlechtes Gewissen einreden.

      »Mit ein bisschen Make-up könntest du den dicken blauen Fleck verstecken.«

      »Nicht nötig. Was ist mit deinen privaten Surfstunden?« Unauffällig schiele ich Richtung Strandclub. Der Badehosen-Typ trägt