war. Das hatte sie allerdings nicht so beachtet, weil ihr Vergleiche fehlten. Es hatte ihr geschmeichelt, ein so intelligentes Kind zu haben, und ihr war ja auch alles spielend zugefallen. Nur Hausfrau und Mutter zu sein, hatte ihr nicht genügt. Jetzt aber genoß sie es, sich nur ihrem Sohn widmen zu können.
»Du wolltest über Papa mit mir sprechen«, wurde sie jedoch gleich erinnert, als sie den ersten Ausflug mit ihm unternahm. Er schien auch das richtige Gespür für Zeit und Raum zu solchen Gesprächen zu haben.
»Einfach ist es nicht, Nico«, sagte Sandra, da er ihr so entgegenkam.
»Das kann ich mir denken, Mami. Wenn ihr euch liebhättet, wäre er ja bei uns. Wart ihr eigentlich richtig verheiratet?«
Dieser sechsjährige Dreikäsehoch versetzte seine Mutter immer wieder in Verblüffung. Hätte Sandra nicht vor ein paar Tagen zufällig durch ihren Beruf davon Kenntnis bekommen, daß ein Mandant von ihnen mit drei Wunderkindern gesegnet, möglicherweise auch gestraft war, die schon im frühkindlichen Alter ihre Eltern mit Kenntnissen verblüfften, die dann zu schweren Differenzen zwischen den Eheleuten führten, wäre sie über ihren Nico wohl sprachlos gewesen.
»Natürlich waren wir richtig verheiratet«, erwiderte sie.
»Natürlich ist das nicht, es gibt auch Leute, die Kinder haben, ohne verheiratet zu sein«, erklärte Nico. »Warum hast du den Mann weggeschickt, Mami?«
Er sagte Mann, das gab Sandra Mut. »Weggeschickt habe ich ihn nicht, Nico. Wir haben uns getrennt, weil wir zu verschiedene Ansichten hatten.«
Nico dachte angestrengt nach. »Hat er jetzt eine andere Frau und andere Kinder?«
»Das weiß ich nicht. Es könnte aber sein, daß er öfter mit dir beisammen sein möchte.« Nun war das heraus.
»Warum?« fragte Nico.
»Weil er eben dein Vater ist«, erwiderte sie.
»Wenn er nicht bei uns wohnt, finde ich es doof, wenn er mit mir beisammen sein will. Ich will aber auch nicht, daß er bei uns wohnt.«
»Das wird er auch nicht.«
»Dann soll er mich doch in Ruhe lassen«, sagte Nico. »Kommt er etwa hierher?« fragte er gleich darauf mißtrauisch.
»Nein, das bestimmt nicht. Es ist nur so, daß er darauf bestehen kann, einen Tag im Monat mit dir zusammen zu verbringen. Einen Samstag oder Sonntag.«
»Wenn du auch nicht arbeiten mußt? Das kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Nico. »Du bist doch Rechtsanwalt, kannst du dagegen nichts machen?«
»Nein, leider nicht.«
Er sah mit durchdringendem Blick unverwandt zu ihr auf. »Du willst auch nicht, daß ich mit ihm beisammen bin«, sagte er nachdenklich.
»Der Gedanke gefällt mir nicht«, gab Sandra zu.
»Meinst du, daß ich ihn mögen könnte?«
»Er wird wohl alles versuchen, daß du ihn magst.«
»Ich weiß nicht, Mami, wenn er dich geärgert hat, mag ich ihn nicht, und allein sein will ich auch nicht mit ihm. Aber jetzt haben wir ja erst mal Ferien. Ich weiß Bescheid, Mami.«
»Was meinst du damit?« fragte sie erstaunt.
»Daß du ihn nicht gern sehen willst.«
»Es geht nicht um mich, Nico. Es geht doch um dich«, sagte sie. »Du sollst nicht hin und her gezogen werden.«
»Aber ich kann ja mal mit ihm reden, wenn er kommt. Ich kann ihm sagen, daß wir gut ohne ihn auskommen.«
Da sagte Sandra nichts mehr. Sie hatte begriffen, daß sie mit zuviel Erklärungen eher Probleme schaffen als ausräumen konnte.
*
Am Sonntagmorgen holte Holger Arnim Annedore ab. Sie hatten sich schon zu Lebzeiten von Dr. Diehl gut verstanden. Es war Annedore in ihrem großen Kummer auch ein großer Trost gewesen, daß Holger die Kanzlei ganz im Sinne ihres Mannes weiterführte und auch Sandra den Start als Anwältin erleichtert hatte.
Sie waren längst Freunde geworden. Für Annedore war Holger die Verkörperung von Zuverlässigkeit und Anständigkeit.
»Na, wie ist dir zumute, Annedore?« fragte er, als er sich ans Steuer setzte.
»Gemischt«, erwiderte sie.
»Hat Sandra noch nichts von sich hören lassen?«
»Doch, wir haben gestern miteinander telefoniert. Das heißt, die meiste Zeit habe ich mit Nico gesprochen. Sie haben eine hübsche Ferienwohnung in der Nähe von Villach gemietet. Heute wird Winnie zu ihnen kommen. Du hast sie ja schon kennengelernt. Sie ist eine tüchtige Frau, jedenfalls keine Transuse.«
Holger lachte leise. »Das ist Sandra auch nicht«, sagte er.
»Aber sie braucht Aufmunterung. Es hängt ihr wohl doch an, daß sie als Juristin so ein Fiasko erlebte.«
»Juristen sind auch Menschen, Annedore«, sagte Holger. »Man kann ihr keinen Vorwurf machen, und sie braucht sich auch keinen zu machen. Es schien doch alles zu stimmen.«
»Sie waren beide zu jung«, seufzte Annedore. »Ich meine, sie blickt erst jetzt richtig durch.«
»Sie ist dauernd mit Ehescheidungen beschäftigt«, meinte Holger, »und manchmal gehen Ehen aus läppischen Gründen kaputt. Immerhin ist Sandra zu der Erkenntnis gekommen, daß einfach nichts zwischen ihnen stimmte.«
»Bist du davon überzeugt?«
»Ja, davon bin ich überzeugt.«
»Das beruhigt mich. Manchmal mache ich mir Sorge, daß Ulrich sie doch wieder herumkriegt.«
Holger verriet nicht, daß er sich solche Gedanken auch machte. Er gab sich weiterhin zuversichtlich.
»Darf ich sagen, daß ich es gern sehen würde, wenn ihr zusammenbleiben würdet?« fragte Annedore stokkend. »Auch privat?«
»Dann müßten wir erst mal zusammenkommen, Annedore. Ich hätte nichts dagegen. Aber Sandra bleibt distanziert.«
»Meistens ergreifen die Männer die Initiative«, sagte Annedore.
»Es kommt immer auf die Gegebenheiten und Aussichten an. Ich möchte nichts zerstören.«
»Ihr kennt euch lange«, sagte Annedore eigensinnig. »Sandra weiß, was sie von dir zu halten hat. Du würdest sie nicht enttäuschen.«
»Sie sieht einen Freund in mir, und das bin ich, und das soll auch immer so bleiben. Jetzt schalte du auch mal ab, Annedore. Sandra ist erwachsen und eine sehr tüchtige Anwältin.«
»Für andere kann sie die richtigen Entscheidungen treffen, aber sich selbst schafft sie Probleme.«
»Du doch auch«, sagte er offen. »Ihr seid aufeinander fixiert. Jeder will für den andern nur das Beste, und vielleicht schafft gerade das Probleme. Ist Sandra telefonisch zu erreichen?«
»Ja, willst du sie anrufen?«
»Es handelt sich um einen wichtigen Fall. Es wird sie interessieren, wie sich dieser entwickelt.«
»Für mich seid ihr zwei der schwierigste Fall«, sagte Annedore.
»So ernst sehe ich das nicht«, erklärte Holger. »Nehmen wir mal an, Sandra lernt einen Mann kennen, in dem sie alles findet, was sie sich erträumt.«
»Ach was, sie träumt nicht mehr«, fiel Annedore ihm ins Wort. »Sie ist zum wandelnden Gesetzbuch geworden. Frauen sollten einfach nicht zuviel Verstand haben.«
»Männer sind verschieden, Annedore. Ich könnte mit einer dummen Frau nichts anfangen.«
»Man braucht ja nicht gerade dumm zu sein.«
»Nun, Sandra hat eine Menge Vorzüge«, sagte er lächelnd. »Sie hat nichts von ihrer Weiblichkeit eingebüßt. Im Gegenteil!«